Die Internationalisierung von Hochschulen ist ein zentraler Aspekt, um Studierende und potentielle Nachwuchswissenschaftler weltweit für Deutschland zu interessieren und international zu vernetzen. Tobias Stüdemann von der Freien Universität Berlin befasste sich jahrelang mit dieser Aufgabe und betreute von seinem Verbindungsbüro in Moskau aus den postsowjetischen Raum. Die neuen geopolitischen Gegebenheiten führten im vergangenen Jahr zur Verlegung des Büros nach Georgien. Wir haben mit ihm über seinen Werdegang, seine privaten und beruflichen Veränderungen sowie über Chancen für Bildungspartnerschaften zwischen Deutschland und Zentralasien gesprochen.
Herr Stüdemann, zu Beginn eine persönliche Frage: Wie kamen Sie zu Ihrem Interesse an Osteuropa und letztendlich zu Ihrer Position als Bindeglied der Freien Universität Berlin und dem postsowjetischen Raum?
Einerseits war das eher ein Zufall. Andererseits durch meine Mutter. Ihr ist es zu verdanken, dass ich ab der ersten Klasse in der Waldorfschule in Bremen Russisch als zweite Fremdsprache gelernt habe. Ich habe dann meinen Zivildienst in Moskau absolviert und mich auch im Rahmen meines Jurastudiums mit russischem Recht befasst. Anschließend wollte ich meine guten Russischkenntnisse in meinen Beruf miteinbeziehen. Die Stellenausschreibung der Freien Universität kam für mich dabei ganz gelegen, und nun bin ich schon seit 2010 für die Universität tätig.
Wie wichtig sehen Sie die Internationalisierung von Hochschulen?
Für junge Leute ist es sehr gut, wenn sie ein internationales Profil entwickeln, da viele Fragen heutzutage nur in gemeinsamen Bemühungen beantwortet werden können. Klima, Migration, Pandemien – bei diesen und vielen anderen Themen hilft die internationale Komponente eines Studiums unheimlich weiter und macht die Absolventen attraktiver für spätere, potentielle Arbeitgeber.
Wie war für Sie der Umzug von Moskau nach Tbilissi?
Wer mal international umgezogen ist, weiß, was das für eine technische Herausforderung ist. Persönlich war es für mich ein interessanter Moment, weil meine Lebensplanung nicht vorsah, dass das Büro aus Moskau verlegt wird. Es ist natürlich nun ein trauriger Anlass, aber für mich persönlich war das ein neuer Anlauf mit einer Neufokussierung.
Hat sich möglicherweise damit verbunden auch Ihre Arbeit geändert? Beispielsweise durch eine andere Schwerpunktsetzung?
Ich hatte bereits zwölf Jahre Erfahrung mit der Internationalisierung der Universität; vor allem wie man Interessen identifiziert und Projekte angeht. Wir hatten bereits Anfang 2022 ein Strategiegespräch darüber, wie wir das Büro breiter aufstellen können. Die tragischen Umstände haben das natürlich jetzt beschleunigt, so dass wir nun mehr von Georgien aus auf Zentralasien und Osteuropa blicken, allerdings ohne Kooperation mit Russland. Allerdings muss ich dazu sagen, dass die Russische Föderation nicht ganz aus unserem Tätigkeitsbereich rausfällt; es besteht weiterhin großes Interesse russischer Studierender an der Aufnahme eines Studiums an der Freien Universität.
Wir haben eine gleichbleibende Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern, die bei uns gerne studieren möchten. In unserem Programm für geflüchtete und bedrohte Wissenschaftler haben wir nicht nur Kollegen aus der Ukraine, sondern auch aus Russland aufgenommen. Weiterhin ist es auch meine Aufgabe zu beobachten, was in der Wissenschafts- und Hochschullandschaft passiert, um einschätzen zu können, was wir in der Zukunft mit den aktuell eingefrorenen Partnerschaften machen wollen und können. Kooperieren tun wir nun verstärkt mit dem Südkaukasus und eben Zentralasien. Zur zweiten Jahreshälfte des kommenden Jahres wird Kasachstan einer unser Arbeitsschwerpunkte werden.
Sie waren ja vor einiger Zeit bereits in Astana und haben den dortigen Studenten die Möglichkeiten der Aufnahme eines Studiums in Deutschland präsentiert. Wie würden Sie das Interesse daran von Seiten kasachstanischer Abiturienten beschreiben?
Kasachstan hat leider durch die „Drei-Sprachen-Politik“ andere westliche Fremdsprachen abseits des Englischen vernachlässigt. Wir haben, wie auch andere Universitäten, natürlich ein Interesse daran, dass unsere ausländischen Studierenden auch Deutsch können. Gerade für diejenigen, die während des Studiums arbeiten müssen, um sich etwas für ihren Unterhalt dazuzuverdienen, sind Deutschkenntnisse wichtig. Auch die Möglichkeiten für (Pflicht-) Praktika erweitern sich dadurch enorm. Ich glaube, dass wir hierbei von deutscher Seite in Kasachstan mehr tun müssen, um zu erläutern, warum die Kenntnis der deutschen Sprache von Vorteil ist.
Die Veranstaltung, die wir auch in Astana abgehalten haben, richtet sich an Eltern und Jugendliche, die potentiell in Deutschland studieren könnten. Dabei ist wichtig, dass beide anwesend sind, da es letztendlich häufig eine gemeinsame Entscheidung ist: Beide Parteien müssen wissen, worauf sie sich einlassen. Gerade der Wechsel von einem „begleitenden System“ an kasachischen Schulen und Universitäten zur „akademischen Freiheit“ und Selbstverantwortung, die an deutschen Universitäten herrscht, ist ein wichtiger Punkt bei unseren Veranstaltungen.
Das Betreuungsverhältnis von Schüler und Studierenden in Kasachstan ist vielerorts um einiges besser als in Deutschland, das muss den Interessenten bewusst sein. Es geht also nicht nur um gute Noten, sondern in gewisser Weise um das Erwachsensein. In Kasachstan scheint mir das Interesse an einem Studium in Deutschland sehr groß zu sein. Wie bereits erwähnt, fehlt es hier und da aber noch an Sprachkenntnissen, was auch leider das Niveau des Englischen betrifft, welches für z.B. ein Masterstudium vielfach ausreichend ist, um in Deutschland kostenlos zu studieren.
Kasachstan wird mittlerweile immer öfter von deutschen Organisationen als ein interessanter Partner für Bildungszusammenarbeit angesehen. Welche Chancen sehen Sie hier für Kasachstan und Deutschland?
Chancen gibt es immer. Die Herausforderung ist, dass Kasachstan – wie viele der ehemaligen Sowjetrepubliken auch – bisher nicht im breiten Fokus stand. Meiner Meinung nach haben wir jetzt ein Zeitfenster, in welchem wir nicht mehr mit Russland und noch nicht mit der Ukraine zusammenarbeiten können, welches wir nutzen sollten. Hier erfährt jetzt unter anderem Zentralasien eine notwendige Aufmerksamkeit. Zentralasienkompetenz zu entwickeln ist natürlich eine große Aufgabe. Ich hoffe, dass wir die Zahl der Projekte steigern können und sehe gute Chancen für eine Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern.
Zum Abschluss eine kleine Prognose: Wo sehen Sie die Bildungspartnerschaften Deutschlands mit Zentralasien in zehn Jahren?
Nochmals – das Potenzial ist sehr groß. Nehmen wir allein die Lage der zentralasiatischen Länder zwischen so mächtigen Akteuren im Norden und Osten, der islamischen Welt und Europa und die sich daraus ergebenden Fragestellungen. Die zunehmende Zugänglichkeit regionaler Daten und Archive birgt viele spannende Forschungsfragen und große Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit, da hier vieles bisher kaum erforscht ist und deutsche Partner u.a. moderne Methoden einbringen können.
Letztendlich hängt es davon ab, ob wir es schaffen, genügend Interesse an Kasachstan aufzubauen. Ich bin optimistisch, dass die starke historisch gewachsene Fokussierung auf Russland aufgeweicht wird und auch auf Dauer bestehen bleibt, da man erkannt hat, dass die ehemalige Sowjetunion eben nicht nur aus der Russischen Föderation besteht, sondern es noch 14 andere Staaten gibt, die sich in den letzten 30 Jahren ganz unterschiedlich entwickelt haben. Ich hoffe, dass wir da in den nächsten Jahren gemeinsam mit unseren kasachischen Kolleginnen und Kollegen viel erreichen können.