„Es klingt wie Katzen, die an der Gitarre kratzen“, sagt Bekzat und verlässt, wie viele vor ihm den schon fast leeren Raum. Der Pink Pong Club ist eigentlich der einzige Platz in Almaty, der Noise-Performern wie The2vvo eine Plattform bietet. Doch selbst unter Freunden ist Almaty ein hartes Pflaster für experimentelle Künstler wie Lena und Eldar, die die Verwirklichung ihrer künstlerischen Ambitionen lieber in Deutschland suchen.
Töne, von verstörend rau bis verspielt vielschichtig, Licht, abgestimmt auf den Ton. Das Ganze ausgelöst und dirigiert von Menschen, die in technischen Geräten nahezu verschwinden. In diesem Szenario kann man Noise oft erleben – ob in Berlin, oder sonst wo auf der Welt. Diese Strömung zeitgenössischer Musik heißt in der direkten Übersetzung „Krach“. Sie versucht niemanden zu umschmeicheln, im Gegensatz – sie entstand aus Tabubrüchen und Ablehnung und sucht zuweilen das Trauma.
In Europa längst aus dem Untergrund heraus und von Orchestern adaptiert, ist Noise und andere experimentelle Musik in Kasachstan noch ein Buch mit sieben Siegeln. Während in Berlin ganze Festivals neuen abenteuerlichen Klangkonzepten und Kunstrichtungen gewidmet werden, scheint die kasachische Kulturhauptstadt Almaty auf diesem Gebiet wie ein unbestelltes Feld.
Salonfähiger Krach
In Deutschland ist der „Krach“ mittlerweile dermaßen salonfähig, dass er ein Publikum jeglicher Art und jeden Alters anlockt und sogar Konzertsäle füllt. In so einem Konzertsaal, im Berliner HAU 2, befand sich auch Eldar Tagi während des CTM 2017 im Januar. In einem der interdisziplinären Teams des „MusicMakers Hacklab“ entwickelte der Musiker mit anderen Künstlern und Wissenschaftlern ein Tanz-Technology-Projekt zum Thema „Emotionale Erfindung“. Er ist der erste Teilnehmer aus Kasachstan, und das Goethe-Institut Almaty unterstützte seine Reise. Im Gegenzug ist ein Workshop geplant.
Eldar hat eigentlich Journalismus studiert, damit es für die Eltern nach etwas Seriösem aussieht. Seit 14 war er schon in der Musikszene Almatys aktiv. Er war der erste, der ein Indie-Label (Aetherical Records) in Kasachstan gründete und vertritt heute mit seiner Frau Lena wahrscheinlich das einzige ernstzunehmende experimentelle Musikprojekt des Landes. Sie arbeiten audiovisuell, neben Ton sind oft Videokomponenten eingebunden. Manchmal sind es auch ganze interaktive, raumbezogene Soundskulpturen. Der Name The2vvo kommt aus dem Deutschen, von „die zwo“ (die zwei). „Es klingt gut und sieht gut aus“, meint Lena Pozdnyakova, deren erste seriöse Berufung eigentlich Architektur war.
Leben als Abenteuer
Seriös sind beide auch heute, trotzdem sie nicht in ihren primär erlernten Professionen, sondern mit audiovisuellen Kunstkonzepten arbeiten. Lena sieht das Leben als ein Abenteuer, in dem man seinen Träumen und Ideen nachgehen soll. „Wir leben nur einmal und wir wollen nicht immer seriös und stabil sein, auch wenn diese Gedanken immer wiederkehren.“
Wenn Künstler in das eigene Schaffen vertieft sind und nach stetiger Entwicklung streben, stehen sie immer wieder vor einem Dilemma zwischen dem künstlerischen Fortschritt und Geldverdienst. So auch Lena und Eldar, die hin– und hergerissen sind, wie viele junge Künstler. Sie hangeln sich von Künstleraufenthalten zu Künstleraufenthalten, machen Workshops und Lehraufträge, Design und vieles andere, was im Weitesten mit ihrem Schaffen verbunden ist. „Je mehr Zeit man Geldprojekten widmet, desto weniger investiert man in die Entwicklung eigener Arbeiten“, resümiert Lena.
Es ist beiden wichtig, die Balance in Richtung ihrer Kunst zu halten, denn darüber möchten sie sich immer definiert wissen. Deshalb verschlug es Lena neben ihren Aufenthalten in Großbritannien, den USA und Schanghai für einige Jahre nach Deutschland. Seitdem ist sie eng verbunden mit Berlin, wo sie lebte, aber auch Dessau, wo sie studierte und heutzutage in einem Architekturstudio assistiert. Während Berlin für sie zweite Heimat ist, hat sie in Dessau studiert und gearbeitet. Sie mag Dessau, denn man spüre den Geist der damaligen Zeit voller Innovationen – die des Bauhaus. „Es ist eine Geisterstadt – verlassen und schön. Selbst die Straßen fühlen sich besonders an, und es entstehen schräge Charaktere, wie ältere Menschen mit skurrilen Angewohnheiten.“ Eldar fühlt sich am ehesten in Kalifornien wohl, schätzt aber Berlin als Kulturzentrum und wegen der Heterogenität der Musikszene.
Zwischen den Welten
Es scheint fast so, als ob sie die Abstraktion in ihrer Musik auch in der Abstraktion der Orte finden. Seit über drei Jahren sind sie unterwegs. Erst Indien, dann USA, Schanghai, Kenia, nun Deutschland mit vielen anderen Aufenthalten zwischendrin. Nur in Almaty versuchen sie sich nicht zu lange aufzuhalten. Auf die Frage, ob Almaty nicht gerade mit seiner Unvollständigkeit auch inspirierend sein kann, sagt Lena: „Man muss sich abstrahieren können von den Orten. Da, wo man geboren und aufgewachsen ist, hat man immer das Gefühl Anteilnahme am Geschehen zu haben und auch mitverantwortlich zu sein für alle gesellschaftlichen oder historischen Entwicklungen – auch die negativen.“ Almaty verbindet sie auch mit Nostalgie. Eldar ist da eher pragmatisch. Er hat keine Illusionen bezüglich Almaty und Kasachstan. Er hat das Gefühl, sie seien hierzulande ihrer Zeit voraus und aufgrund dessen langfristige Ziele nur im Ausland möglich.
Daran, dass ihre Kunst hier vor Ort kaum angenommen wird, haben sie sich gewöhnt. Derzeit seien hierzulande alle zunächst auf eine private Stabilität und materielle Sicherheit bedacht. Verständlich, dass man sich zunächst um Familie und deren Absicherung kümmern will, in einer Balance zwischen Tradition, Komfort und Zukunftssorgen. Einige Projekte und Musiknischen bietet das Kulturzentrum Almatz. Wie der Pink Pong Club, der internationale Experimentalmusiker nach Kasachstan holt, oder auch Veranstaltungen wie BASS PLACE und Vzletnaya. 2017 soll mit Unterstützung des Goethe-Instituts das Unsound Festival für experimentelle Musik stattfinden.
„Zum Experiment muss man vor allem Mut haben“, so Eldar. Eine vielschichtige Musikszene könne durch intensiven interkulturellen Austausch gefördert werden. Lena fügt hinzu: „Oder es müsste eine große Umwälzung der gegebenen Ordnung passieren, so wie damals Ende der 80er und Anfang 90er Jahre, wo die Perestroika der hiesigen Kunst einen großen Schub ins Zeitgenössische verschaffte.“
Eldar ist der Meinung, dass für eine nachhaltige Musikszene eine neue Generation heranwachsen muss, die alle internationalen Bewegungen verfolgt. „In Kenia, wo Menschen zum Teil sehr arm leben, entwickeln sich viele verschiedene Sprachen des Ausdrucks, den sie u.a. auch im Austausch mit Reisenden oder aus dem Web erfahren.“ Dort sei es teils die einzige Möglichkeit, gehört zu werden. Auch Lena denkt, dass es vor allem um die „Zirkulation der Ideen“ ginge. Besonders wichtig bei solchen avantgardistischen Bewegungen ist auch der Gemeinschaftsgedanke. Konkurrenz untereinander helfe da nicht weiter, vor allem nicht in überschaubaren Szenen.
Wortlose Zeitkritik
Bei prozessorientiertem, aktiven Schaffen kennt man nicht von Anfang an das Ergebnis. An dieser Improvisation finden Lena und Eldar ihren Spaß am Werk. Es soll nur nicht geradlinig, verständlich, oder augenscheinlich sein. „Wenn du alles verstehst, wie so oft bei Popmusik, passiert ja kaum etwas mit dir.“ Erklärt Eldar seinen konzeptuellen Sound. Geht man von dem Stimmlichen weg, kann man sich zugleich auch nicht angreifbar machen. Ohne Worte und mit Abstraktion entsteht dabei trotzdem ein zeitkritischer Ausdruck. Noise selbst ist schon Ausdruck von Provokation. „Ich glaube nicht daran, dass ein modisches Shirt dem Selbstausdruck dient. Ich kann manchmal nicht glauben, wie man hierzulande irgendwo fröhliche Popmusik spielen kann. Aber überall spielt Popmusik.“ Musik erlaubt es, sich anders politisch auszudrücken. Auf eine Art, die vielleicht sonst nicht möglich ist. Auch in Kasachstan kann man sich so manchmal besser ausdrücken.
In Kasachstan fehlt es solchen Musikern an Zuspruch und damit auch Motivation. Eine übersichtliche Noise-Szene existiert lediglich im benachbarten russischen Sibirien. Deshalb sehen sie jegliche Publikumsreaktionen in ihrer Heimatstadt als Erfahrungen mit der Performance. Und das führt unweigerlich zu einer pointierten Entwicklung der Gesellschaft. Denn man kann nicht wahrnehmen und nicht nicht erleben. Es geht oft darum, Leuten überhaupt die Existenz dieser Welt zu zeigen. Dafür müsse man, so Eldar, „kompromisslos seine Ideen verfolgen und versuchen, diese immer wieder an neues Publikum zu bringen.“
„Die Zukunft der Musik ist nicht Musik“
Musik kann eine starke soziale und politische Bedeutung haben, bzw. diese entwi-ckeln. Sie kann verschiedenste emotionale Zustände hervorrufen, nicht davon zu reden, dass sie sogar zum Foltern benutzt wird. „Ich denke, eine musikalische Ordnung, an die man durch Popmusik gewöhnt ist, ist für mich persönlich nicht wichtig. Ich will Sounds entwickeln, immer Neues ausprobieren. Vielleicht ist „Musik“ auch nicht mehr der entsprechende Terminus.“ Eldar zitiert an dieser Stelle immer gern russische Avantgardekünstler, die einst sagten: „Die Zukunft der Musik ist nicht Musik.“
Dialog ist seit jeher Vorbote jeglicher Entwicklung und jeglichen Diskures, die Prämisse für Veränderungen. Künstler wie Eldar und Lena können als diskurstreibende Kräfte angesehen werden. Ganz gleich, wie viele Menschen sie derzeit in ihrem Heimatland wahrnehmen, sind ihre Arbeiten überall die Impulse einer zeitgenössischen, offenen und gesellschaftsverändernden Weltsicht.
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