Klaus Hurrelmann war Redakteur der DDR-Illustrierten  “FREIE WELT”, die von der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft herausgegeben wurde. Er publizierte 2001 das Buch “Meine irreparablen Kindheitsschäden oder: Der erste darf kein Schwein sein” in dem er auch über seine Erinnerungen an Kasachstanaufenthalte schreibt. Es gab seinerzeit einen Reporteraustausch zwischen den Redaktionen in Ostberlin und Zelinograd. Heute ist er Rentner und lebt in Berlin. Auf Initiative von Nelly Frank, der Frau eines Freundes des Autors, und der Erlaubnis von Klaus Hurrelmann soll im Folgenden der erste Auszug aus diesem Buch, der die Zeit in der „Freundschaft“ anbetrifft, nun in der DAZ veröffentlicht werden.

Es war gegen Ende 1979, Anfang 1980, als ein Mann mit gepflegter, ausgewählter Redeweise, aber ungewöhnlichem Akzent in unserer Redaktion vorsprach und um eine Unterredung mit dem Chefredakteur bat, der damals Umann hieß. Von diesem Vorgang, bekam höchstens die Vorzimmerdame etwas mit. Und es lag zunächst kein Grund vor, dieser Begebenheit besondere Bedeutung beizumessen.

Der nicht im Terminkalender vorgemerkte Besucher hieß Helmut Heidebrecht, war ein Sowjetmensch deutscher Nationalität und Kulturredakteur einer uns bis dato kaum bekannten deutschen Tageszeitung, die in der Gebietshauptstadt des Kasachstanischen Neulands, Zelinograd, erschien. Sie nannte sich „Freundschaft“, womit die auf der „Leninschen Nationalitätenpolitik beruhende Völkergemeinschaft der Sowjetunion“ gemeint war. Heidebrecht, auf Touristenreise in der DDR, hatte sich in Berlin von seiner „grrruhpa“ abgeseilt, um etwas in Gang zu bringen. Auf ewig bin ich ihm dankbar, daß er seine suchenden Schritte im „Bruderland“ zuerst zur FREIEN WELT lenkte.

Ich denke, es war ein mehr oder weniger einsam gefaßter Entschluß unseres Chefredakteurs, danach auch mit dieser Redaktion ein „Patenschaftsabkommen“ zu vereinbaren. Ein für DDR-Gegebenheiten nicht alltägliches Unterfangen. Es sah vor, in jedem Jahr jeweils einen Mitarbeiter für zwei Monate in die andere Redaktion zu schicken. Das wurde Redakteuraustausch genannt. Dafür wurden passable, den Haushalt der Redaktionen nicht sonderlich belastende finanzielle Modalitäten gefunden. Das Gehalt der Austauschkollegen lief in der jeweiligen Heimat weiter. Und in der Gastredaktion bekam man ein annehmbares Honorar, das man durch Sonderleistungen wie Übersetzen oder Artikelschreiben noch aufbessern konnte.

Meine wichtigsten Reisen zu Sowjetdeutschen unternahm ich nach Kasachstan, in die „Neulandmetropole“ Zelinograd (zelina, russ.: Neuland). Nachdem ich in Berlin Sascha Franks Mentor war, wurde ich erster Gegenbesucher. Ich wiederhole: Meine Delegierung war nicht Ergebnis eines erbitterten Ausscheidungskampfes unter den Mitarbeitern der FREIEN WELT. Schon gar kein Privileg. Ich aber fand den Auftrag spannend.

Zum ersten wollte ich das Neuland kennenlernen – zu Beginn der fünfziger Jahre hatten dort Hunderttausende Komsomolzen viele Millionen Hektar Steppenland für den Weizenanbau urbar gemacht. Zum zweiten waren meine Russischkenntnisse nicht so gut, daß ich nicht froh gewesen wäre, Kasachstan inmitten eines deutschsprechenden Kollektivs von Journalistenkollegen zu erleben.

Na, und wenn dort viele Deutsche lebten, dann wäre auch beim Reportern die Sprach-barriere nicht so hoch. Und überhaupt reizte es mich, tiefer in das Problem Rußland- oder Wolgadeutsche einzudringen. Nicht mittels Geschichtsbücher oder Zeitungsbeiträge, wer immer auch die geschrieben haben mochte. Sondern durch eigene Sicht. Ich ahnte beim ersten Mal nicht, daß ich insgesamt mehr als ein halbes Jahr in Kasachstan zubringen würde. […]

Die Fortsetzung dieses Buchauszugs lesen Sie in den nachfolgenden Ausgaben.

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