Das Deutsche Theater Almaty befindet sich momentan in seiner 35. Spielzeit und blickt auf seine abenteuerliche Geschichte zurück. Es entstand als eine unentbehrliche Form des gegenseitigen Austausches und künstlerischen Ausdrucks im sozialen Milieu der Kasachstandeutschen. Es war bereits damals aktuell, zeitgemäß. Vom geistigen Standpunkt aus erfüllte es stets eine kulturelle und eine soziale Funktion.
Das „erste“ Deutsche Theater wurde bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in der Stadt Engels gegründet, jedoch im Zusammenhang mit den bekannten traurigen Ereignissen im August 1941 geschlossen. Zur offiziellen Wiedergeburt des Deutschen Theaters wurde der Beginn seiner ersten Spielzeit am 6. Dezember 1975 in Kasachstan. Zu seinen Hauptzielen und Aufgaben zählten nun die „Weiterentwicklung und Aufbewahrung des kulturellen Erbes von Bürgern deutscher Abstammung in der Republik Kasachstan“.
Am 26. Dezember 1980 wurde das Deutsche Republiktheater in Temirtau eröffnet. Die Theatertruppe galt schon bald als Schrittmacher der Bewegung „Wiedergeburt“. Zum Ziel wurden der Ausdruck und die Äußerung der nationalen, politischen und sozialen Probleme der deutschen Landsleute. „Ein Theater für Deutsche, aber nicht gegen Deutsche“, so nannte der bekannte deutsche Schriftsteller Dominik Hollmann die Tätigkeit des Schauspielhauses.
Schon die Titel der Stücke und Aufführungen verraten, was die deutschen Autoren darin zum Ausdruck bringen wollten: „Die Ersten“ von Alexander Reimgen, „Das Echo jener Jahre“ von Konstantin Ehrlich, „Wir sind nicht Staub im Wind“ von Hermann Arnhold, „Menschen und Schicksale“ von Viktor Heinz. Das Theater war stark und aktuell, weil die Schriftsteller und Dramaturgen jener Jahre am Puls der Zeit lebten. Die Schauspieler des Theaters vereinten in sich die russische Schule des verinnerlichenden Spiels und die staatsbürgerliche Haltung von Brecht. 1980 bis 1990 umfasste seine Truppe 52 deutschsprachige Schauspieler. In dieser Zeit wurden etwa 40 klassische und zeitgenössische Stücke zur Aufführung gebracht und auch Stücke von russlanddeutschen Autoren präsentiert.
1989 wurde das Deutsche Theater nach Alma-Ata verlegt und sah sich 1994 in einer kritischen Phase infolge der allgemeinen Auswanderungsstimmung der Russlanddeutschen. Die Massenausreise in die historische Heimat, zog auch einen Wechsel des Publikums nach. Das Theater wird multinational. Es ist nun nicht mehr nur der Förderer der deutschen Kultur, sondern erweitert die eigenen Kunst- und sozialen Grenzen. Mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung wurde eine Deutsche Theaterakademie auf der Basis der Kasachischen Nationalen Schurgenew-Kunstakademie eröffnet. Im Jahre 1994 haben zwei Schauspielgruppen diese absolviert und das Ensemble des Deutschen Theaters erneuert. Das waren junge Leute, die jetzt in einem anderen Staat und unter anderen kulturellen- und sozialen Bedingungen lebten. Das Theater atmete einen Schluck neuer, moderner Luft. Es versetzte acht Jahre lang das europäische und lokale Publikum mit seinen Schauspielen in Begeisterung und schlug „ein Fenster nach Europa“ auf. In dieser Periode hat es viele Kontakte zu der europäischen Theatergemeinschaft aufgenommen, und es gab viele wechselseitige Engagements europäischer Theaterschaffender auf der eigenen Bühne. Das DTA (Deutsches Theater Almaty) wurde als ein einzigartiges deutsches Experimentaltheater Kasachstans bekannt. Jedoch dauerte auch die zweite Periode nicht lange. Die meisten Kräfte dieser Truppe sind ebenfalls in ihre historische Heimat abgewandert.
Allmählich entwickelte sich eine neue, moderne Richtung in der Arbeit des Theaters, und bald darauf zeigte es im Ausland die Diplomarbeit der Absolventen der Kunstakademie – „Glücksfelder“ von I. Lausund. Der Erfolg während der Gastspielreise in Deutschland im Jahr 1998 fand eine unerwartete Fortsetzung, und man bekam einen Preis verliehen. Nach diesen Gastspielreisen in Deutschland, Holland, Belgien, Österreich, Tschechien und Russland wurde das Deutsche Theater Kasachstan in ganz Europa berühmt und bekam den Europa-Titel Deutsches Theater Almaty (DTA). Es wurde zu einer Austragungsbühne für gemeinsame Projekte mit Regisseuren aus Europa und Asien, zu einer Stätte für die Diskussionen und Experimente. Sein neuer Stil war herausfordernd, schnell, chaotisch, überspannt. Während dieser elf Jahre (1993-2004) realisierte es vielfältige Projekte, die außergewöhnliche Theaterperformances inszenierten und mit großem Erfolg bei den Zuschauern und Gästen der Stadt aufgenommen wurden. „DTA – ein Fenster für Kasachstan nach Europa und ein Fenster für Europa nach Kasachstan“. Die Offenheit und Kontaktfreudigkeit des DTA gestatteten es ihm, mit anderen Kulturinstitutionen in Kasachstan und auch in Europa zusammenzuarbeiten.
Das neugeschaffene Deutsche Theater Almaty bekam somit im Jahre 1993 eine neue Funktion – die Innovation. Es bekam den Titel „Experimentelles Theater“, „Grenzen überschreitendes Theater“. Jedoch bewirkte ein Wechsel der Theaterleitung eine Änderung der Entwicklungsrichtung der Truppe In der Periode von 2005 bis 2014 infolge seiner Distanzierung von der deutschen Diaspora.
Das heutige Deutsche Theater Almaty sucht allerdings weiter nach neuen Methoden zur Erfüllung seiner Hauptaufgabe – der Wahrung der deutschen Kulturtraditionen und der Aufnahme der Kontakte mit der gegenwärtigen Theatergemeinschaft, um damit ein neues Niveau zu erlangen. Heutzutage ist es auf dem Weg ungeahnter, schroffer, unerwarteter, schwindelnder Umwandlungen. Nicht zuletzt ist eine konzeptuelle Orientierung wegen des Fehlens einer eigenen Spielbühne notwendig gewesen. Mittlerweile hat sich das Ensemble an sein Nomadentum zwischen verschiedenen Gastspielstätten nicht nur gewöhnt, man hat es zum Prinzip erkoren und neue Kräfte daraus geschöpft. In seiner 35. Spielzeit hat es bereits eine sehr erfolgreiche und gefeierte Kasachstan-Tournee hinter sich. Es stehen auch diesjährige Europabesuche an. Besonders augenscheinlich wird auch seine gesellschaftliche, ja vielleicht ungewollt politische Rolle. Man scheut nicht vor kritischen Themen und inszeniert gesellschaftskritische Stücke, wie z.B. Brechts Lehrstück „Der Ja-Sager“ oder Wedekinds „Frühlingserwachen“, die von Obrigkeitshörigkeit, Intoleranz, Gemeinschaftszwängen und Gesellschaftsgrenzen handeln. Diese Probleme fruchtbar und offensiv zum Ausdruck zu bringen hat sich Natascha Dubs zur Aufgabe gemacht. Man traut sich aber auch an außergewöhnliche Inszenierungen zeitgenössischer Autoren, wie zum Beispiel die Komödie „Art“ von Jasmin Reza. Demnächst steht die eine Premiere des kasachischen Stücks „Ruch, na zemlje“ an, nach vollkommen neuem Konzept – in Form einer tanz-choreographischen, akademischen Vorlesung zur Geschichte Kasachstans, an.