Auch nach den Deportationen in den Nordosten Kasachstans feierte meine wolgadeutsche Familie väterlicherseits am 24. Dezember Weihnachten. Das war für gewöhnlich ein malerisches weißes Weihnachten voller Schnee. Auf den verschneiten Straßen war wenig los und eine Stille kehrte in das Dorf unweit von Qarqaraly ein. Auf den Fensterrahmen der Bauernhöfe waren Weihnachtslichter aufgestellt, die von den Straßen aus zu sehen waren, und die weihnachtliche Atmosphäre war nach den Erzählungen meiner Familie sehr ruhig und besinnlich.

In dem Dorf meiner Eltern gab es zu Sowjetzeiten zunächst einmal keine Gotteshäuser, da Religionen untersagt waren. Ab den 1970ern entspannte sich die Situation ein wenig und es sollte in dem kleinen Dorf nahe Qarqaraly dann doch welche geben: dafür wurden zwei Häuser aufgekauft, die von außen unscheinbar aussahen. Die Musliminnen und Muslime sowie die Christinnen und Christen verpfiffen sich gegenseitig nicht, so existierten eine Moschee und eine Kirche in dem Dorf und wurden geduldet.

Die in der Regel christlichen Wolgadeutschen in dem Dorf konnten von da an wieder einen Gottesdienst an Weihnachten veranstalten. Da der 24. Dezember kein staatlicher Feiertag war, an dem die Wolgadeutschen in dem Dorf Weihnachten feierten, fand der Gottesdienst an einem Arbeitstag abends statt. Dabei wurden gemeinsam altdeutsche Weihnachtslieder in eigenem Dialekt gesungen, darunter „Oh du Fröhliche“, „Stille Nacht“ und „Heute ist Weihnachten, ihr Brüder“.

Kein Fest ohne Weihnachtstanne

Im Anschluss wurden die Feierlichkeiten daheim fortgeführt, wo Familie und Freunde sich versammelten. Das Pelznickel und das Christkindl zogen dann von Haus zu Haus. Das Pelznickel hatte eine Schuba aus Schafsfell an, einen Stock in der Hand und einen dunkeln Strumpf über das Gesicht gestülpt, das Christkindl war in weiß gekleidet und hatte ebenfalls einen weißen Strumpf oder Bettbezug über den Kopf gezogen. So wurden die Verkleideten von den Kindern nicht erkannt. Vor der Bescherung wollte das Pelznickel von den Kindern wissen, ob sie brav gewesen seien und gelernt hätten. Daher fürchteten sich die Kinder vor dem Pelznickel.

Wenn es Geschenke gab, fielen diese in den ersten, ärmeren Jahren klein aus. Es gab für die Kinder meist ein paar Süßigkeiten wie Kekse, Gebäck oder Bonbons. Die Kinder freuten sich nach den Erzählungen darüber sehr, da sie nicht häufig in den Genuss von Süßem kamen. Später, etwa ab den 70ern, als die Dorfbewohnerinnen und -bewohner bereits ihre Bauernhöfe aufgebaut hatten und in weniger armen Verhältnissen lebten, durften sich die Kinder auch mal über ein Spielzeug wie eine Puppe oder Holzauto freuen.

Auch eine Weihnachtstanne sollte an Weihnachten natürlich nicht fehlen. Da das Dorf nicht weit entfernt von Qarqaraly mit seinem Tannenwald lag, wurden dort zur Weihnachtszeit Tannen gefällt und ins Dorf gebracht. Am 23. Dezember wurden die Tannen weihnachtlich geschmückt. Dafür hingen die Wolgadeutschen Bonbons und kleinen Figuren aus Zeitungspapier an die Tannen, etwas später erschienen auch die ersten Glaskugeln und Lämpchen, die als Baumschmuck verwendet wurden. Die Weihnachtstannen wurden auf eine Vorrichtung gestellt, ein mit Watte bedecktes Kreuz aus Holz. Darüber wurde buntes Konfetti gestreut. Die Tannen blieben für gewöhnlich bis zum 6. Januar stehen, danach wurden sie aus den Häusern geschafft. Damit war die Weihnachts- und Neujahrszeit dann endgültig vorbei.

Stille Nacht, heilige Nacht

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar,
Schlaf in himmlischer Ruh!
Schlaf in himmlischer Ruh!

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund‘.
Christ, in deiner Geburt!
Christ, in deiner Geburt!

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höh‘n
Uns der Gnaden Fülle lässt seh‘n
Jesus, in Menschengestalt,
Jesus, in Menschengestalt

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Wo sich heute alle Macht
Väterlicher Liebe ergoss
Und als Bruder huldvoll umschloss.
Jesus, die Völker der Welt,
Jesus, die Völker der Welt.

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Lange schon uns bedacht,
Als der Herr vom Grimme befreit,
In der Väter urgrauer Zeit
Aller Welt Schonung verhieß,
Aller Welt Schonung verhieß.

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Hirten erst kundgemacht
Durch der Engel Halleluja,
Tönt es laut von ferne und nah:
Christus, der Retter, ist da!
Christus, der Retter ist da!

Sascha Borgardt

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