Nun haben sich Mitte November 20 Regierungschefs in Washington zum Weltfinanzgipfel getroffen, um die Weltfinanzkrise und Auswege aus ihr zu bereden. Die Erwartungen waren so groß, dass sie nur teilweise erfüllbar waren. Vor allem aber haben sich die als G8 bekannten westlichen Industriestaaten nicht getraut, diesen Gipfel zum G20 Gipfel auszurufen.
Das hätte die Anerkennung der in den letzten zwanzig Jahren eingetretenen Realität einer deutlichen Verschiebung der weltwirtschaftlichen Gewichte bedeutet, und davor scheute man erst einmal zurück. Zwar vertraten die 20 Staaten auf dem Gipfel etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung und etwa 85 Prozent der Weltproduktion, doch der Anteil der klassischen G8-Staaten beträgt insgesamt kaum noch 40 Prozent der Weltproduktion. Damit kann man nicht mehr dem Rest der Welt seine Vorstellungen diktieren, sondern muss die Interessen der anderen beachten. Während des Treffens hat man durchaus eine Reihe wichtiger Dinge vereinbart, so die stärkere Kontrolle von Hedgefonds und effizientere Bilanzierungsregeln. Doch der von manchen erwartete große Wurf, teils gar als Idee des Aufbaus einer Art Weltregierung verbreitet, ist ausgeblieben. Dafür sind die Ansichten der Staaten zu Ursachen und Mechanismen der aktuellen Krise, aber auch ihre konkreten wirtschaftlichen Interessen viel zu differenziert und nur schwer auf einen Mindestnenner vereinbar. Während die Europäische Union (EU) mit einem strammen Forderungskatalog inklusive Zeitplänen und Folgekonferenzen in die Verhandlungen ging, warnten die USA bereits vor dem Gipfel vor den Risiken zu konkreter Ergebnisse. Auch die Erwartung, dass ein international akzeptiertes, von allen beteiligten Staaten mit entsprechenden Vollmachten ausgestattetes Organ zur internationalen Finanzkontrolle geschaffen werden könnte, scheint nicht erfüllbar. Von seiner Satzung und Struktur her ist dafür eigentlich schon seit mehreren Jahrzehnten der Internationale Währungsfonds (IWF) geeignet – wenn da auch wesentliche Umstrukturierungen notwendig wären. Der IWF hat sich aber im Laufe seiner bisherigen Tätigkeit in den Augen der meisten Schwellenländer eher diskreditiert und dürfte somit keine ausreichende Vertrauensbasis haben. Außerdem stört nun das Prinzip, nach dem der Vorsitz dieses Gremiums automatisch einem Europäer zufallen muss, während Chef der Weltbank immer ein Amerikaner ist. Zwar hängt in solchen internationalen Gremien bei Weitem nicht alles vom Mann an der Spitze ab, aber eine wesentliche Symbolaussage ist damit schon verbunden. Der erste Inder oder Chinese an der Spitze des IWF könnte ein notweniger Schritt zur politischen Reformierung dieses weltweit agierenden Wirtschaftsorgans im Bereich Geld- und Kreditwesen sein.
Insbesondere ist an dem Gipfel jedoch zu bemängeln, dass die grundlegenden Probleme der Weltwirtschaft in Form ihrer strukturellen Ungleichgewichte wieder nicht zur Sprache gekommen sind. Mit den strukturellen Ungleichgewichten sind vor allem die großen Defizite der USA-Wirtschaft gemeint, die seit etwa vier Jahrzehnten eindeutig über ihre Verhältnisse lebt. Die US-Außenhandelsbilanz, also die Gegenüberstellung von Einnahmen aus dem Export amerikanischer Waren und dem Import ausländischer Waren, fällt sehr negativ aus. Vereinfacht gesagt, solche Wirtschaftsnationen, wie China, Deutschland und Japan produzieren in starkem Maße für die amerikanischen Verbraucher und relativ wenig für den eigenen Markt. Die amerikanische Wirtschaft hängt ziemlich einseitig von Importen ab, die zum großen Teil auf Pump bezahlt werden, während die großen Exportnationen kaum Ausweichmöglichkeiten haben, da die nationale Nachfrage sich nur schwach entwickelt. Dieses Missverhältnis ist insbesondere zwischen China und den USA sehr groß. Die prinzipielle Lösung müsste also sein, dass China mehr im eigenen Land konsumiert, während in den USA heimische Erzeugnisse stärker nachgefragt werden müssten. Das kann man natürlich nicht mit administrativen Mitteln erreichen. Notwendig wäre ein wirklich funktionierender Marktmechanismus, vor allem im Bereich der Wechselkurse. China müsste seine Maßnahmen zum künstlichen Aufrechterhalten eines niedrigen Wechselkurses zum Dollar schrittweise beenden, worunter die preisliche Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Waren leiden würde, und der Dollar müsste drastisch abgewertet werden, wodurch amerikanische Exportwaren billiger und Importwaren in die USA teurer würden. China und die USA – politisch eher keine Freunde – hängen im Moment ökonomisch offensichtlich so stark voneinander ab, dass beide Großmächte solche Schritte fürchten. Dadurch lassen sie, flankiert von den übrigen Teilnehmern solcher „Elefantenrunden“ sehenden Auges zu, dass neue Krisen heranwachsen, deren Folgen die der aktuellen noch spielend übertreffen könnten.
05/12/08