Die kasachstandeutsche Schriftstellerin, Dichterin und Fotografin Elizabeth Hettinger sprach mit uns über ihre deutschen Wurzeln, ihre Familiengeschichte, den Einstieg ins Schreiben und ihre bisherigen Buchveröffentlichungen. In diesem Jahr erschien ihr neuer Roman „Gemeinsam jetzt finden“ („Вместе обрести сейчас“ auf Russisch), der von den Herausforderungen des modernen Lebens, der Jugend und der Suche nach dem eigenen Weg erzählt, eingebettet in den Alltag Kasachstans. Wie sie zur Literatur fand, worüber sie schreibt und wie sie sich in Kasachstan sieht verrät sie im Interview.

Elizabeth, erzählen Sie uns etwas über sich. Aus welcher Familie stammen Sie? Und was haben Sie studiert?

Ich spreche eigentlich nicht besonders gerne über mich. Zunächst: Hettinger ist mein Pseudonym, mein echter Nachname ist ebenfalls deutsch. Elizabeth Hettinger hieß meine Großmutter väterlicherseits. Sie hat die Deportationen und die Schrecken dieser Zeit erlebt. Mein Vater benannte mich nach ihr, und ihr zu Ehren habe ich ihren Namen als Künstlernamen angenommen. Als ich meinen ersten Roman schrieb, wollte ich ihn ursprünglich unter meinem echten Namen veröffentlichen, aber der ist recht häufig. Ich dachte mir, ich müsse mich irgendwie abheben, also entschied ich mich für „Hettinger“.

Ich wurde in einer kleinen Siedlung bei Ust-Kamenogorsk geboren, im Dorf Glubokoje, etwa 20 Kilometer von der Stadt entfernt. Meine Familie sind Metallurgen, ich bin also in einem sehr bodenständigen Umfeld aufgewachsen. Seit 17 Jahren lebe ich in Astana. Mein Studium habe ich an der Fakultät für Management einer Moskauer Universität abgeschlossen, genau das thematisiere ich auch in meinem Roman.

Sie haben also gar nichts Literarisches studiert?

Nein, ich habe Betriebswirtschaft und Personalmanagement studiert.

Wie kamen Sie dann überhaupt zum Schreiben?

Das war ehrlich gesagt ein aus dem Ruder gelaufener Witz. Es war während der Pandemie, als wir alle in Quarantäne saßen. Ich scrollte auf Instagram und stieß auf einen Beitrag der Band Nochnye Snaipery („Nachtscharfschützen“), die ich als Studentin sehr mochte. Die Leadsängerin saß in der Jury eines Literaturwettbewerbs. Ich hatte damals eine kurze Geschichte geschrieben, die mit dieser Band zusammenhing, und dachte mir: Da mache ich einfach mit!

Ich war mir sicher, dass ich schreiben musste und dass ich sogar gewinnen könnte. Die Wettbewerbsbeiträge sollten nur zwei bis drei Seiten lang sein, also begann ich, daran zu arbeiten. Irgendwie hat sich das Ganze dann aber verselbstständigt und aus der kleinen Geschichte wurde ein ganzer Roman.

Ich habe den Preis übrigens nicht gewonnen. Es wurde nicht einmal erwähnt, dass eine Teilnehmerin aus Kasachstan dabei war. Aber mein Text wurde auf der Plattform „Litres“ veröffentlicht – dort konnte man ihn lesen und herunterladen. Dann kamen die ersten positiven Rezensionen von Leuten, die ich gar nicht kannte. Das hat mich sehr motiviert. So wurde aus einem Zufall mein Debüt als Schriftstellerin.

Worum geht es in Ihrem ersten Roman konkret?

Der Roman ist teilweise autobiografisch: Er basiert auf meinem Studium an einer Moskauer Universität, auch wenn der Campus in Omsk lag. Es geht um meine Ausbildung, meine Entscheidungen, meine persönliche Entwicklung. Und natürlich spielt auch Kasachstan eine wichtige Rolle. Es ist der Weg einer jungen Frau, die zwischen Ländern und Kulturen steht.

Im Zentrum steht die Suche nach sich selbst, nach der eigenen Bestimmung. Es geht um Selbstfindung, um Überwindung, um Liebe, Hoffnung, Leben und Tod. Ich denke, jeder Leser kann darin etwas für sich entdecken.

Ich habe das Buch meiner Mutter gewidmet, es ist ein „Arztroman“, wie ich ihn nenne. Meine ganze Familie besteht aus Ärzten, nur meine Mutter nicht. Sie wollte immer, dass ich Ärztin werde. Ich konnte das nie und wollte es auch nicht. Aber im Buch habe ich diesen Weg symbolisch für sie eingeschlagen, um ihr diesen Traum zumindest auf dem Papier zu erfüllen.

Die Protagonistin in Ihrem Buch – ist das ein Abbild Ihrer selbst?

Ja, die Hauptfigur Sascha ist mein literarisches Alter Ego. Ich schreibe auch über meine Tante, die bei uns in der Familie deutsche Traditionen lebendig hielt. Sie sprach mit mir stets Deutsch und brachte mir das Kochen und Backen bei: Strudel, Riwwelkuchen… Das alles ist eingeflossen.

Und wie ging es nach dem ersten Buch weiter?

Die vielen positiven Rückmeldungen haben mich zum Nachdenken gebracht. Wenn das, was ich schreibe, anderen gefällt, dann sollte ich weitermachen. Ein Freund aus der Bibliothek, mit dem ich regelmäßig Bücher tausche, fragte mich auch nach einer Fortsetzung. Das war dann der letzte Anstoß.

Mein zweiter Roman ist inzwischen fertig. Er erzählt eine ganz andere Geschichte, die völlig unabhängig vom ersten Roman ist. Auch dieser Text ist auf „Litres“ veröffentlicht worden und hat gute Rezensionen bekommen. Jetzt schreibe ich an meinem dritten Buch, an einem Roman über meine Vorfahren.

Das erste Buch war für einen Wettbewerb, das zweite zur Weiterentwicklung. Das dritte schreibe ich für die Nachwelt. Für meine Kinder und Enkel, damit sie wissen, woher sie kommen.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Ich habe mit meinem Onkel in Deutschland zusammengearbeitet und das Archiv hier in Kasachstan kontaktiert. Gemeinsam haben wir unsere Familiengeschichte bis ins Jahr 1601 zurückverfolgt. Ganze 14 Generationen! Mein Vater hat das leider nicht mehr erlebt, er starb 2009, nach einem harten Leben als Metallurge. Meine Mutter hat meine Arbeit sehr geschätzt, sie hat geweint, als sie die Geschichten hörte, die Vaters Schwestern mir erzählt hatten.

Jetzt sammele ich all diese Erinnerungen und schreibe daraus ein Buch, das hoffentlich noch in diesem Jahr erscheint. Es wird umfangreicher sein als meine ersten beiden Bücher, ich veröffentliche es im Selbstverlag. Ich mache kaum Werbung, weil ich für die Kunst schreibe. Wenn meine Bücher wertvoll sind, werden sie schon ihren Weg zu den Lesern finden.

Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihre Familie.

Mein Vater war Deutscher und Lutheraner, meine Mutter ist Russin. Meine Großeltern väterlicherseits wurden zur Zeit des Großen Vaterländischen Krieges getrennt und fanden sich erst 1949 wieder. Mein Vater wurde erst danach geboren, ich wiederum bin ein Spätkind – in 80 Jahren gab es in unserer Linie also nur drei Generationen.

Ich bin stolz auf meine Familie, auf unsere Geschichte. Natürlich hat mich auch die deutsche Herkunft geprägt, besonders, wenn es um die Erfahrungen mit dem Nachnamen geht. Mein Vater hatte es schwerer, aber auch ich habe die Echos gespürt. Als ich 2010 nach Astana zog, fiel meine Herkunft niemandem auf. In Russland dagegen hielten mich alle für eine Kasachin wegen meines hellblauen Passes. Es zeigte mir: Am Ende zählt nicht die Ethnie, sondern der Mensch.

Wie identifizieren Sie sich selbst?

Ich bin ein Mensch der Welt. Ich lebe in Kasachstan, spreche Russisch, bin Deutsche. Das ist Multikulturalismus, und darauf kann man stolz sein. Leider wird der Wert dieser Vielfalt heutzutage oft nicht anerkannt. Dabei ist diese Vielfalt etwas Besonderes, das gerade Kasachstan auszeichnet.

Wir haben hier viele kreative Menschen, vielleicht gerade wegen unserer kulturellen Mischung. Ich habe Freunde aus allen ethnischen Gruppen: Kasachen, Russen, Deutsche. Es gibt keinen Grund, sich von anderen abzugrenzen. Warum auch? Wir sind letztlich alle Menschen.

Haben Sie jemals darüber nachgedacht, nach Deutschland auszuwandern?

Meine Familie hatte in den 1990er Jahren konkrete Pläne. Wir reichten Unterlagen ein und bekamen bald darauf eine Einladung. Doch Papas Schwestern wollten nicht weg: „Warum? Das ist unsere Heimat, unsere Eltern liegen hier begraben.“ Also blieben wir.

Viele aus unserem Dorf, auch Nicht-Deutsche, gingen dennoch. Es gab sogar Fälle, in denen Menschen gezielt Deutsche heirateten, um auswandern zu können. Auch meine Familie wurde damit konfrontiert.

Mein Bruder studierte später in Deutschland. Als er zurückkam, sagte er: „Gut, dass wir damals geblieben sind.“ Mein Onkel dagegen wanderte aus und bereute es. In Deutschland wurde er meist nicht als Deutscher, sondern als Russe angesehen.

Ich habe es nie bereut, geblieben zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Nurgul Adambayeva.

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