Die Bewohner zweier Stadtteile in Almaty fürchten um ihre Wohnungen. Viele der baufälligen Gebäude könnten abgerissen werden, um Platz für Neues zu schaffen. Die Initiative „Urban Forum Kazakhstan“ schlägt dagegen eine differenzierte Vorgehensweise vor – und ruft zum Dialog zwischen Behörden, Baufirmen und Einwohnern auf.

Abriss oder Sanierung – mit dieser Schicksalsfrage fühlen sich aktuell zwei historische Stadtteile in Almaty konfrontiert. Sie liegen auf dem Gebiet des ehemaligen Kasachischen Instituts für Ackerbau und des früheren Biokombinats der Stadt; viele der zwei- bis dreistöckigen Häuser aus den 1950er Jahren sind in einem schlechten Zustand.

Durch das staatliche Programm „Nurly Zher 2020-2025“ könnten sie künftig ganz verschwinden. Denn dort ist mit „Sanierung“ der Abriss von baufälligen Behausungen in alten Stadtvierteln gemeint. Was als „baufällige Behausung“ gilt, ist jedoch gesetzlich nicht definiert. Die Auslegung des Begriffs obliegt der jeweils zuständigen städtischen Ausführungsbehörde. Die Genossenschaft „SPK Almaty“, die dem Akimat der Stadt angehört und sich als Brücke zwischen Staat und Business positioniert, muss das Rückbauprogramm der Stadt noch veröffentlichen. Das Programm wurde allerdings ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit oder eines Expertenkreises erarbeitet.

Urban Forum Kazakhstan für mehr Transparenz

Einen anderen Weg geht die Öffentliche Stiftung „Urban Forum Kazakhstan“ (UFK). Die Organisation hat im vergangenen Jahr mit finanzieller Unterstützung der Soros-Stiftung Kasachstan eine Studie zur Bebauung der Stadtteile gestartet, um zu untersuchen, wie man die betroffenen Gebäude sanieren kann, ohne sie abzureißen. Die Arbeitstitel lauten nach der Lage der Gebiete „KIZ“ für „Kasachskij Institut Zemledelija, also „Kasachisches Institut für Ackerbau“ (in der Nähe des Geschäftszentrums Atakent), und „Schewtschenko“ (nicht weit vom Auesow-Theater). Ausgangspunkt des Projekts war die Bitte einer Initiativgruppe von Abrissgegnern an das UFK, die Zivilgesellschaft auf das Thema aufmerksam zu machen. Denn eine Vielzahl von Bürgeranfragen zu dem Thema legte nah, dass es an offiziellen Informationen mangelte.

Am Freitag nun wurden die Ergebnisse der Studie im kasachischen Presseklub vorgestellt, wobei die Autoren zunächst den interdisziplinären Ansatz erläuterten. So umfasste die Studie eine architektonische Bewertung der Häuser, die Durchführung soziologischer Umfragen, Interviews mit Bewohnern, Vertretern von lokalen Geschäften sowie Eigentümergemeinschaften, und eine Fallstudie zur internationalen Praxis. Auch Empfehlungen für die Behörden werden im Rahmen der Studie demnächst ausgearbeitet.

Der Mitbegründer des UFK Adil Nurmakow nannte das Projekt einen Versuch, Mechanismen zur Sanierung in Almaty wissenschaftlich zu analysieren. Es sei weder lobbyistisch noch aktivistisch. Bei ihrer Arbeit stießen die Forscher jedoch auf Misstrauen bei den adressierten Einwohnern, wie Akbota Saduakassowa, Vertreterin der vom UFK beauftragten Soziologengruppe, schilderte. So sei es schwer gewesen, deren Vertrauen zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass die Forscher keine Vertreter des Akimats oder von Bauunternehmen seien. Die Studie, so Saduakassowa, habe letztlich gezeigt, dass die Betroffenen keine Kenntnis von Bebauungsplänen, aktuellen Verfahren und Entschädigungsmöglichkeiten hätten, da es an transparenten Informationen seitens der Behörden mangele.

Rayone mit langjähriger Geschichte und eigener Identität

Was die Forscher im Zuge der Studie am meisten interessierte, waren die Meinung der Einwohner und ihre Sorgen und Nöte, so Saduakassowa. Bei den Interviews hierfür seien sowohl Abrissbefürworter als auch -gegner zu Wort gekommen. Die Umfrage mit 192 Personen habe aber gezeigt, dass die Aussicht auf einen Abriss der Gebäude den meisten Schmerz bereite. In den betroffenen Gebieten wohnen mehrere Generationen, die starke persönliche Verbindungen mit ihren Häusern haben und mit ihren Rayonen sehr zufrieden sind.

Allerdings können sie kaum langfristige Pläne schmieden, da sie nicht wissen, ob sie ihre Wohnungen behalten können. Vor einem anderen Problem stehen die Bewohner von Behausungen in wirklich schlechtem Zustand: Deren Lebensbedingungen bessern sich nicht, weil die Eigentümergemeinschaften die Versorgung von zweistöckigen Häusern unrentabel finden. Zudem könnten die Gebäude ja eh abgerissen werden.

Bebauung, ohne Stadtbild zu schädigen

Alina Beissenowa, Leiterin einer Architektengruppe, nannte den möglichen Komplettabriss ganzer Straßenviertel unverhältnismäßig und ineffizient. Schließlich, so Beissenowa, sei der größte Teil der Häuser in gutem Zustand. Zudem hätten die Viertel eigene Identitäten, und deren Verlust würde der ganzen Stadt schaden. „Man sollte das nicht als Baufläche ansehen“ stimmte Nurmakow zu. „Das sind Rayone mit langjähriger Geschichte, die Häuser haben unterschiedliche Baujahre und Typen“. Ein einheitlicher Ansatz sei daher nicht möglich. Stattdessen müsse man mit jedem Eigentümer individuelle Diskussionen führen.

Die Architekten schlagen drei Szenarien als Lösung vor: Eine Modernisierung der bestehenden Häuser, die gezielte Rekonstruktion von Notunterkünften, und Komplettabrisse, gefolgt von einer Bebauung mit neuen drei- bis vierstöckigen Häusern – allerdings ohne das Stadtbild zu beschädigen. Dementsprechend solle man einen tektonischen Bruch bei etwaigen Bauvorhaben berücksichtigen, der im südlichen Teil des „KIZ“-Gebiets verläuft. Beissenowa machte auch Vorschläge zur effizienteren Platznutzung, etwa in Innenhöfen. So hätten Schuppen, in denen die Menschen zu Sowjetzeiten Kohle lagerten, ihre Funktion verloren. Auch seien Innenhöfe mit Autos vollgeparkt, was zudem eine Gefahr für Kinder darstellt. Dass Innenhöfe kinderfreundlicher gebaut sein könnten, zum Beispiel durch Spielplätze, wurde auch in der Umfrage moniert.

Internationale Praxis

Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR rückte nach der Wende die Frage nach dem Schicksal der sozialistischen Plattenbauten in den Fokus. Auch hier lautete zunächst die einzige Antwort: Abriss. Vielerorts ging man jedoch dazu über, umzubauen statt abzubauen, und so die endlos langen Plattenbauwüsten in lebenswertere Einzelhäuser zu transformieren – was letztlich eine günstigere Variante war als die Schaffung kompletter Neubauten.

Die Fallstudie des Urban Forum Kazakhstan zeigte Ansätze zur Renovierung sowohl aus dem Westen als auch aus dem Osten auf. In Großbritannien etwa spielt der unabhängige Design-Rat bei der urbanen Landschaftsplanung eine große Rolle. Darüber hinaus werden durch „Design-Werkstätten“ die Öffentlichkeit und die betroffenen Einwohner in die Planungen einbezogen. In den USA sind dagegen Abkommen über soziale Leistungen verbreitet. Einwohner und lokale Organisationen informieren Behörden und Baufirmen vor dem Beginn von Bauarbeiten, woran in der Gemeinschaft besonderer Bedarf besteht. Die Wünsche werden dann in einem Abkommen verankert. Außerdem wird der Einfluss auf die Umwelt im Zuge von Bauarbeiten analysiert.

Beteiligte Lager sollen kooperieren

Die Autoren der Studie kommen letztlich zum Schluss, dass der aktuelle Ansatz bei Sanierungen in Almaty in erster Linie den Bauunternehmen zugutekommt. Sie empfehlen daher, dass ein neues Konzept erarbeitet wird und der Öffentlichkeit dabei eine größere Beteiligung zukommt. UFK-Chef Adil Nurmakow setzt dabei auf Kooperation zwischen den beteiligten Lagern. Er hofft, dass die Studie seiner Organisation den Grundstein für einen Dialog zwischen der Bevölkerung und den Behörden legen wird. Die Empfehlungen sollen noch in einem Dossier veröffentlicht werden.

Zumindest die Bewohner der Häuser im „KIZ“-Gebiet müssen wohl zunächst doch nicht bangen. Noch während die Vorbereitungen für die Präsentation der Studienergebnisse liefen, hieß es, dass das Gebiet inzwischen aus dem Programm herausgenommen worden sei. Unklar bleibt dagegen weiter das Schicksal des Gebiets aus dem „Schewtschenko“-Teil der Studie, wo sich die Einwohner uneinig sind. „Sie brauchen transparente Informationen von den Behörden, um eine Entscheidung zu treffen“, erklärt Nurmakow.

Aizere Malaisarova

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