Für ihre Gäste plant Kolumnistin Julia Siebert liebend gerne ihre Besuche in Köln. Alles könnte so einfach sein, wenn die Gäste sich nur an die Pläne hielten.
Ich bin stolz auf mein ausgefeiltes Zeitmanagement, was mich und andere Leute zur rechten Zeit zum rechten Ort führt, mit ausreichend Puffer aber nicht zu langen Wartezeiten – wenn man mir zuhört, folgt und niemand in mein Chefmanagement reinpfuscht.
Dieses Zeitmanagement rechne ich auch zu meinem Service als Gastgeberin, wenn ich meine Gäste von A nach B schicke. Es ist mir daran gelegen, ihren Erholungs- und Entspannungsfaktor zu maximieren, indem sie sich nicht selbst orientieren müssen. Sie sollen sich vor allem nicht sorgen, dass sie zu irgendetwas zu spät kommen. Dafür müssten sie allerdings tun, was ich sage, und die Fragen beantworten, die ich stelle. Aber aus irgendwelchen Gründen klappt das nicht, zumindest bei einigen Gästen, die schon bei der ersten Frage mein schlaues Frageleitsystem boykottieren und lieber selber denken, planen und rechnen möchten – als würden sie sich in Köln auskennen. Was sie ja gar nicht tun.
Wenn ich mein System mal ungestört aufzeigen darf: Ich finde zunächst heraus, ob mein Gast mehr der Auf-den-letzten-Drücker-Typ ist, der Wartezeiten hasst, Adrenalinschübe braucht, oder aus sportlichem Ehrgeiz auf fahrende Züge aufspringen möchte, oder ob jemand mehr so der Puffer-Typ ist, der viel viel Zeit für Eventualitäten einplanen möchte, um ganz-ganz sicher zu gehen, dass er seine Bahn erwischt. Wenn ich erst die Kategorie und dann den Subtyp eruiert habe, errechne ich aus diesem Faktor und der tatsächlichen Uhrzeit des Ereignisses die individualisierte optimale Ankunftszeit, und davon ausgehend rechne ich mich rückwärts durch die jeweiligen Etappen. Im einfachsten Falle reicht es natürlich, sich entsprechende Bahnverbindungen ausspucken zu lassen. Sie sehen, es ist kein Hexenwerk.
Aber meine letzten beide Gäste, ein junger Mann aus Wladiwostok und ein älterer Herr aus Wien, wollten partout nicht rückwärts rechnen! Meine Frage, wann sie an ihrem Zielort ankommen wollen und ob sie gern Puffer hätten oder nicht, beantworteten sie erst gar nicht, sondern fingen stattdessen immer wieder penetrant von vorn an: „Wenn ich hier um soundsoviel Uhr losgehe ..“ – und verstanden einfach nicht, dass diese Losgehzeit vollkommen aus der Luft gegriffen war und mit großer Wahrscheinlichkeit an den hiesigen Entfernungen und Fahrplänen vorbeizielte. Als wüsste ich es nicht besser, hielten sie an ihrer realitätsfernen Losgehzeit fest, mit der sie die eine S-Bahn knapp verpassen würden, um auf die nachfolgende ewig lange warten zu müssen, um dann entweder zu knapp oder zu spät am Zielort anzukommen. Auch ein Freund im mittleren Alter aus Köln rechnet konsequent vorwärts: „Ich arbeite noch ein bisschen am Schreibtisch, gehe dann Joggen und danach in die Sauna und bin in einer halben Stunde bei dir.“ (Und das meint er nicht im Scherz!) Wenn ich ihn darauf hinweise, dass all die vielen Dinge nicht in eine kurze kleine halbe Stunde reinpassen, korrigiert er: „Gut, dann mache ich nur zwei Saunagänge statt drei.“ Es ist zum Mäusemelken …
Da ich mein schlaues Zeitmanagement nicht an den Mann bringen kann (jedenfalls habe ich als gemeinsames Merkmal der Bockigkeit nicht die Herkunft oder das Alter, sondern das Geschlecht evaluiert), kehre ich die Formel nun um und errechne mir für den jeweiligen Gast seine individuelle Zuspätkommzeit, damit ich nicht saublöd irgendwo warten muss, wenn wir verabredet sind. Ich bin nämlich der Just-in-time-Typ.