André Hahn sitzt seit 2013 für die Partei „DIE LINKE“ im Bundestag. Dort setzt er sich auch für die Stärkung der deutsch-kasachischen Beziehungen ein. Sein Interesse an der Region verband Hahn nun mit einem Besuch bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die am Dienstag ihr Büro in Almaty eröffnete. Wir haben mit ihm unter anderem über den Austausch zwischen unseren Ländern, die verbindende Wirkung von Sport und die „Neue Seidenstraße“ gesprochen.

Herr Hahn, Sie gehören im Deutschen Bundestag der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamentariergruppe an. Woher kommt Ihr Interesse an der Region?

Ich bin schon seit längerem in der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe, und Russland spielt hier in der Region naturgemäß eine wichtige Rolle, deshalb macht ein Engagement für Zentralasien auch Sinn. Zumal ich die Region wegen ihrer rasanten Entwicklung sehr spannend finde. Vor allem aber ist mein Büroleiter André Nowak schon seit vielen Jahren sehr engagiert im Bereich der Behindertenpolitik in den zentralasiatischen Ländern. Er kennt hier viele Akteure und gibt mir so einen großen Rückhalt.

Wie kann man sich die Aktivitäten einer solchen Parlamentarischen Gruppe vorstellen?

Das Engagement dort bedeutet nicht nur, dass man einfach in den Ländern unterwegs ist und herumreist, sondern dass man sich austauscht und Netzwerke aufbaut. Es gibt zum Beispiel einen regelmäßigen Austausch mit den Botschaftern. Der kasachsche Botschafter Dauren Karipow war erst wenige Tage vor meinem Besuch hier in meinem Bundestagsbüro. Wir betreuen auch Delegationen, die nach Berlin kommen – sowohl der Regierung als auch der Parlamente und aus der Zivilgesellschaft. Und diese Delegationen besuchen nicht nur Ministerien, sondern auch Universitäten oder touristische Ziele. So entwickeln sich Beziehungen und Vertrauen; das kann für die Beziehungen unserer Länder nur von Nutzen sein.

Welche konkreten politischen Ergebnisse kann man mithilfe einer Parlamentarischen Gruppe erreichen?

Viele zwischenstaatliche Dinge laufen auf der Regierungsebene und werden nicht vom Parlament entschieden. Manche nicht einmal von der Regierung, sondern auf europäischer Ebene – zum Beispiel Visa-Fragen. Ich halte es für schwierig, dass die zentralasiatischen Länder hier in Vorleistung gehen und zum Beispiel Kasachstan deutschen Touristen 30 Tage lang die visafreie Einreise gewährt, während von der Gegenseite nichts kommt. Wir können das aber kaum beeinflussen, weil es eine Entscheidung der EU ist. Bereiche wie die Arbeit von Stiftungen oder der akademische Austausch sind aber etwas, worüber der Bundestag entscheidet, indem er die finanziellen Mittel dafür bewilligt. Das betrifft zum Beispiel die Deutsch-Kasachische Universität oder das Internationale Parlamentsstipendium. Wir können uns auch mit Kollegen anderer Länder austauschen – über die Rechte, die ein Abgeordneter bei uns gegenüber der Regierung hat; oder über Aufbau und Funktion eines Parlamentsdienstes, der die Abgeordneten unabhängig von der Regierung berät. Wenn sie das in ihren Ländern auch umsetzen können, ist das für ihre Arbeit eine konkrete Unterstützung.

Stichwort Erfahrungsaustausch – wo können Deutschland und Kasachstan noch voneinander lernen?

Wir haben bei uns in den letzten dreißig Jahren Umbruchsituationen in vielen Bereichen gehabt. Ein Beispiel ist die Aufarbeitung des Uranbergbaus, den ich in meiner Heimatregion miterlebt habe, und aus dieser Erfahrung weiß ich: Es dauert mindestens 40, 50 Jahre, um die Folgen halbwegs zu beseitigen. In Zentralasien gibt es Länder, die das noch vor sich haben. Unsere Experten können sie dabei unterstützen, um diese Herausforderungen umweltschonend und nachhaltig zu bewältigen. Ein anderes Beispiel ist der Sport: Deutschland will sich für die Austragung der Universiade bewerben, also der Studentenweltmeisterschaften. Almaty hat eine solche 2017 schon durchgeführt. Da liegt es doch nahe, Erfahrungen auszutauschen. Wie gewinnt man tausende freiwillige Helfer? Was macht man mit dem Dorf für die Athleten, wenn das Ereignis vorbei ist? Welche Sportanlagen muss man bauen, wie viel Geld ausgeben, wie wirken sich solche Spiele auf den Breitensport aus? Ich habe mich gestern mit dem Oberbürgermeister von Almaty, Herrn Bachytschan Sagintajew, unterhalten, und er sagte, dass eine Delegation aus Deutschland in Almaty willkommen ist, um sich vor Ort zu informieren.

Wie beurteilen Sie die Qualität der Beziehungen zwischen Kasachstan und Deutschland sowie der EU?

Im Juni wurde eine neue EU-Zentralasienstrategie verabschiedet. Die Bundesregierung hat kürzlich dazu erklärt, dass Zentralasien für die deutsche Außenpolitik einen besonderen Stellenwert hat und dass sie weiterhin zur zügigen Umsetzung dieser Strategie beitragen will. Das begrüße ich natürlich. Wir sind gut beraten, die Zusammenarbeit mit den Staaten in Zentralasien deutlich auszubauen und dabei besonderes Augenmerk auf die Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu legen. Dort sehe ich noch Potential für Zusammenarbeit – etwa zwischen den Behindertenorganisationen zur Umsetzung der in all unseren Ländern ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention. Ich möchte aber auch erwähnen, dass es schon vielfältige Formen erfolgreicher Zusammenarbeit gibt, an denen die Goethe-Institute, die politischen Stiftungen, Hochschulkooperationen oder auch Städtepartnerschaften einen bedeutenden Anteil haben.

Mitunter gibt es auch Themen zwischen unseren Ländern, bei denen die Meinungen auseinandergehen.

Hier ist es wichtig, offen miteinander zu reden. Nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Für uns sind Presse- und Versammlungsfreiheit selbstverständlich. Wenn es um den Aufbau demokratischer Strukturen geht, hat man hier andere Traditionen, was zum Beispiel ein Mehrparteiensystem und die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition betrifft. Wir halten das für einen Wert und darüber kann man diskutieren – ohne aber anderen das eigene System aufzwängen zu wollen. Zumal die Länder hier ja nicht nur mit Deutschland im Kontakt stehen, sondern auch mit Frankreich, wo es wiederum ein ganz anderes Präsidial-System gibt. Ähnliches gilt auch für das Bildungssystem, etwa bei der Frage nach den Schulstrukturen und wie lange Kinder gemeinsam lernen sollen. Es gibt Dinge, die aus unserer Sicht nicht leicht zu verstehen sind, aber am Ende müssen die Länder selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen.

Welche gemeinsamen Herausforderungen gibt es, bei denen Deutschland und Zentralasien noch stärker an einem Strang ziehen könnten?

Da würde ich den weltweiten Klimawandel, die Umweltverschmutzungen und die Bedrohung der Natur durch die rücksichtslose Ausbeutung der Welt, insbesondere durch die hochentwickelten Industriestaaten, nennen. Die UNO hat 2015 die AGENDA 2030 verabschiedet, mit 17 Zielen zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene. Ich würde mir wünschen, dass die Umsetzung dieser Ziele in den Beziehungen unserer Länder noch stärkere Beachtung findet. Hier können auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung und andere Stiftungen einen Beitrag leisten.

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Sie sind als Bundestagsabgeordneter nicht nur Mitglied mehrerer Parlamentariergruppen, sondern auch Sprecher Ihrer Partei im Sportausschuss. Können Sie diese Funktionen miteinander verbinden?

Ich bin als Abgeordneter immer dem Sport verbunden gewesen. Für unsere Mannschaft, den FC Bundestag, habe ich 22 Länderspiele absolviert, auch gegen die Ukraine oder Russland. Der Sport verbindet, selbst wenn man keine gemeinsame Sprache spricht. Wir haben letztes Jahr im Vorfeld der WM gegen eine Auswahl der Duma gespielt. Das war angesichts der Spannungen zwischen unseren Ländern und der Sanktionspolitik gegen Russland, die ich für falsch halte, schon etwas Besonderes. 18 Fernsehsender haben darüber berichtet. In Kirgisistan war ich 2018 bei den Welt-Nomaden-Spielen, die mich beeindruckt haben. Sie waren auch ein Türöffner: 74 Nationen nahmen teil, man redet mit Athleten, Funktionären und Journalisten. Zudem waren Politiker aus rund 30 Ländern dort. Und wenn man sich jetzt auf internationalen Konferenzen wiedersieht, kennt man sich und sitzt nicht an unterschiedlichen Tischen.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung eröffnet heute ihr Büro für Zentralasien mit einer Konferenz zum chinesischen Projekt der „Neuen Seidenstraße“. Wie blicken Sie auf das Projekt?

Auf den Landwegen der Neuen Seidenstraße von China bis Deutschland geht es eigentlich kaum ohne Russland und die zentralasiatischen Staaten. Damit verbunden ist die Frage, inwieweit diese Staaten lediglich die Funktion eines Transitlandes einnehmen oder aktiv in die Entwicklung des Vorhabens einbezogen werden. Nach meiner Auffassung ist das Projekt der Neuen Seidenstraße keine zu bekämpfende Bedrohung für Europa, sondern eine Chance für eine engere friedensstiftende Zusammenarbeit zwischen den Staaten, Wirtschaften und Völkern Asiens und Europas. Dies gelingt aber nur, wenn die Neue Seidenstraße mehr ist als nur ein reines Wirtschafts- und Verkehrsprojekt und auch die Völker Zentralasiens davon profitieren.

Welche Themen sind für Sie mit Blick auf die Region noch wichtig?

Ich persönlich hoffe, dass die russische Sprache in Zentralasien nicht abgebaut wird. Für mich ist es ein großer Schatz, dass die Menschen in allen Ländern hier damit aufgewachsen sind. Ich begrüße es, dass sie ihre eigene Nationalsprache fördern und auch in den Schulen als erste Sprache unterrichten. Aber gleichzeitig das Russische zurückzudrängen, würde der Wirtschaft und dem Zusammenhalt der Region schaden. Wir hatten gerade im März eine internationale Behindertenkonferenz im Bundestag. Dort waren Vertreter aus 13 postsowjetischen Ländern dabei, und über zwei Tage hinweg fanden intensive Gespräche durchweg auf Russisch statt. Da saßen auch die Russen neben den Ukrainern und die Aserbaidschaner neben den Armeniern, was in der jetzigen politischen Situation nicht selbstverständlich ist. Aber sie konnten miteinander kommunizieren, weil sie eine gemeinsame Sprache sprechen. Das sollte bewahrt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Christoph Strauch

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