Mein Mitbewohner Emrah glaubt noch an die Revolution. Che Guevara und Fidel Castro und so. Aber das darf er auch. Denn Emrah ist noch jung. Ich glaube nicht mehr daran. Weder an die vergangenen noch an die kommenden Revolutionen.
Das darf ich auch nicht, denn ich bin schon Mitte dreißig. Aber irgendwie ist es schön, dass noch jemand daran glaubt. Irgendwer sollte daran glauben, und da bietet sich natürlich die Jugend an. Und es ist sowieso auch schön, dass unsere Jugend Werte und Ideale hat. Nicht nur Computerspiele und Fast Food und so. Und schön daran ist, dass unsere Jugend die Werte und Ideale aus vergangener Zeit hochhält, anstatt neue zu erfinden. Also lassen wir der Jugend den Glauben an die Revolution. So was wächst sich mit der Zeit raus.
Auch ganz angenehm an dem Revolutions-Idealismus ist, dass er so leise und unaufdringlich ausgetragen wird. Mit Anstand und ohne Aufstand. Stellen Sie sich vor, hier stünde ständig die Polizei vor der Tür, weil Emrah gegen den Kapitalismus kämpft, indem er Mercedes-Sterne von der Kühlerhaube kickt oder Schaufensterscheiben von amerikanischen Läden eintritt und sich dann vor lauter blinder Wut auch noch erwischen lässt. Oder wenn ich ständig Vorhaltungen bekäme, weil ich den Müll falsch trenne und Schokoriegel von Konzernen esse, die politisch rechts stehen. Das wäre mir dann zu viel des Idealismus in meinem Alltag. Aber eine Che-Guevara-Fahne an der Wand, ein Che-Guevara-T-Shirt am Leib, ein paar Bücher über den Kommunismus im Regal, das tut keinem weh und nervt nicht.
Auch wäre es anders, wenn Emrah ständig Versammlungen von Untergrundorganisationen in unserer Wohnung abhalten würde, bei der 30 Menschen die Bude besetzen, vollqualmen und lauthals durch die Gegend blöken, wer der beste Anführer ist und wie der nächste Aufstand ablaufen müsse. Aber so! Sitzen nur ab und zu einige gleichgesinnte Genossen da, die ein wenig Haschgeruch verbreiten und entsprechend etwas zusammenhanglos und genuschelt über die Ungerechtigkeiten der Welt reden, ihr vordergründigstes Interesse bleibt aber doch ihr Heißhunger auf Schokoriegel.
So ist das in Ordnung, alles andere bringt ja auch nicht mehr. Ich hatte es selbst damals mit Organisationen versucht. Die Jusos haben aber immer nur über Abtreibung und die Frauenquote diskutiert. Die Greenpeacler wollten uns Neue nicht die Robben besprühen lassen, das sei nur etwas für Altgediente. Wir Anfänger dürften uns allenfalls den ganzen Samstag, auch bei Regen oder Schnee, in einer Fußgängerzone die Beine in den Bauch stehen und Flyer verteilen. Für die häkelnden und strickenden Hausfrauen bei Amnesty International reichte dann doch nicht mein Engagement und schon gar nicht meine Toleranz. Da ich aber unbedingt die Welt oder zumindest einen winzigen Teil davon retten wollte, habe ich eigenbrötlerisch und verbissen den Müll getrennt, was das Zeug hielt. Und dann mühevoll säckeweise Blech ins Umweltzentrum gebracht, um heute zu erfahren, dass die Mülltrennerei auch eine große Halunkerei ist und letzten Endes gar nicht so umweltfreundlich wie immer versprochen.
Heute weiß ich: dies, wie alles Engagement, tut man schließlich doch viel mehr für sich selbst als für die Welt. Von daher kann man es sich dabei auch möglichst angenehm und gemütlich machen. Kiffen für den Frieden ist da gar nicht so verkehrt.
Julia Siebert
25/01/08