In Deutschland ist seit einer Woche der Teufel los. Anlass ist die Entdeckung, dass eine große Anzahl vermögender Privatpersonen über Jahre systematisch und in großem Stil Steuern hinterzogen hat. Dabei geht es nicht um ein paar Zehntausende Euro, sondern um Hunderte von Millionen, demnach um Milliarden transferierte Summen.

Das Pikante daran ist, dass es sich bei den Tätern mitunter um sehr prominente Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik handelt. Der bekannteste Fall ist der des Herrn Klaus Zumwinkel, des ehemaligen Geschäftsführers der Deutschen Post. Das Schema des Steuerbetrugs geht in etwa so: Legal verdientes Geld wird nach Lichtenstein, Andorra oder die Schweiz gebracht. Dort haben sich Rechtsanwälte darauf spezialisiert, die in diesen Ländern legalen Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Geld bei den ansässigen Banken so anzulegen, dass der Name des Kunden nirgendwo erscheint.

Deutsche Staatsanwälte haben jetzt die Spuren der illegalen Geldströme aufgedeckt und sind dabei, die Wohnungen und Büros der Prominenten zu durchsuchen, Beweismaterial mitzunehmen und nicht selten auch gleich den Haftbefehl zu vollstrecken.

Deshalb wird in Deutschland öffentlich diskutiert, warum vermögende Leute wie Zumwinkel, der jährlich etwa vier Millionen Euro verdient, durch Betrug des Staates und damit aller Bürger noch reicher werden können? Ist es bloße Gier, die dem Menschen innewohnt? Ist es das Gefühl eines ungerechten Steuersystems oder ist es sogar eine Art Sport? Die Antworten darauf fallen sehr unterschiedlich aus. Einhellig wird aber die Meinung vertreten: so nicht. Schließlich repräsentieren solche Topmanager die drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt und den Exportweltmeister. International wird nun sicher mancher, durchaus zu Recht, mit dem Finger auf die Deutschen zeigen, die sich selbst sehr oft als die besten und ehrlichsten in der Welt bezeichnen. National trifft diese unangenehme Geschichte genau mit der Diskussion um soziale Gerechtigkeit zusammen, die seit einiger Zeit geführt wird. Es geht dabei vor allem um die Höhe von Managergehältern und die Kriterien für oftmals mehrere Millionen Euro betragenden Jahreseinkommen. Beim einfachen Bürger verstärkt sich nun der Eindruck, dass „die da oben“ alles können, während „der kleine Mann“ bei den kleinsten finanziellen Verfehlungen gefasst wird. Jedenfalls zeigen die ersten Umfragen nach dem Beginn dieses Steuerskandals, dass das Vertrauen der Deutschen in ihre Eliten und auch in das System der Marktwirtschaft deutlich geringer geworden ist. Allerdings wird es auch bei strengsten Gesetzen und Androhung höchster Strafen Einzelpersonen geben, die versuchen, den Staat zu betrügen. Das System der Marktwirtschaft, wie jetzt manche politische Partei kühn behauptet, sehe ich jedoch nicht als Schuldigen. Ordentliche Leistung muss auch ordentlich bezahlt werden. Der Skandal hat der Öffentlichkeit aber gezeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert. Schließlich waren es „nur kleine“ Staatsanwälte, die bisher einen der höchsten Wirtschaftslenker zu Fall gebracht haben und weitere zu Fall bringen werden. Bei Vorliegen von ausreichenden Verdachtsmomenten wird in Deutschland unabhängig vom Ansehen einer Person und ihrer Position untersucht und gegebenenfalls Anklage erhoben. Die Zahl der Manager, Sportler und Politiker, die in den letzten Jahren in die Mühlen der „kleinen“ Staatsanwälte geraten ist, ist groß. Boris Becker gehört dazu, um nur einen Prominenten zu nennen, der auch in Kasachstan bekannt ist.

Kasachische Quellen sprechen ebenfalls von bedeutenden Summen, die zum Zwecke der Geldwäsche oder Steueroptimierung ins Ausland transferiert werden. Der Kampf dagegen ist überall schwierig. Voraussetzung für seinen Erfolg ist allerdings ersteinmal der Wille, solche Dinge zu bekämpfen. Es wäre falsch zu sagen, in Kasachstan wird nichts dagegen getan. Man braucht sich nur an die Angelegenheit um den Minister und ehemaligen Bürgermeister von Almaty Viktor Chrapunow zu erinnern, die letzten Herbst im Gespräch war und für etwa ein Dutzend staatlicher Führungskräfte mit dem Aus endete. Der Unterschied zu Deutschland ist jedoch gravierend: In Kasachstan wurde eine staatliche Kommission von höchster Stelle eingesetzt, um seit Jahren bekannte Machenschaften öffentlich zu machen. Das heißt, das subjektive Moment – wer beschließt, wann, gegen wen, wie ermittelt wird und was dann mit den Schuldigen passiert – ist in diesem Fall sehr groß. Noch ist es kaum vorstellbar, dass „kleine“ Staatsanwälte einen amtierenden Minister und ein weiteres Dutzend amtierender Würdenträger ohne den Versuch politischer Einmischung von oben abschießen können. Dies aber ist der Prüfstein für Rechtsstaat, Demokratie, Bürgergesellschaft und freie Presse.

Bodo Lochmann

22/02/08

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