Zuletzt waren wieder alle naselang irgendwelche Feiertage. Feiertage sind toll, sie verbreiten noch viel stärker als bloße Sonntage eine besondere Stimmung der Muße und Feierlichkeit. Ich habe zwar mit Religion nichts am Hut, aber die Atmosphäre liegt eben in der Luft und weckt auch in mir den Drang, Feiertage durch etwas Besonderes zu würdigen, vorzugsweise durch festliche Speisen und Musik. Damit kenne ich mich immerhin aus. Dachte ich.
Ich habe in meinem CD-Regal ein paar Werke, die eigentlich immer festliche Stimmung verbreiten, Messen, Oratorien, Passionen und Symphonien, in denen Chöre mit voller Wucht Schmerz, Leid oder Freude rausschmettern. So ein kräftiges Halleluja, Kyrie oder Gloria kann ja eigentlich nie schaden, fi nde ich. Da ich aber mit den Anlässen und Abläufen der Feiertage nicht vertraut bin, kann ich nicht sagen, ob die Musik wirklich passt. Egal, fand ich bisher. Hauptsache, es macht mir Freude.
Das Problem mit der eigenen Freude ist aber à la Kant, dass man leider nicht allein auf der Welt ist und sobald man sich rührt, führt das mittel- oder unmittelbar, früher oder später, aber trotzdem zwangsläufig zu einer Störung anderer Menschen. Und da helfen oft die Gesetze nix, denn auch innerhalb der legalen und legitimen Grenzen fragt sich gemäß der Alltagsmoral immer wieder: Wer nimmt auf wen Rücksicht? Kniff elig. Denn wenn man das zu eng sähe, dürfte man sich kaum mehr rühren, und selbst das wäre wohl falsch, weil immer jemand an irgendwas Anstoß nimmt, was man tut oder lässt. Manche Leute gehen aus Langeweile eigens vor die Tür, um Anstoß zu nehmen.
In meinem Fall berufe ich mich auf mein Recht, an Feiertagen bei geöff neten Fenstern Musik zu hören. Mein Entgegenkommen besteht in der Wahl des Musikstückes, um auf die religiösen Gefühle meiner Mitmenschen Rücksicht zu nehmen. Nachdem Ostersonntag eine ganze Weile die Carmina Burana auf voller Lautstärke lief – und die Carmina Burana muss man unbedingt auf voller Lautstärke hören, sonst wirkt‘s nicht, und man kann gleich auf Kammermusik umschalten – fragte ich mich plötzlich, ob das Stück wirklich und tatsächlich zu Ostersonntag passt.
Dem Gefühlsausdruck des Stückes nach würde ich sagen: eindeutig ja, passt. Ob jemand gekreuzigt wird, stirbt oder aufersteht, es ist unheimlich bewegend. Aber wer oder was war eigentlich die Carmina Burana? Da fällt mir ein: Ich weiß gar nichts darüber. Handelt es sich um eine Frau, die heilige Carmina aus Burana, die einen Leidensweg beschreitet? Oder …? Mal nachschauen und – oh je – die Carmina Burana war gar keine Heilige. Es ist ein Sammelsurium aus verschiedenen Liedern, von wegen heilig, unter anderem Fress- und Saufl ieder, auch Liebeslieder. Da rettet auch ein bissl was aus dem Passionsspiel nichts. Als Legitimation für eine Rundumbeschallung zu Ostern hält die Carmina Burana jedenfalls nicht stand. Schnell Orff raus und Bach rein, bevor hier jemand in Ohnmacht fällt.
Am 1. Mai versetzte ich mich mit der Cäcilienmesse von Haydn in Stimmung. Bis mir schlagartig einfi el: Passt ja gar nicht, überhaupt nicht. Einzig passend wäre die Internationale, aber die kann man nicht den ganzen Tag hören und schon gar nicht laut. Aber da man am 1. Mai nicht befürchten muss, religiöse Gefühle zu verletzen, sah ich das nicht so eng, Haydn blieb drin. Im nächsten Zweifelsfall erspare ich mir den Stress und schließe einfach die Fenster.