Ein deutsch-kasachisch-kirgisisches Projekt will den Asiatischen Wildapfel erhalten, den Wissenschaftler vor Jahren als Urvater aller Apfelsorten ausgemacht haben. Dafür wurde vergangene Woche ein Deutsch-Kasachisches Institut zum Schutz von Biodiversität und Ökosystemen in Almaty gegründet.

Der Apfel gab Almaty einst seinen Namen und diente Kasachstans „Hauptstadt des Südens“ lange Zeit als Wahrzeichen. Doch mit der Expansion der Metropole zu Beginn der 1990er Jahre und dem damit verbundenen unkontrollierten Bauboom nahm die Wertschätzung für die Frucht signifikant ab. Die ausgedehnten Apfelplantagen, die das Landschaftsbild rund um die Stadt prägten, verschwanden. Heute findet man Äpfel zwar in unzähligen Variationen und Geschmäckern in allen Warenhallen der Stadt. Doch um zu ihren Herkunftsorten zu gelangen, muss man teils weit reisen: Laut der KAZAGRO Studie „Analytical Review of Fresh Fruits and Vegetables Market“ aus dem Jahr 2014 wurden bereits damals 34 Prozent der in Kasachstan konsumierten Äpfel aus dem Ausland importiert, wovon wiederum 75 Prozent der Importäpfel aus Polen stammten.

Dabei ist das nahegelegene Gebiet, in dem die Nordhänge des Tienschan-Gebirges Kasachstans Süden von Kirgisistan trennen, eine botanische Sensation. Denn hier finden sich heute noch natürliche Vorkommen des Asiatischen Wildapfels, der in Anlehnung an seinen Entdecker den wissenschaftlichen Namen Malus sieversii trägt. Der norddeutsche Botaniker Johann August Carl Sievers weilte 1793 auf einer Expedition in den kasachischen Tarbagatai-Bergen an der Grenze zu China. Als er dort auf eine ihm bis dato unbekannte Apfelart stößt, ahnt er noch nicht, dass er soeben den Urvater aller Äpfel gefunden hat. Das finden Forscher erst 200 Jahre später heraus.

Dass alle heutigen Apfelsorten vom Malus sieversii abstammen, hat diesen jedoch nicht davor bewahrt, in kürzester Zeit große Teile seines Habitats in Kasachstan zu verlieren. 70 Prozent sind in den letzten 30 Jahren zerstört worden, seit 2007 befindet sich der Malus sieversii auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Inzwischen gibt es überregionale und internationale Projekte zum Schutz bedrohter Arten, die auch den Malus sieversii einbeziehen.

„Selbstverständlich, die Natur selbst zu erschließen“

Die Sorge um den Bestand der Wildäpfel treibt nicht nur umweltaffine Einheimische um, sondern auch Experten aus dem Ausland. Einer von ihnen ist Prof. Dr. Matthias Kramer, Gründer und Leiter des Forschungsinstituts NETSCI GmbH im sächsischen Dresden. Kramer zieht es seit zwanzig Jahren immer wieder nach Kasachstan. Von 2008 bis 2009 war er Rektor an der DKU und von 1995 bis 2021 Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Controlling und Umweltmanagement am Internationalen Hochschulinstitut Zittau, einer Zentralen Wissenschaftlichen Einrichtung der Technischen Universität Dresden.

2016 ernannte ihn die Kasachische Nationale Agraruniversität (KazNARU) in Almaty zum Honorarprofessor. Als Hochschullehrer befasst er sich vor allem mit Themen des Umweltmanagements, der nachhaltigen Entwicklung und des grünen Wachstums und bezeichnet es mit Blick auf seine Reisen in die Region als „selbstverständlich, die Natur selbst zu erschließen, um zu schauen, wie es um die Artenvielfalt bestellt ist“.

Was man isst, will man auch erhalten

Seine guten Kontakte in die örtliche Wissenschaftsszene hat Kramer nun genutzt, um gemeinsam mit kasachischen, deutschen und kirgisischen Partnern ein viel beachtetes Projekt zu starten, das am vergangenen Dienstag an der KazNARU vorgestellt wurde. Es wird finanziell von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert und hat unter anderem das Ziel, alte Obstsorten durch Wertschöpfung zu erhalten. „Schutz durch Nutzung“ lautet ein Motto der Initiatoren, soll grob gesagt heißen: Was man isst, will man auch erhalten.

Konkret sollen alte Apfelsorten ressourcenschonend kultiviert, ihre genetische Vielfalt bewahrt werden. Das soll im weiteren Sinne auch wertvolle Ökosystemleistungen – also Dienstleistungen der Natur für den Menschen – erhalten, und so zu einer Win-Win-Situation für Natur und Mensch führen: Ein Ökosystem als Ganzes bleibt durch den Schutz einzelner Bestandteile bestehen und bietet den Menschen neue Einkommensperspektiven, indem es ihnen die Ressourcen für hochwertige Produkte wie z. B. Obstbrände oder Honig liefert, mit denen sie sich etwas dazuverdienen können. Wie das in der Praxis funktioniert, dafür gibt es zahlreiche Beispiele aus Deutschland. So hat etwa ein ehemaliger Student von Matthias Kramer eine Spirituosenmanufaktur in Sachsen gegründet, die regionale Früchte, Blüten, Kräuter und Gewürze zu hochwertigen Fruchtlikören oder Bränden verarbeitet.

Sensibilisierung für Umweltthemen

Zwar lässt der Name des Projekts – „Nachhaltiges RegionALMAnagement und Wertschöpfung zum Erhalt alter Apfelsorten in Kasachstan und Kirgisistan (ALMA)“ – einen klaren Fokus auf den Schutz des Malus sieversii erkennen. Doch perspektivisch könnte es noch um viel mehr gehen als um alte Apfelsorten, wenn man der Bezeichnung einer neuen Einrichtung folgt, die ebenfalls am Dienstag feierlich an der KazNARU eröffnet wurde. Dort befindet sich künftig im zweiten Stockwerk das „Kasachisch-Deutsche Institut zum Schutz der Biodiversität und der Ökosysteme (KyGEB)“, das die Kräfte der Projektpartner aus den beteiligten Ländern bündeln soll. Ziel ist es, vor allem junge Menschen für Umweltthemen zu sensibilisieren und in dem Bereich aus- und weiterzubilden.

„Meine Motivation ist es, mit den Partnern hier gemeinsame Curricula zu entwickeln, vielleicht auch ein gemeinsames Lehrbuch zu konzipieren, um das Wissen über Biodiversität und Ökosystemleistungen auch in die Lehre einfließen zu lassen“, sagt Matthias Kramer. Zugleich soll das Institut dazu dienen, Projekte zu entwickeln, die forschungs- oder anwendungsorientiert sein können. Als i-Tüpfelchen sind perspektivisch auch Studentenaustausche, Unternehmensbesuche und Gastvorträge von Expertinnen und Experten aus Deutschland geplant.

„So funktioniert Wissenschaft“

Das Projekt und das Institut werden beiderseits von offizieller Seite unterstützt. Das zeigte auch die hohe Besetzung des Podiums einer begleitenden Fachtagung, die am Tag der Institutseröffnung an der KazNARU stattfand. Dort konnte Rektor Achylbek Kurischbaew als Gäste unter anderem Scharban Koskaraewa, die Leiterin der Abteilung für wissenschaftliche Unterstützung im kasachischen Landwirtschaftsministerium, sowie den deutschen Generalkonsul in Almaty Mario-Ingo Soos begrüßen. Zugeschaltet war zudem Serik Jegizbaew, der im Unterhaus des kasachischen Parlaments den Agrarausschuss leitet. Aus Kirgisistan war Irgashew Schukurbaewitsch, der Vizerektor für akademische Angelegenheiten an der Nationalen Agraruniversität in Bischkek geladen.

„Wir sollten nicht nur über die Obstsorten sprechen, die es in unserer einzigartigen Region Kasachstans gibt, sondern es ist auch wichtig, sie zu bewahren“, sagte KazNARU-Rektor Kurischbaew in seiner Begrüßungsrede zu den Teilnehmern der Fachtagung. Das neue Programm sei auch für Kasachstans Nachbarn relevant, hob er hervor: „Wir können ein großes Reservat genetischer Ressourcen für Kasachstan und die Länder Zentralasiens errichten und Expertise austauschen. So funktioniert die weltweite Wissenschaft.“

Ministeriumssprecherin Koskaraewa betonte die Rolle der wilden Fruchtwälder Kasachstans als Reservat für einzigartige genetische Ressourcen. „Der Genpool des Siewers-Apfels kann als Grundlage für die Schaffung von Sorten dienen, die gegen Kälte, Trockenheit, Schädlinge und Krankheitsbefall resistent sind“, so Koskaraewa, die damit auch ein Motiv von Matthias Kramers Projektteam aufgriff. Das verspricht sich von den genannten Eigenschaften des Wildapfels Vorteile für die Züchtung neuer Sorten gerade auch im Kontext des Klimawandels.

Wichtige Partner für Kooperationen mit Deutschland

Generalkonsul Mario-Ingo Soos unterstrich in seiner Rede ebenfalls die Bedeutung des Asiatischen Wildapfels für die Züchtung heutiger Kulturvarianten. „Als temporärer Bewohner Almatys habe ich gelernt, dass es ohne den Urapfel Malus sieversii weder den berühmten Aport noch die unendliche Vielfalt von köstlichen Äpfeln geben würde, die wir täglich im Supermarkt kaufen können“, so Soos. Dem Projekt zum Erhalt des Wildapfels sprach er seine Unterstützung aus. „Kasachstan und Kirgistan sind für uns wichtige Partner, mit denen wir die Zusammenarbeit in diesem Bereich weiter ausbauen wollen“, sagte Soos. „Die Idee von Herrn Rektor Kurischbaew zu einer Zusammenarbeit mit Deutschland im Bereich der Bewahrung von genetischem Material von Obst nehme ich gerne auf und werde sie weitergeben.“

Zu dieser Ankündigung passt auch die Unterstützung des Julius Kühn-Instituts (JKI), das sich als Bundesforschungsinstitut der Bundesrepublik Deutschland speziell mit Kulturpflanzen sowie der Züchtungsforschung an Obst beschäftigt. Das JKI hat neben weiteren deutschen Partnern ein MoU zur weiteren Entwicklung des KyGEB an der KazNARU unterzeichnet, wie Prof. Kramer anlässlich der Institutseröffnung mit Stolz verkünden konnte.

Christoph Strauch

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