Auf Einladung der aus Deutschland stammenden Baptistin Andrea Blanc – sie lebt seit mehr als einer Dekade in Kasachstan und ist hier verheiratet – begab sich die Redaktion der DAZ zum Haus der Hoffnung in Schanyrak an der Peripherie Almatys.

Auf Einladung der aus Deutschland stammenden Baptistin Andrea Blanc – sie lebt seit mehr als einer Dekade in Kasachstan und ist hier verheiratet – begab sich die Redaktion der DAZ zum Haus der Hoffnung in Schanyrak an der Peripherie Almatys.

Vom Redaktionssitz im Deutschen Haus, den Einkaufspalast Ramstore mit Eisbahn im Sommer passierend, begeben wir uns nach Schanyrak zum Haus der Hoffnung. Anfangs schlängelt sich die Maschrutka 554 durch dichten Stadtverkehr, dann an Schlaglöchern vorbei. Die Gegend im Norden der Stadt hat zwar eine prächtige Moschee, aber sie braucht Hoffnung.

Auf den ersten Blick überwiegt staubige Tristesse. Hier leben vorrangig Kasachen, die aus benachteiligten Gegenden stammen – wie beispielsweise dem Gebiet um den Aral-See – oder solche Landsleute, die das neue Kasachstan aus dem Ausland lockte. Verheißungen der Metropole und Hoffnungslosigkeit in der Heimat ließen sie alle hierher kommen. Gemäß offiziellen Angaben leben 25.000 hier. Inoffiziell sollen es 50.000 sein.

Mit Gelegenheitsarbeit wird der kärgliche Lebensunterhalt verdient. Die Kälte des Winters lässt die Kriminalität hier ansteigen, so Andrea, denn die Menschen hätten dann oft zu wenig zum Heizen. Kinder an jeder Straßenecke des Viertels. Mit wenig materiellem Reichtum doch mit Kinderreichtum sind die Familien hier gesegnet. Die große Schule des Viertels arbeitet im Dreischichtbetrieb.

Ein Haus der Hoffnung, wie es die Baptistengemeinde hier betreibt, scheint genau richtig am Platz. Hilfe tut Not – ob aus religiöser oder aus humantitärer Handlungsmotivation. Schwer zu finden ist das Haus der Hoffnung der Baptisten dennoch. Hausnummern gibt es keine hier, und der einfache Mann auf der Straße scheint nur den Ort zu kennen, an dem er sich gerade befindet. Direkt neben dem Grundstück mit der Nummer 945 taucht unterwartet die gesuchte Nummer 702/703 auf. Wir sind am Ziel.

Gerne führt man uns durch das Haus der Hoffnung. Auch wenn vieles noch im Bau ist. Einige Mädchen wohnen hier. An der Tür zu ihrem Quartier strenge Hausregeln. Es gibt Nähmaschinenkurse hier, ein taubstummer junger Kasache hat Arbeit als Hausmeister gefunden, eine kinderreiche Familie zum Selbstkostenpreis Obdach. Man organisiert Krankenhausbetten oder Rollstühle aus dem westlichen Ausland. Andrea erzählt, wie ein Mann, der Jahrzehnte nur das Leben auf den Knien kannte, durch einen Rollstuhl ein neues Leben und Perspektiven gewann.

Andrea bittet uns in die für den heutigen Abend aufgestellte Jurte im Hof des Hauses. Natürlich ist die nicht extra für uns errichtet, sondern für Bruder Ullrich aus Deutschland. Er stattet der hiesigen Baptistengemeinde einen Besuch ab. Bei einem reichlichen kasachischen Mahl und vor kasachstanischen Schwestern und Brüdern aller Ethnien erzählt uns Andrea von ihrer Arbeit hier. Von den vielen Baptistengemeinden im Land, einem Kinderheim, in dem erst einmal eine Waschmaschine vonnöten ist, von gescheiterten Existenzen, die eine zweite Chance brauchen oder ihrer Adoption der kleinen dreijährigen Anna. Sie erzählt auch, wie schwer es wäre, hier zwischen Gut und Böse zu trennen. In einer Gesellschaft mit wenig Vertrauen und auf der Suche nach dem täglich Brot gäbe es kein Schwarz-Weiß. Es wäre schwer, zu wissen, wen man achten soll – doch das Christentum könne vergeben und Gemeinschaft stiften. Glaube ist ihr sehr wichtig – der konkrete humanitäre Aspekt bei allem, was sie tut, mindestens genauso.

Uns gegenüber sitzt Serik. Er verbrachte elf Jahre im Gefängnis und war dort zu Anfang durch rohen Umgang, Bandenaktivität und nicht Nächstenliebe bekannt. Heute ist der Vierzigjährige streng gläubig und besucht wie die meisten anderen männlichen Gäste in der Jurte – die alle mit oder ohne Umwege zum Glauben kamen – eine Priesterschule der Baptisten. Aufmerksam lauschen alle Gäste dann Bruder Ullrich und seinem Gebet. Andrea übersetzt die Worte des 33-jährigen Deutschen. Serik scheint in tiefer Rührung. Christentum und Bruder Ullrich in der Jurte, der als junger Mann hier in Kasachstan älteren Geschlechtsgenossen den Weg weisen will, stimmen nachdenklich. Das soziale Engagement und die charismatische Leichtigkeit, mit der Andrea Glauben und Hilfe verbindet – sie hat ihren Weg gefunden – ist beeindruckend. Der missionarische Drang der Brüder Seriks lässt uns doch eher nachdenklich nach Hause fahren.

Hoffnung, Hilfe und eine zweite Chance brauchen viele Menschen in Schanyrak und im ganzen Land. Ohne die sozialen Handlungsmuster zu entwerten: Der christliche Abend in der Jurte wirkte weniger als Anregung zur Reflektion über die Probleme des Landes, sondern vielmehr als missionarische Anleitung in hier eigentlich altbekannten Allheilsdenkschemata.

09/09/05

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