Die Kulturschaffenden Ira Peter und Edwin Warkentin vermitteln in ihrem Podcast „Steppenkinder. Der Aussiedler Podcast“ Wissen über (Spät-)Aussiedler aus postsowjetischen Staaten. Gemeinsam mit Experten beleuchten sie Mitgebrachtes und Zurückgelassenes aus Migrationsgeschichten – faktenbasiert, tiefgehend, gut verständlich und mit vielen persönlichen Geschichten.

Aufgewachsen in einem sozialistischen System, Auswanderung und Neuanfang – solche und viele andere Erfahrungen teilen Aussiedler aus postsozialistischen Staaten, die heute in Deutschland leben. Der neue Podcast „Steppenkinder“ will das Besondere der Russlanddeutschen als eine Gruppe der Aussiedler sichtbar machen. Gleichzeitig geht es den Machern Ira Peter und Edwin Warkentin darum, einer breiten Öffentlichkeit Wissen zu übergreifenden Themen wie Identität, Erinnerungskultur, Migrations– oder Integrationserfahrung zu vermitteln. Dafür sprechen sie mit Interviewgästen aus Wissenschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft.

Ira Peter ist Medien– und Kulturschaffende, Edwin Warkentin beschäftigt sich als Kulturreferent für Russlanddeutsche am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold ebenfalls mit der Vermittlung von Kultur und Geschichte dieser etwa drei Millionen bundesdeutschen Mitbürger. Beide gehören selbst zur „mitgebrachten Generation“, die im Kindes- und Jugendalter mit ihren Familien aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen.

„Und dann stand ich vor dieser Totenstadt. Es wurde immer dunkler, der Sternenhimmel immer breiter, plötzlich heulten dann auch noch Wölfe im Hintergrund und ich bekam Nasenbluten“, erinnert sich Edwin Warkentin an ein Erlebnis als Neunjähriger in der kasachischen Steppe. Und weil beide zudem wie ein Großteil der (Spät-)Aussiedler aus Steppenregionen stammen, nennen sie ihren Podcast „Steppenkinder“.

Gemeinsame Erfahrungen als Minderheit

In der ersten Folge stellen sie ihre persönlichen Geschichten vor, die stellvertretend für viele russlanddeutsche Biografien stehen. Dabei zeichnen sie ihre und die Wege ihrer Familien nach: „Allein anhand unserer Familiengeschichten sieht man, wie heterogen die Gruppe der Russlanddeutschen ist“, sagt Ira Peter, nachdem Edwin Warkentin über seine Vorfahren berichtet hat. Während diese aus Westpreußen und Hessen an die Wolga beziehungsweise nach Sibirien auswanderten, kamen Ira Peters Ururgroßeltern aus Ostpreußen und lebten bis zur Deportation unter Stalin im ukrainischen Wolhynien.

Gemeinsam haben sie aber alle die Steppen– und die Wanderungserfahrungen. Die Erfahrungen einer deutschen Minderheit in einem sozialistischen System der Nachkriegszeit teilen sie zudem mit vielen anderen Aussiedlern, aber auch mit Ostdeutschen, wenn es um das Verhältnis von Mensch und System geht.

Weil die Hintergründe der Russlanddeutschen nur verständlich werden, wenn „die einzelnen Geschichten erzählt werden“, so Kornelius Ens, Leiter des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold, widmet sich der Podcast in der zweiten Folge dem Thema Erinnerungskultur. Hier erklärt Ens, wie das kollektive Gedächtnis der Russlanddeutschen im Laufe der Jahrzehnte unter Stalin bis hin zur Perestroika nachhaltig gestört wurde. Und warum es wichtig ist, kollektive Erinnerungen einer Gruppe wie derjenigen der Aussiedler im Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft zu pflegen und an der Erinnerungskultur zu arbeiten.

Nu pagadi statt Sandmännchen

Individuelle Erinnerungen tragen zu unserer Identität bei, geteilte Erinnerungen zu Gemeinschaftsidentitäten. Ira Peter erinnert sich an ihren ersten Schultag an einem 1. September in der kasachischen Steppe. Diese Erinnerung ist aber nicht dieselbe, die sie mit ihren späteren Mitschülern im süddeutschen Odenwald teilt. „Nu pagadi“ (das sozialistische Pendant zu „Tom und Jerry“) und nicht das Sandmännchen bildet die Trickfilmsozialisation ihrer Kindheit. Dafür kann sie sich darüber mit anderen „Steppenkindern“ wie Edwin Warkentin austauschen.

Um schneller am neuen Ort mitreden zu können, hatte dieser sich als Teenager die Gesprächsthemen seiner neuen Mitschüler angeeignet: Bundesliga, Grunge, Sitcoms. Heute teilt er damit gemeinsame Erinnerungen der deutschen Generation Y und kann mit seinen Gleichartigen in Erinnerung „an damals“ schwelgen.

Gemeinsame Erinnerungen teilen sich Angehörige der gleichen Generation oder auch Menschengruppen aus dem gleichen Umfeld. Erinnerungskultur entsteht aus der bewussten Pflege gemeinsamer Motive. Sie ist wichtig für die Identität eines Individuums, damit es sich als Teil eines Ganzen verstehen kann. Ein grundlegendes anthropologisches Bedürfnis ist, sich nicht allein zu fühlen. Insofern ermöglichen gemeinsame Erinnerungen auch Würde, da sich das Individuum in einen größeren Kontext eingebettet fühlt, so Kornelius Ens im Gespräch mit Ira Peter und Edwin Warkentin.

Steppenkinder und Ostdeutsche mit Parallelen

Dass Deutsche aus Russland viele Parallelen zu anderen Aussiedlern aus postsozialistischen Staaten wie Polen oder Rumänien, aber auch mit Ostdeutschen aufweisen, beleuchtet der Podcast in der dritten Folge in einem Interview mit der bekannten russlanddeutschen Schriftstellerin Eleonora Hummel. Es sind die gleichen historischen Voraussetzungen, die zu diesen Prozessen führten und in den 1980ern mit der Entspannungspolitik zwischen Ost und West begannen.

Im Osten erlaubte Gorbatschows Liberalisierungspolitik es Sowjetbürgern, ab 1988 ins Ausland zu reisen oder dauerhaft auszuwandern. Und das wiedervereinigte Deutschland erleichterte 1990 mit seinem neuen Aussiedlergesetz deutschstämmigen Aussiedlern und Menschen mit jüdischem Hintergrund aus ehemals sowjetischen Ländern die Einreise und die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft.

Trotzdem spielt bei den Debatten um die Wiedervereinigung die Perspektive dieser Einwanderergruppen selten eine Rolle, finden Ira Peter und Edwin Warkentin. Woran das liegt, welche Gemeinsamkeiten Aussiedler mit Ostdeutschen haben und welche Unterschiede, darüber sprechen sie mit Eleonora Hummel.

In der DDR nie richtig angekommen gefühlt

Die aus Kasachstan stammende Autorin wanderte mit ihrer russlanddeutschen Familie 1982 in die DDR aus und erlebte die deutsch-deutsche Wiedervereinigung als Ost– und Russlanddeutsche. Weil sie bereits seit 1982 in Dresden lebt – zunächst als sowjetische Ausländerin mit unbefristetem Bleiberecht –, vereinigt sie in sich beide Perspektiven: die der Ostdeutschen und die der Russlanddeutschen.

Eleonora Hummel

„Die DDR war eine Notlösung. Meine Eltern wollten ab Ende der 1950er Jahre in die Bundesrepublik ausreisen. Aber alle Ausreiseanträge wurden abgelehnt, weil wir dort keine Verwandtschaft ersten Grades hatten. Mein Vater hat dann den Tipp bekommen, es mit der DDR zu versuchen. Das war ja unser sozialistisches Bruderland, und tatsächlich sind wir so in Dresden gelandet. Wir sind mit der Erwartung in die DDR gekommen, dass wir dort als Deutsche anerkannt werden. Gleich am ersten Tag in der Schule wurde ich als Russin vorgestellt. Und damit war ich ab sofort die Russin. Aussiedler, die Bezeichnung gab es damals nicht, gab es in der DDR kaum“, erzählt Eleonora Hummel.

Am 9. November 1989, dem Tag des Mauerfalls, war sie 18 Jahre alt: „Ich habe mich nie richtig in der DDR angekommen gefühlt und konnte mir nicht vorstellen, in diesem System alt zu werden. Deswegen wollte ich unbedingt in die USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Natürlich hat niemand zu der Zeit geglaubt, dass es zum Mauerfall kommt. Und dann kam er doch. Was ich an dem Tag genau gemacht habe, kann ich mich nicht erinnern. Aber in dem Moment hat sich ein ganz großer Wunsch erfüllt: Freiheit und Demokratie waren nun zu mir gekommen.“

Schicksalsgemeinschaft der Russlanddeutschen

Als die Mauer fiel, war sie „immer noch sowjetische Ausländerin“. Sie musste einen Antrag auf Austritt aus der sowjetischen Staatsbürgerschaft stellen, denn das war die Voraussetzung für die deutsche Staatsangehörigkeit.

Auf die Frage, als was sie sich bezeichnen würde, als Ostdeutsche, Deutsche, Russlanddeutsche oder Kasachstandeutsche, heißt es dann: „Ostdeutsche bin ich nicht. Wir haben da eine zu unterschiedliche Geschichte. Wenn ich sage: Ich bin in Kasachstan geboren, habe aber deutsche Wurzeln und fühle mich als Deutsche – das wollen viele nicht akzeptieren. Russlanddeutsche sind durch eine Schicksalsgemeinschaft verbunden. Unter Russlanddeutschen muss ich meine Geschichte nicht erklären. Da entsteht sofort eine Verbundenheit. Also bezeichne ich mich am ehesten als Russlanddeutsche.“

Alle zwei Wochen gibt es eine neue Folge. Der „Steppenkinder-Podcast“ ist über gängige Anbieter wie Spotify und iTunes kostenfrei verfügbar sowie auf der Webseite des Museums für Russlanddeutsche Kulturgeschichte zu finden: www.russlanddeutsche.de.

Informationen über die Macher und die Produktion finden Interessierte auch auf: www.instagram.com/steppenkinder

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