Das Jahr 2015 stand ganz im Zeichen der Gedenkfeier „70 Jahre Sieg über den Nationalsozialismus“: Zeitzeugen erinnerten sich an die entsetzliche Zeit vom 22. Juni 1941 bis 9. Mai 1945, in der die Sowjetunion um Leben und Tod gegen die Nationalsozialisten kämpfte. Seite an Seite mit anderen sowjetischen Nationalitäten haben die Sowjetdeutschen alles für den Sieg hergegeben – sowohl an der Front als auch im Hinterland.
Iwan Disendorf – falsch kalkulierter Blitzkrieg
[…] Die Erinnerungen an Iwan Disendorf wurden 1975 veröffentlicht. Disendorf diente ab Juli 1941 bei dem vierten Grenzregiment. Dabei wurde er schwer verletzt und kam nach einem längeren Krankenhausaufenthalt zum 765. Grenzregiment. Hier war er an der Schlacht bei Moskau als Nachrichtensoldat, Schreiber und Dolmetscher beteiligt. Im Februar 1942 wurde er nach einer zweiten schweren Verletzung vom Grenzgebiet abgezogen und lebte ab 1943 in Podsosnowo in der Altai-Region. So erinnert sich der Soldat Disendorf an seine Zeit an der Front: „In den ersten Tagen des Vaterländischen Krieges kämpfte die Sowjetarmee hart gegen die zahlenmäßig überlegenen Feinde. Die Nationalsozialisten, die die Hälfte Europas besetzt hatten, rechneten mit einem Blitzkrieg, sie wollten uns schnell besiegen. Doch sie hatten sich in ihren Berechnungen verschätzt. Ja, zu Beginn zogen wir uns immer mehr unter dem Druck der Feinde zurück, jedoch nur, um dann sogleich wieder vorzurücken. Aber sogar bei unserem Rückzug verteidigten wir tapfer jedes Stück Vaterland. Ich war damals glücklich, ein Soldat an der Front zu sein, mich behaupten zu können. 30 Jahre sind vergangen seit dem historischen Sieg der Sowjetunion. Die Kriegswunden sind verheilt, zerstörte Städte und Dörfer wiederaufgebaut. Die Erinnerungen an die nie zuvor gesehenen Heldentaten unserer Soldaten und des gesamten Sowjetvolkes bleiben jedoch, und sie werden für immer bleiben.“
Johann Dueck – Wiedersehen der Kameraden
Am 8. Mai 1976 veröffentlichte die Zeitung „Die Rote Fahne“ den Artikel „Der Weg durch den Feuerregen“ von Edmund Günther, Mitglied des Schriftstellerverbandes der UdSSR. „Das unerwartete Treffen fand 1954 im Zentrum Slawgorods statt. Zwei Kameraden, Johann Dueck (der an der Front „Wanja“ genannt wurde) und Alexandr Budkow, stürzten sich in eine Umarmung, da sie sich so über das unerwartete Wiedersehen freuten. Das Regiment, dem der Seniorsergeant Dueck diente, war an der linken Uferseite des Dnepr stationiert.
Aus dem Westen kamen die Feinde immer näher – grelle Feuerbälle durchbrachen den dunklen Nachthimmel. Der Dnepr verwandelte sich von einem dunklen ruhigen Spiegel in einen lodernden Feuersturm. Der Kommandeur des Verbindungsregiments gab den Befehl, Verbindung zur benachbarten Einheit auf der anderen Uferseite herzustellen. Wie konnte jedoch eine Leitung, die unter dem Beschuss nicht zerstört würde, auf dem Grund des Dnepr gelegt werden? Zum Überlegen war nicht viel Zeit – Findigkeit, Entschlossenheit und Verstand waren gefragt. Und so erhielt der Kommandeur bereits um 11 Uhr nachts folgende Nachricht: „Seniorsergeant Dueck stellte die Verbindung her. Befehl ausgeführt!“ Die schnelle Ausführung des Befehls grenzte an ein Wunder, denn es waren fünf Kilometer bis zur nächsten Einheit! Die Verbindungsgruppe konnte nicht mehr zum Regiment zurückzukehren, da sie bereits vor dem Morgengrauen die Information über den Angriff der feindlichen Streitkräfte, Kampfflugzeuge und Fallschirmspringer erhielten. Eine blutige Schlacht begann; Himmel und Erde versanken im Feuer. Der Feind setzte seinen Angriff fort, viele Nationalsozialisten verloren dabei ihr Leben. Der Kampf forderte jedoch auf beiden Seiten unzählige Opfer. Nach diesem Angriff traf Johann Dueck nie wieder auf seine Kameraden Pawel Skripez, Petr Kostyr, Gregor Nowokschonow. Er selbst wurde für gefallen erklärt.
Dueck jedoch fiel nicht, wie durch ein Wunder überlebte er einen Bombenangriff auf den Luftschutzbunker am unteren Flussufer des Dnepr, wo er sich mit anderen Kameraden versteckt hielt, sowie einen nächtlichen Eilmarsch durch den vom Feind verminten Wald…
Der Weg, den der Frontsoldat Johann Dueck zu Fuß zurücklegte, war lang und schwer. Er schlug sich beinahe 60 Kilometer von Wjasma bis zum Dnepr durch – in einer einzigen Herbstnacht. Und Nächte wie diese gab es viele. Johann Dueck ließ sich nicht zurückschrecken, er sammelte all seine Kräfte, um ein richtiger Soldat zu sein, der seine Heimat liebt. Dueck hatte Glück im Krieg: er blieb unter den Lebenden. Er konnte in sein Heimatdorf Nekrasow, wo er geboren wurde und auch aufwuchs, zurückkehren.
Nach dem Krieg führte er eine Schule, die Mechanisatoren ausbildete. Zu seinen Auszeichnungen aus der Kriegszeit kamen weitere Auszeichnungen für seine Anteilnahme an der Aufbauarbeit nach Kriegsende hinzu. Mehr als drei Jahrzehnte sind seit Kriegsende vergangen, aber Dueck hat den Krieg nicht vergessen, er hat sich tief in seine Erinnerungen eingebrannt. Aber auch seine Gesundheit hat unter dem Krieg gelitten und eine Rheuma-Erkrankung hinterließ ihre Spuren. Dueck versuchte nach dem Krieg, einige seiner Kameraden wiederzufinden. So fand er Johann Neufeld, über dessen Heldentaten im Juli 1941 eine armenische Zeitung schrieb.
Johann Dueck freute sich von ganzem Herzen, dass auch Neufeld wie er in die Heimat, die Altairegion, zurückgekehrt war. Johann Dueck war stolz, einen wertvollen Beitrag zum Großen Sieg über den Nationalsozialismus geleistet zu haben, wodurch nun der Frieden in seiner Heimat herrschen konnte. […]
Swetlana
Die Fortsetzung dieses Beitrags lesen Sie in den nachfolgenden Ausgaben.
Übersetzung: Sabrina Kaschowitz