Mit großen Feierlichkeiten wurde dieses Jahr das 25. Geburtstagsjubiläum von Astana begangen. Doch die Lebensbedingungen in der kasachischen Hauptstadt könnten besser sein, findet der Architekt Sanzhar Kazijew. Er hat uns auf eine Tour in ein anderes Astana mitgenommen.

Der Treffpunkt ist am Bajterek – jenem mythisch aufgeladenen Turm, dessen goldene Kugel über der Stadtmitte von Astana erstrahlt. „Wir haben hier coole Orte in Form von monumentalen Plätzen. Doch ich kann dir die wirklich dreckigen Seiten von Astana zeigen“, sagt Sanzhar Kazijew, als wir in das Auto steigen und aufbrechen zur Tour durch die kasachische Hauptstadt. Kazijew mag Astana: er hat hier studiert, auf Baustellen gearbeitet, und betreibt hier nun ein Architekturbüro. Doch er hat ein paar Verbesserungsvorschläge: „Ich will eine Stadt für Menschen, nicht für Autos“, beschreibt er sein Bild einer idealen Stadt, während wir über die breiten Magistralen Astanas rollen. Als sein Vorbild beschreibt er dabei immer wieder Berlin, wo er mehrere Monate gelebt hat.

Einer der wenigen Orte in Astana, die Kazijews Vorstellungen entsprechen, ist der kleine Atatürk-Park am Ufer des Flusses Ischim. Erst vergangenes Jahr eröffnet, gibt es hier Spielgeräte, Hängematten zwischen den Bäumen und einen Coffeeshop direkt am Flussufer. Regelmäßig würden sich hier laut Kazijew Menschen zum Yoga oder Fitness treffen. „Hier haben wir einen Ort, an dem sich die Menschen erfreuen und Spaß haben. Auch wenn er klein ist, brauchen wir davon mehr“, sagt Kazijew.

Schnell und billig bauen

Doch am anderen Flussufer erblicken seine Augen schon das für Astana so typische Ungemach: Ein zehnstöckiges Hochhaus steht dort direkt neben einstöckigen Einfamilienhäusern. „Uns fehlt die Mitte“, klagt Kazijew. Und wirklich: Wer durch Astana fährt, rollt durch Schluchten riesiger Apartmentblocks, dazwischen immer wieder die kleinen, vor sich hin gammelnden Hütten des einstigen Aqmola. „Wir bauen nur, aber unterhalten nicht den bestehenden Baubestand“, sagt Kazijew.

Das Vorgehen ist dabei immer das gleiche: Ein Investor kauft ein großes Grundstück, um es zu bebauen. Vorgaben hat er dabei keine, und so entstehen oft gigantische, billig erbaute Wohntürme ohne architektonisches Konzept und ohne soziale Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser oder auch Parks. Das Leid tragen dann vor allem die Einwohnerinnen und Einwohner.

Ein Basar in einem Parkhaus

„Das musst du fotografieren“, sagt er und deutet auf einen zehnstöckigen Wohnblock an einer vielbefahrenen Straße, der für Einwanderer aus anderen Regionen Kasachstans errichtet wurde. Im Innenhof eine Matschwüste, auf der Autos parken. „Kein Park, kein Spielplatz. Wer will da wohnen?“, sagt Kazijew aufgebracht und führt als nächstes durch einen Basar. Nur dass der sich nicht in einer Markthalle befindet, sondern in einem umfunktionierten Parkhaus. Von der Decke tropft Wasser auf die Gemüsestände darunter. Für ihn ist das hier einfach ein „schrecklich place“, sagt er in rudimentären Deutsch. „Schrecklich place“ – das ist eine Phrase, die immer wieder aus Kazijews Mund kommt, während der Tour durch Astana. Er regt sich auf, über Apartmentblocks mit grellen orangenen Kacheln, Fußballstadien und Grundschulen mitten im Nirgendwo, und besonders auflachen muss er, als vor einem neugebauten Wohnblock die Straße mitten im Matsch endet. „Sie bauen hier ohne Seele“, sagt er.

Tokajew kritisiert Zustände in Astana

Das Bild, das sich hier in den äußeren Stadtbezirken von Astana zeigt, ist nicht das, was die Hauptstadt gerne vermittelt. Bei den Feierlichkeiten zum 25. Jubiläum von Astana im Juli lobte Präsident Kassym-Schomart Tokajew, dass in wenigen Jahren mitten in die Steppe eine Metropole gestampft wurde, die heute die internationale Visitenkarte Kasachstans ist. Doch auch er weiß von den Problemen Astanas. Bei einem Treffen mit Bürgermeister Schengis Qassymbek und den führenden Köpfen der Stadtverwaltung forderte Tokajew, die Lebenssituation in der Hauptstadt zu verbessern. Ihm zufolge sollten die Bewohner Astanas guten Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, zu Kultur und Sport sowie zu Parks und öffentlichen Räumen haben. Dafür müssten mehr derartige Einrichtungen gebaut werden. Auch müsste die Wasser- und Wärmeversorgung der Stadt deutlich gebessert werden. „Sie werden alle Hilfe bekommen, die Sie brauchen. Die Ergebnisse der Arbeit hängen jedoch nur von Ihnen ab. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg“, unterstrich Tokajew seine Forderungen an den Bürgermeister.

Ob sich durch Tokajews Appell etwas ändert? Kazijew ist da skeptisch: „Uns fehlt das Recht, es durchzusetzen“, sagt er. Viele Strukturen haben sich seit der Sowjetunion kaum geändert. Alles ist zentral im Rathaus angesiedelt, und die Menschen haben wenig Einfluss darauf, was passiert. Für ihn ist der Aufbau einer lebenswerten Stadt auch mit dem Aufbau demokratischer Strukturen verbunden. Mit der Einbeziehung der Einwohnerinnen und Einwohner und der Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse.

Geld für teure Bauprojekte, aber nicht für Architekten

An einem Ort in Astana treffen Wirklichkeit und Ideal fast kontrastrierend aufeinander: Mit einer Feier wurde Anfang Juli der „Park der Journalisten“ eröffnet. Eine übergroße Schreibtischlampe und Bronzestatuen von Medienschaffenden sollen die Arbeit von Journalisten ehren. Doch Kazijew regt sich darüber auf: „Das ist nur Kunst für Kunst. Ohne Sinn dahinter“, sagt er und zeigt auf die Trampelpfade, die sich durch den frisch gelegten Rasen bahnen. „Der Architekt hat hier nicht so gebaut, wie es die Menschen brauchen.“

Gleich nebenan steht ein Spielplatz, den Kazijew entworfen hat und der offenbar gut angenommen wird: Ein gutes Dutzend Kinder amüsieren sich, während nebenbei die Eltern miteinander quatschen. Entworfen hat Kazijew die Anlage zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des anliegenden Wohnblocks. Dafür hat er sie vorher gefragt, was sie sich wünschen. Anschließend hat er das mit Mitteln der Stadt umgesetzt. Doch er selbst bekommt dafür kein Geld dafür. „Es war ein soziales Projekt. Geld verdiene ich damit, dass ich reichen Menschen Eigenheime baue“, sagt er und klagt, dass der Beruf des Architekten im heutigen Kasachstan nichts wert ist: 600 Euro verdient er im Monat etwa. Das Auto für die Tour hat er sich gemietet, weil er sich selbst keins leisten kann. Währenddessen entstehen überall in Astana neue teure Investorenprojekte – sie zeigen, wo die Prioritäten hier liegen..

Johann Stephanowitz

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