Unser Autor war noch nie in Zentralasien, spricht weder Russisch noch eine der gängigen Turksprachen. Doch genau das machte für ihn den Reiz aus, einmal selbst hierher zu kommen. Zwei Wochen lang reiste er im Sommer durch Kasachstan und Usbekistan.

Andreas Hanitzsch

Ich wollte meinen Horizont erweitern. Der Wunsch nach Neuartigkeit hat im vergangenen Winter in mir die Idee reifen lassen, ein Reiseziel zu wählen, wo Freunde und Bekannte vorab keine Ratschläge zum Besten geben können. Begünstigt durch die bestehende Visafreiheit für deutsche Touristen in Kasachstan und Usbekistan sollte nach reiflicher Überlegung Zentralasien mein Urlaubsziel werden.

Erster Stopp: Almaty

Schon nach dem beeindruckenden Anflug auf Almaty, mit den Bergketten des Transili-Alatau im Hintergrund und der Ankunft am Flughafen, gab es die erste Herausforderung zu meistern. Zahlreiche Taxifahrer werben hier um Kunden, ich wollte jedoch mit dem Bus in die Stadt fahren. Zum Glück gibt es direkt am Ausgang einen Automaten, welcher gefühlt alles konnte – bis hin zum Geldabheben oder Einkaufen. Das herauszufinden bedurfte jedoch einheimischer Hilfe. So lernte ich gleich am ersten Abend, dass „einfach fragen“ hilft. Eine etwa 50-jährige Dame wusste sofort, was ich wollte, und klickte sich bereitwillig durch das umfangreiche Menü.

Freilich falle ich sofort auf als Reisender auf – allein durch die Tatsache, mittags bei 40 Grad sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt abklappern zu wollen oder als Orientierung Suchender. Zwar sind an zahlreichen Straßenkreuzungen Almaty Stadtpläne angebracht, allerdings mit vertauschten Himmelsrichtungen: Hier orientiert man sich immer in Richtung Gebirge, d.h. „oben“ ist Süden und „unten“ ist Norden.

Blick auf Almaty.

Die meisten Menschen sind westlich gekleidet, und so erregte meine Kopfbedeckung mit typisch kasachischem Muster zum Schutz gegen die Sonne reichlich Aufmerksamkeit. Sie wurde rege von Jung und Alt kommentiert – von den Jüngeren sogar auf Englisch. Eine junge Frau wollte sogar ein gemeinsames Foto haben. Auch daran muss man sich etwas gewöhnen, denn Neugierde ist etwas Schönes und sie war nie mit Aufdringlichkeit gepaart. Nach den Kommentaren kamen meist die Fragen, woher man käme und welche typischen Eigenschaften die Deutschen so hätten. Meine Antwort war meist ein wenig negativ geprägt: pünktlich, hektisch, verschlossen – ganz im Gegensatz zu Kasachstan, wo alle offenherzig und nett seien.

Auf nach Schymbulak

Der bekannte Wintersportkomplex Medeo/Schymbulak ist mit der Buslinie 12 ab dem gewaltigen Hotel „Kasachstan“ zu erreichen. Nicht selten wollen am Wochenende mehr Leute mit, als es in dem Standardbus chinesischer Bauart Plätze gibt. Mit etwas gutem Willen und unter Ausnutzung aller Platzreserven ging die Fahrt los und verlief störungsfrei, bis der Anstieg steiler wurde. Irgendwann schaffte der Bus nur noch 30, dann 20 und 10 Stundenkilometer. Nachdem ich an der Endhaltestelle angekommen war. erkannte ich erste Anzeichen von Massentourismus in Form von Souvenirhändlern, einem deutlich erhöhten Preisniveau und begleitenden Attraktionen wie Losbuden.

Fast schon flüchtend, begab ich mich in die Seilbahn Richtung Shymbulak, ein Skiresort im Winter und ein Ausgangspunkt für Wanderungen im Sommer. Jeder Zwischenstopp der Seilbahn wird durch überteuerte Restaurants und Hotels garniert. So war es nahezu wohltuend, am Endpunkt der Seilbahn einige Meter wieder alleine in Richtung „Nichts“ wandern zu können. Auf der Rückfahrt fragten mich ein etwa 50-jähriger Kasache und ein Kirgise über mein Land aus – diesmal allerdings mit festzementierter Sprachbarriere. Ohne inhaltliches Ergebnis wurde mir dann ein Lied vorgesungen und gefordert, ich möge doch dasselbe tun. Gesagt, getan: Jetzt haben die beiden auf ihren Handys Videos, auf denen ich die deutsche Nationalhymne und „Alle meine Entchen“ singe. Die Frau des Kasachen war übrigens auch in der Seilbahn, hat aber kein Wort gesagt und reagierte etwas verwundert, als ich mit ihr sprechen und ihr sogar zum Abschied die Hand geben wollte.

Russisch ist günstiger als Englisch

Orientalische Ornamente ergänzen den sowjetischen Baustil in Zentralasien.

Ein Tagesausflug zum Scharyn-Canyon wurde mir durch das Tourismusbüro Almaty vermittelt. Dieses befindet sich nahe des Zentralstadions am U-Bahnhof „Baikonur“. Die diensthabende junge Dame schlug mir in fließendem Englisch einige Touren vor, „warnte“ aber gleichzeitig davor, dass die Verkehrssprache ausschließlich Russisch sei. Für 7.000 Tenge (ca. 18 Euro) wurde mir ein Ticket verkauft. Eine Buchung von Deutschland aus hätte für dieselbe Tour knapp 100 Euro gekostet.

Ich landete in einer russischsprachigen Reisegruppe mit einer quasselnden Reiseführerin. Die Kinder einer in Jordanien lebenden kasachischen Großfamilie fragten mich während der Reise stundenlang auf Englisch über Gott und die Welt aus. Sie dolmetschten fleißig und ersetzten für mich den Reiseführer und die fehlende Wegweisung. Die Augusthitze machte mir zu schaffen, doch so eine überwältigende Natur, in der kaum Menschen unterwegs sind und wo es eine völlig freie Wegwahl gibt, haben wir in Europa in dieser Kombination nicht. Mit der Familie habe ich noch über Instagram Kontakt. Sie fragt schon, wann ich sie besuchen werde.

Auf der Fahrt wurden mehrere Toilettenpausen eingelegt. Und hier wird es für verwöhnte Mitteleuropäer spannend, denn die Toiletten sind meistens nur ein Loch im Boden, über das man sich hockt, um das Geschäft zu verrichten. Selbst die schick zurechtgemachten Damen waren sich hierfür nicht zu schade. Da das Toilettenpapier, welches vor Ort ist oder einem für umgerechnet drei Cent blattweise verkauft wird, selten reicht, sollte man unbedingt einen kleinen Vorrat anlegen und überallhin mitnehmen. Wer des Russischen mächtig ist, kann aber auch einfach nach mehr Blatt fragen.

Zweiter Stopp: Taschkent und Samarkand

Bedingt durch die politischen Rahmenbedingungen in Usbekistan und die erst kürzlich erfolgte Öffnung des Landes, findet man in Taschkent deutlich weniger Orientierungshilfen für Fremde als in Almaty. Immerhin gibt es eine lateinische Schrift und ein Tourismusbüro am Flughafen, welches bereitwillig, ja sogar freudig, zu möglichen Unternehmungen berät. Das zwar auf Russisch, aber Broschüren über das Land liegen sogar auf Deutsch aus. Auch hier wurden die fehlenden Wegweiser durch Fragen ersetzt – sei es nach Sehenswürdigkeiten, der U-Bahn, Restaurants oder Wechselstuben. Im Unterschied zu Almaty wird man für bestimmte Dienstleistungen jedoch meistens an Personen vermittelt, die der jeweilige Gesprächspartner schon kennt.

Die Statue von Amir Temur in Taschkent.

Wie in Kasachstan muss man aber auch in Usbekistan bei Taxifahrten und auf dem Basar damit rechnen zu handeln. Mit einem Preis von knapp drei Euro je innerstädtische Taxifahrt, glaubte ich, einen fairen Preis erreicht zu haben. Durch die ungewohnt hohe Präsenz von Uniformierten war das subjektive Sicherheitsgefühl in Taschkent relativ hoch. Eine U-Bahn-Wache fragte mich nach meiner Herkunft und meinem Pass. Als ich antwortete, eröffnete er mir auf Deutsch, dass er fünf Jahre lang in Bremen auf einer Werft gearbeitet habe und sehr glücklich sei, mal wieder Deutsch zu sprechen. Übrigens wird an jeder U-Bahn-Station in Taschkent das Gepäck durchleuchtet, und überall sind die typischen Rolltreppenwärterinnen sowie Stationspersonal vorhanden. Eine U-Bahn-Fahrt kostet umgerechnet 15 Cent (derzeit 1.200 usbekische Som).

Die touristische Gier nach einer monumentalen Sehenswürdigkeit wurde mit dem Registan in Samarkand befriedigt. Mit seinen drei rechtwinklig angeordneten Medresen hat er eine unglaublich imposante Erscheinungsform. Außerdem befinden sich an diesem Knotenpunkt und wohl auch Herzstück der historischen Seidenstraße zahlreiche weitere Gräber, Mausoleen, Moscheen und Medresen. Neben detaillierten Wegweisungen gibt es sogar Möglichkeiten, nach Einscannen eines QR-Codes weitere Informationen über die jeweilige Sehenswürdigkeit zu erhalten. Hier war das erste und einzige Mal so etwas wie Überfüllung und Gedränge zu spüren, gepaart mit einem kontinuierlichen Zu- und Abfluss von internationalen Reisebussen. Bunt war nicht nur Spektrum an vertretenen Landesfarben, sondern auch das Spektakel vor Ort. Viele kleinere Ein-Mann-Stände boten Souvenirs vereinheitlichter Prägung sowie Essen und Trinken in unterschiedlichsten Darreichungsformen an.

Die Eintrittspreise zu den Sehenswürdigkeiten sind nach Herkunft gestaffelt, d.h. Einheimische zahlen weitaus weniger als Touristen aus Westeuropa. Mit ca. vier Euro für den Registan und 2,50 Euro für die weiteren Moscheen und Grabmäler war das Preisniveau aus europäischer Sicht sehr günstig und für die einheimische Wirtschaft sicherlich immer noch förderlich. Ungewohnt waren die Souvenirstände in einigen Gebäuden, direkt neben dem musealen oder sakralen Teil.

Letzter Stopp: Nur-Sultan (ehem. Astana)

„International“ ist sicherlich das treffendste Schlagwort, um die kasachische Hauptstadt Astana zu beschreiben, welche seit März 2019 nach dem ersten Staatspräsidenten „Nur-Sultan“ benannt ist. Angesichts der Monumentalität ihrer Gebäude, der Weitläufigkeit und beeindruckenden Größe könnte man Stadt in der kasachischen Steppe auch in China oder im mittleren Osten wähnen. Astana unterliegt permanenter Veränderung; gilt als Hommage an die aufstrebende kasachische Nation und ihre politische Führung. Jedoch ist es bei aller Imposanz sehr steril geraten. Historisch gewachsene Stadtviertel fehlen nahezu völlig, auch weil viele von ihnen in den vergangenen zwanzig Jahren zerstört worden sind. Die zurückzulegenden Wege sind weit, die Versorgung erfolgt über Einkaufszentren oder über kalkuliert angelegte mit Versorgungseinrichtungen ausgestattete Hauptstraßen. Diese sind perfekt beschildert: An vielen Orten hängen Übersichtspläne und es ist durchaus möglich, ohne Russischkenntnisse und ohne den Dialog mit der Bevölkerung zu seinem Ziel zu gelangen.

Gebaut von Stararchitekt Norman Foster: das Einkaufszentrum Khan Shatyr in Kasachstans Hauptstadt.

Eine Stadtbahn zwischen Flughafen und Innenstadt ist derzeit im Bau, das Bussystem hat leider keine Netzkarte bis auf die drei Flughafenlinien. Die wesentlichen ehenswürdigkeiten kosten ebenso wenig wie anderswo, z.B. der Bayterek-Turm für knapp zwei Euro. Rundherum gibt es einige Stände ebenso wie einen Hop-on-Hop-off-Bus. Mein Hotel, versteckt im ersten Stock eines Wohnblocks, war außen nicht wirklich ansehnlich, innen aber sehr nett ausgestattet, mit einer kleinen Mannschaft an sich rührend kümmerndem Personal. Zum ersten und einzigen Mal konnte niemand Englisch, aber man half sich mit den einschlägigen Übersetzungs-Apps. Man muss sich auf Astana einlassen, es als sehr großen Kontrast zum übrigen Land sehen und den geschichtlichen Kontext der Schaffung eines nationalen Symbols mit internationaler Strahlkraft sehen.

Eher Taxi als ÖPNV

Egal, wo ich war: Der öffentliche Nahverkehr ist fast überall zweitrangig, sofern die erforderlichen Mittel für einen eigenen Pkw vorhanden sind. Ist dem so, wird auch gerne zur Schau gestellt, was man sich leisten kann. Die Straßenbahnen in Taschkent und Almaty wurden 2016 eingestellt, um dem Pkw-Verkehr mehr Platz zu schaffen. Die U-Bahn in Almaty besteht seit vielen Jahren nur aus einer kurzen Linie mit neun Stationen, obwohl Ausbaupläne existieren. Für die umfangreichen und in Teilen mit neuen Fahrzeugen ausgestatteten Busnetze existieren weder Fahrpläne noch Übersichtskarten. Es ist gewöhnungsbedürftig, macht im Grunde aber nichts, denn, wenn man fragt, bekommt man Auskunft und Hilfe.

In dieser ersten Augusthälfte durfte ich nun einen kleinen Teil – den verstädterten Teil – von zwei Ländern kennenlernen, welche mir zunächst fremd schienen und welche ich vorab kulturell und geografisch nur rudimentär einordnen konnte. Der Tourismus ist noch ausbaufähig, doch beschleicht mich etwas die Skepsis, dass die Bewohner der beiden Länder bei vermehrtem touristischem Zustrom ihre Offenheit und Herzlichkeit verlieren oder diese durch typisch tourismusorientierte Verhaltensweisen abgelöst werden könnten. Andererseits wage ich zu behaupten, dass die Menschen charakterlich, kulturell und ideell dermaßen gefestigt sind, dass dies nicht so schnell passiert. Letzteres wäre sehr wünschenswert.

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