Bildung gilt in Kasachstan sowohl auf der politischen, als auch auf der persönlichen Ebene zweifelsfrei als hohes Gut. Trotz aller nach wie vor bestehenden Probleme ist es nicht abzustreiten, dass sich die Regierung um deren schrittweise Lösung bemüht.

Sicher kann man sich dabei viel bessere und modernere Lösungen sowie weniger Bürokratie wünschen, aber das Bemühen um Verbesserungen ist wohl da. Andererseits besteht nach wie vor eine tiefe Kluft zwischen dem Wollen und den realen Möglichkeiten. Das betrifft insbesondere auch das Schulwesen, von dessen Qualität nun mal alles Weitere im Bildungssystem abhängt.

Aktuell wird wieder die Erweiterung der Schulpflicht von jetzt elf auf künftig zwölf Jahre diskutiert. Ein entsprechendes Projekt in Form eines Gesetzentwurfes ist allerdings vor etwa vier oder fünf Jahren schon einmal beerdigt worden, weil die materiellen Voraussetzungen dafür fehlten. Aus Sicht der Hochschulen ist eine Ausweitung der Schulpflicht auf zwölf Jahre mehr als sinnvoll. Im Moment werden einfach zu viele Schulkomponenten in die Hochschulausbildung gepackt und diese damit mit fachfremden Elementen überladen. Im Ergebnis kommt die eigentliche Fachausbildung zu kurz und die Ausbildungsinhalte sind international nur schwer anpassbar. Ob es jedoch sinnvoll wäre, undifferenziert alle Kinder zwölf Jahre die Schulbank drücken zu lassen, wage ich zu bezweifeln. Schließlich sind deren Fähigkeiten natürlicherweise unterschiedlich entwickelt. Man kann ein Kind auch „kaputt spielen“, wenn man es ab einem bestimmten Bildungsniveau trotz fehlender Potenziale noch weiter auf die Schulbank zwingt.

Da ist mir trotz aller auch dort gegebener Mängel, die deutsche Lösung doch lieber, nach der etwa 40 Prozent aller Schüler nach zwölf oder dreizehn Jahren die Hochschulreife (Abitur) erreichen und der Rest nach meist zehn Schuljahren eine Facharbeiterausbildung absolviert. Diese ist nach dem dualen System – also Einheit von theoretischer und praktischer Ausbildung – organisiert und dauert meist drei, seltener nur zwei Jahre.

Doch zurück nach Kasachstan: Der aktuelle Wunsch nach Ausweitung der Schuldauer dürfte auch jetzt wieder an den materiellen Voraussetzungen scheitern. Zumindest lässt die Analyse der Zahlen zum aktuellen Zustand der Schulen das befürchten. Danach befinden sich von den 7.879 allgemeinbildenden Schulen Kasachstans drei Prozent – das sind 217 Schulen – in einem baufälligen Zustand und dürften demnach eigentlich gar nicht mehr genutzt werden. Das sind mehr als 30.000 Schüler, die täglich gefährdet sind.

Etwa zwei Drittel aller kasachischen Schulen unterrichten momentan im Zweischichtsystem, weil die Räumlichkeiten begrenzt sind. Es dürfte nicht einfach sein, hier noch ein weiteres Schuljahr unterzubringen. Insgesamt fehlen – gemessen an den hiesigen Normativen – momentan fast 100.000 Schulplätze; zusätzliches Problem ist, dass etwa 55.000 Schüler in zusammengefassten Klassen – also zum Beispiel erste bis dritte Klasse – unterrichtet werden müssen. Sicher ist das nicht selten auch durch die geringen Schülerzahlen und die großen Entfernungen im ländlichen Raum bedingt und somit irgendwie erklärbar. Dennoch dürfte das keine qualitätsstimulierende Wirkung haben.

Zur Abrundung noch ein paar Zahlen zum materiellen Zustand der Schulen: Etwa 70 Prozent haben noch Außentoiletten, 24 Prozent haben Ofenheizung und 57 Prozent sind nicht den nationalen Normen entsprechend mit Technik ausgestattet. 30 Prozent haben keine Sportsäle und bei ebenso vielen fehlen gar die eigentlich streng vorgeschriebenen Räume zur medizinischen Notfallversorgung. Und zum Schluss: Nur 16 Prozent aller Schulen bieten außerschulische Veranstaltungen einschließlich Nachhilfe an.

Natürlich kann man auch bei einer solchen materiellen Ausgangslage ein zwölftes Schuljahr einführen. Die Gefahr ist jedoch sehr groß, dass dies ein formaler Akt bliebe und eher statistische denn reale qualitative Bildungseffekte erzielt würden. Zu den aufgeführten materiellen Problemen kommen ja noch die der Bereitstellung von Lehrkräften und Lehrmaterialien. Man nehme nur die völlig ungenügende Bezahlung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, darunter die der Lehrer, um über deren Motivation wieder zur Qualitätsfrage zurückzukommen. Doch schlimmer noch: Nur zehn Prozent aller Schüler gehen wirklich gern zur Schule und sind vorbehaltlos von deren Nutzen überzeugt. Zum Vergleich: In Deutschland gehen nach einer aktuellen, Anfang August im Focus veröffentlichten Umfrage zufolge mehr als 75 Prozent gern zur Schule.

Vielleicht sollte beim Projekt Schulwesen der Spruch des alten Lenin beachtet werden: „Lieber weniger, aber besser!“

10/10/08

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia