Kolumnistin Julia Siebert wusste mit dem Weihnachtsfest nichts anzufangen. Bis der erlösende Anruf aus Amerika kam – oder eigentlich eher der erlösende Chat…
Bis zuletzt wusste ich nichts mit dem diesjährigen Weihnachtsfest anzufangen. Ich mag Weihnachten, aber irgendwie wollte die Planung nicht so recht in Gang kommen. Freunde, mit denen ich sonst die Festtage verbracht habe, sind aus ihren Novemberdeprihöhlen oder Schmollwinkeln noch nicht wieder hervorgekrochen. Sowieso bin ich derzeit etwas planlos und verabredungsscheu. Um wegzufahren, fehlten mir die Idee, wohin und der Elan, mich um etwas zu kümmern. Um eine nette Hütte zu ergattern, bin ich zehn Monate zu spät dran. Und den Gedanken, mir die Tage einzeln vorknöpfen zu müssen, wann genau ich was mit wem mache und zubereite, fand ich schon im Ansatz anstrengend. Da war mir die pauschale Leere im Kalender fast schon lieber. Aber damit nicht nichts drinsteht, habe ich quer über die Feststagsfelder dick und deutlich LESEN eingetragen. Wenn sich gar nichts auftäte, würde ich mich eben in die dicken Schinken vergraben, die ich immer schon mal… „Krieg und Frieden“ und so. Doch dann…
…kam der erlösende Anruf (bzw. Chat, aber Anruf klingt rhetorisch und dramaturgisch besser). Mein Freund aus Amerika fragt auf kurzem Weg unumwunden, ob er mich über Weihnachten zu sich nach Washington einladen darf, damit wir die Festtage gemeinsam verbringen. Als Weihnachtsgeschenk. Auch Trips nach New York, in die Berge, an die Küste wären eingeplant. Ich könne es mir ja überlegen. Das Überlegen habe ich ausgelassen, denn sofort war klar: Ja ja ja, Hurra, ich komme! Und mit einem Schlag ist alles geritzt, die Vorfreude auf Weihnachten ist voll da. Ich laufe wie besoffen vor Freude über mein Weihnachtsgeschenk durch die Gegend, und es ist nur noch die Frage offen, ob wir nach den gemütlich-leckeren Festtagen mit dem Auto oder mit dem Zug nach Boston oder New York, ob in diese oder jene Bergregion fahren. Was vorher mein einziger Zeitvertreib war, das Lesen dicker Bücher, wird jetzt zu einem Minibestandteil einer ereignisreichen Zeit, um die Flüge und den Jetlag zu überwinden.
Wenn mich jetzt jemand fragt, wie ich Weihnachten verbringe (und aus Sorge, ich könne allein daheim hocken bleiben, gar ein wenig mitleidig dreinschaut), protze ich mit stolzgeschwellter Brust: Ich fahre nach Amerika! Ich finde, das klingt richtig cool. Oder: Ich verbringe die Festtage in Washington! Auch nicht schlecht. Und tatsächlich, auch mein Umfeld ist stark beeindruckt. Denn obwohl in Zeiten der Globalisierung, Mobilität und Billigflüge die Leute einfach mal eben so hierhin oder dorthin jetten und die USA nicht gerade das beste Ansehen in Deutschland genießen, so haftet dem Label „Amerika“ doch etwas Besonderes an, wenn es nicht gerade um Politik geht. Nach Amerika zu reisen oder auszureisen, dort zu heiraten oder zu arbeiten, ist schon ziemlich chic. Aber dort Weihnachten zu feiern, hat Alleinstellungsmerkmal.
Und so anpassungsfähig der Mensch eben ist, bin ich schon ganz auf meine Weihnachtspläne in Amerika eingestellt. Anstatt mich auf den hiesigen Weihnachtsmärkten mit Glühwein und „O Tannenbaum“ in Stimmung zu bringen, surfe ich lieber im Internet und frische mein Englisch auf: „Let it snow let it snow let it snow …“ .. da da di da da… Yeah!