Im Moment werde ich von nicht wenigen meiner Studenten – sowohl aktuellen, als auch ehemaligen – förmlich bombardiert. Nicht physisch, sondern mit der Bitte, ihnen eine Empfehlung auszusprechen. Damit wollen sie sich bei verschiedenen Organisationen um ein Studium in einem anderen Land bewerben. Meist komme ich dieser Bitte nach, denn schließlich möchte ich, dass gute Studenten auch die Chance haben, wenigstens einen Teil ihres Wissens im Ausland zu vertiefen. Richtigerweise stehen den jungen Leuten heutzutage international alle Möglichkeiten offen. Davon konnte ich in meiner Studienzeit nur träumen.
Aufenthalte im Ausland, die damit verbundene interkulturelle Erfahrung und die Notwendigkeit, sich mit bisher fremden Lebenssituationen auseinanderzusetzen, werden ebenso wie zusätzliche Praktika in unterschiedlichen Richtungen und Organisationen, aber auch bei unterschiedlichstem Engagement außerhalb der Universität (Kultur, Sport, Soziales) während des Studiums von den Personalchefs eigentlich aller Unternehmen höher geschätzt als Bestnoten und schnell abrufbares Formalwissen. Persönlichkeit steht auf der Prioritätenliste klar über dem Zensurendurchschnitt. Diese Botschaft ist dabei, allmählich auch in Kasachstan anzukommen, allerdings haben viele Studierende objektiv geringere Chancen auf ein Teilstudium im Ausland. Umso mehr sollten sie sich bemühen, die gebotenen Möglichkeiten zu kennen und auch zu nutzen.
Unter den Industriestaaten ist mittlerweile ein Kampf auch um die besten Studierenden ausgebrochen. Für das Bemühen um kreative junge Köpfe gibt es viele Motivationen, auch Eigennutz spielt dabei eine Rolle. Schließlich bleibt der Großteil der ausländischen Absolventen in unterschiedlicher Form seinem Gastland verbunden. Das ist vor allem interessant, wenn der ehemalige Student zu Hause dann eine Managementposition innehat.
Vor jedem Studierenden, der den Gedanken eines Auslandsaufenthalts verfolgt, steht natürlich die schwierige Frage, wohin. Die Antwort darauf kann nicht nur ein Kriterium geben, sondern meist gibt es ein ganzes Bündel von Für und Wider. Ich plädiere an dieser Stelle nicht einseitig und blind für irgendeine, Hauptsache deutsche, Hochschule. Das wäre meinerseits nicht ehrlich. Denn in der Welt gibt es sehr viele gute Einrichtungen. Doch wenn man eine ordentliche Ausbildung im Ausland haben möchte, muss man „Deutschland“ zumindest in Erwägung ziehen. Die deutschen Hochschulen bemühen sich seit Langem mit wachsender Intensität um ausländische Studenten. Erfolgreich sind sie dabei nicht nur, aber besonders in technischen Disziplinen.
An eine deutsche Hochschule führen viele Wege. Doch möglichst gute Anfangssprachkenntnisse sind überall unumgänglich. Schließlich kann im Ausland kein Dozent so viel sprachliche Rücksicht auf seine Studenten nehmen, wie ich das an der DKU tue.
Das Studium an einer deutschen Hochschule unterscheidet sich vom hiesigen nicht nur hinsichtlich Sprache. Die deutschen Studenten sind im Schnitt etwa drei Jahre älter als ihre kasachischen Kommilitonen und damit auch schon deutlich lebenserfahrener. Zudem werden die Kinder in Deutschland nicht gar so lange an Mutters Schürzenzipfel gehalten, sondern sie versuchen zeitiger als in Kasachstan, durch die Welt zu kommen und etwas anderes zu erleben. Das ist für die international Studierenden vor allem ein Vorteil. Man ist mit Leuten zusammen, die stärker als hiesige Studenten eigene, darunter auch schon internationale Erfahrungen mitbringen. Das befruchtet das Studium in der Regel stark. Einen weiteren Vorteil des deutschen Studiensystems sehe ich im großen Grad an notwendiger Selbständigkeit und Eigendisziplin der Studenten. Dort wird viel weniger als hierzulande der Stoff „vorgekaut“, sondern er ist zu einem großen Teil selbständig zu erarbeiten. Die eigene Meinung, die Darstellung von Pro und Contra, das Finden von Fakten und deren Interpretation, das Streiten um die Wahrheit, die Präsentation von Ergebnissen auch vor Fremden sind natürliche Elemente des deutschen Studienprozesses, in dem der Professor eher Trainer und Konsultant, denn DER Alleswisser ist. Natürlich sind auch die in Kasachstan üblichen kleinlichen Anwesenheitskontrollen „out“, und die Eltern werden nicht informiert, wenn das Kind durchhängt. Ich habe das Gefühl, das auch dieser eher unwesentliche Aspekt für manchen hiesigen Studenten durchaus eine Art Befreiungsschlag sein kann.
Der Bologna-Prozess, dem sich auch Kasachstan angeschlossen hat, soll ein relativ einheitliches, durchlässiges gesamteuropäisches Hochschulsystem schaffen. Das bietet den hiesigen Studenten bessere Chancen für eine internationale Ausrichtung ihres Studiums. Diese Chancen müssen aber genutzt werden wollen. In dieser Beziehung haben wir in Kasachstan noch sehr großen Nachholbedarf. Die deutschen Hochschulen stehen in jedem Fall bereit, um aus der Chance Realität werden zu lassen.
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