Telefonseelsorgen helfen bei persönlichen Problemen, Sorgen und Krisen. Damit mehr Menschen diese Unterstützung nutzen können, gibt es in Niedersachsen ein Angebot speziell auf Russisch: Das „Vertrauenstelefon“. Auch durch die Corona-Krise wird dieser Beistand für viele zunehmend wichtig.

Seit der Einführung von Ausgangssperren und Kontaktverbot aufgrund des neuartigen Coronavirus sitzen viele Menschen seit Wochen zuhause fest. Gerade bei Menschen, die alleine leben, führen Isolation und Social Distancing verstärkt zu Einsamkeit. Auch haben viele Angst, selber zu erkranken. Besonders ältere Menschen sorgen sich darum, wer für sie einkaufen geht oder wann sie ihre Wohnungen wieder gefahrlos verlassen können.
In den letzten Wochen wenden sich deshalb vermehrt Menschen mit ihren Anliegen an Telefonseelsorgen. Deutschlandweit erleben Telefonseelsorgen einen Anstieg an Anrufen und versuchen, ihr Angebot möglichst vielen zugänglich zu machen. So bieten einige Stellen den Dienst auch in mehreren Sprachen an. Schon vergangenes Jahr wurde in Niedersachen das Projekt „Vertrauenstelefon“ ins Leben gerufen – eine Telefonseelsorge für russischsprachige Menschen.

Entstehung des Vertrauenstelefons

Das Vertrauenstelefon wurde von Vertretern zweier verschiedener Religionsgemeinden entwickelt: Pastor Christian Voigtmann von der evangelischen Telefonseelsorge und Frau Fejgin von der Jüdischen Gemeinde Hannover. Das Projekt gibt es in Niedersachsen seit November 2019. Hier soll Menschen mit Russisch als Muttersprache geholfen werden, die Unterstützung bei persönlichen Problemen suchen und sich nur schwer auf Deutsch verständigen können.

Im Voraus wurden die Freiwilligen für ein Jahr auf die Tätigkeit in der Telefonseelsorge vorbereitet. Die Freiwilligen besuchten Gesprächs- und Kommunikationsschulungen sowie Vorträge von Ärzten zu psychischen Problemen. Ebenso tauschten sie sich über soziale Themen aus, wie beispielsweise Migration und Integration. Auch Religion spielte eine wichtige Rolle in der Vorbereitung: „Die Leute, die in Deutschland russischsprachig sind, gehören zu verschiedenen Konfessionen“, so Alina Fejgin, Mitbegründerin und Leiterin des Projekts. „Deshalb waren beispielsweise auch Vertreter der islamischen Religion bei uns mit in einer Vorlesung.“

Doch ist die Ausbildung nicht mit der Vorbereitung abgeschlossen. „Auch während des Projekts muss immer wieder weitergebildet werden“, sagt Fejgin. Die Erfahrungen müssten immer wieder reflektiert werden, um sie in der Zukunft noch besser angehen zu können.
Bei dem niedersächsischen Vertrauenstelefon gehe es jedoch vor allem darum, die Hilfesuchenden an entsprechende Stellen weiterzuleiten, die bei dem vorhandenen Problem professionell helfen können.

Eine Minderheit in Niedersachsen

Gerade in Niedersachen ist die Nachfrage nach russischsprachigen Angeboten hoch, denn in dem Bundesland leben circa 270.000 Menschen mit russischsprachigem Hintergrund. Dazu gehören vor allem russlanddeutsche Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion.

Trotz der großen Zahl an Russischsprachigen kann das Leben in den Gemeinden oft etwas beengend sein: „Russischsprachige Communities, besonders in kleinen Städten, sind sehr übersichtlich, und jeder kennt jeden“, erzählt Alina Fejgin. „Viele wollen deshalb niemandem erzählen, dass sie familiäre Probleme oder Ähnliches haben.“

Telefonseelsorgen bieten hier die Möglichkeit, sich im geschützten Rahmen mit jemandem auszutauschen. „Wir fragen die Leute nicht nach ihrem Namen, ihrer Nationalität oder Religionszugehörigkeit“, berichtet Fejgin über das Vertrauenstelefon. „Wir sehen die Telefonnummer gar nicht. Alles wird anonymisiert.“

Auch Anrufer aus anderen Bundesländern

Genauso sei das Vertrauenstelefon neutral in Bezug auf Alter, Geschlecht und Religion. Diese Anonymität ist Grundvoraussetzung für die meisten Telefonseelsorgen. „Für die Menschen ist das wichtig, und man kann mit dem Gegenüber freier sprechen“, sagt Fejgin.

Dies führe dazu, dass auch Menschen anrufen, die nichts mit der jüdischen Gemeinde Hannovers zu tun haben: „Aus Erfahrung rufen nicht nur diejenigen an, die in Niedersachsen leben, sondern auch Leute aus anderen Bundesländern“, so Fejgin. Das Vertrauenstelefon hat in der Vergangenheit auch Werbung verbreitet, doch das Meiste laufe über Mund-zu-Mund-Propaganda unter Russischsprachigen.

Mitunter sei den Anrufern jedoch noch nicht ganz klar, wofür das Vertrauenstelefon gedacht ist. Manche riefen auch an, um Informationen zu bekommen, die sie anderswo nicht auf Russisch erhalten. So kamen auch schon Fragen, die üblicherweise fürs Jobcenter bestimmt sind. „Es muss noch verständlich gemacht werden, welche Ziele dieses Angebot hat“, sagt Fejgin. „Das Vertrauenstelefon ersetzt nicht die Arbeit von Ämtern, Psychologen oder Sozialarbeitern, sondern ist ein zusätzliches Angebot.“

Wiederkehrende Themen bei der Telefonseelsorge

Die Klientel des Vertrauenstelefons hat oft ähnliche Probleme. Eines der häufig wiederkehrenden Themen bei den Anrufen ist laut Alina Fejgin Einsamkeit. „Es wird zwar nicht direkt artikuliert. Die Leute rufen nicht an und sagen: ‚Ich bin einsam!‘ Man sagt was anderes“, so Fejgin. „Aber durch das Gespräch wird klar, dass es um Einsamkeit geht.“

Besonders Migranten sind häufig von Einsamkeit betroffen. Verwandte und Freunde bleiben oft in der Heimat, und viele finden durch sprachliche oder kulturelle Barrieren nur schwer Anschluss. „Migration spielt eine wichtige Rolle, besonders wenn die Ehepartner gehen oder die Kinder von zuhause ausziehen. Neue Lebensphasen entstehen, und man bleibt plötzlich allein zurück“, erzählt Alina Fejgin. „Das ist eine sehr schwere Phase im Leben eines jeden Menschen, aber bei Migration trifft das noch stärker zu.“

Die Freiwilligen wurden auch auf heikle Themen wie Suizid oder häusliche Gewalt vorbereitet. Bisher sind diese Themen bei den Telefonaten noch nicht vorgekommen, so Alina Fejgin: „Das bedeutet einerseits, dass wir noch eine Menge vor uns haben, aber auch dass wir noch Vertrauen erkämpfen müssen.“

In Zeiten von Corona

Trotz der Gefahr durch Covid-19 wurde der Betrieb bisher nicht eingestellt. „Wir bleiben am Ball, wir bleiben geöffnet“, so Fejgin. Lediglich die gemeinsame Supervision und Weiterbildung der Freiwilligen finde zurzeit online statt. Die wöchentlichen Anrufzeiten des Vertrauenstelefons haben sich bisher nicht geändert. Weiterhin rufen Menschen mittwochabends an und suchen Rat beim Vertrauenstelefon.

Jedoch sei es besonders in der aktuellen Lage wichtig, Menschen eine klare Auskunft und Unterstützung zu bieten. „In Corona-Zeiten ist richtige Information noch wichtiger als zuvor“, berichtet Fejgin. „Die Leute, die anrufen, haben Angst, haben Unsicherheit. Das, was wir alle heutzutage haben.“ Die Nachfrage sei beim Vertrauenstelefon durch die Coronakrise jedoch bisher nicht sehr viel größer geworden.

„Es ist ein hartes Brot“

Laut der Statistik der Telefonseelsorge Deutschland verzeichnen Telefonseelsorgen deutschlandweit über 700.000 telefonische Seelsorge- und Beratungsgespräche pro Jahr. Dazu kommen mehrere tausend persönliche Gespräche sowie Kontakte über Email und Chats. Das Vertrauenstelefon hat bisher keine Statistiken veröffentlicht, auch weil es erst seit etwas mehr als einem halben Jahr existiert. Doch soll auch dieses Angebot weiterhin ausgebaut werden.

Es gehe jedoch nicht um Quantität, sondern um den respektvollen Umgang mit Anrufern: „Das sind die Menschen, die sonst niemanden haben, den sie anrufen oder dem sie vertrauen können“, sagt Fejgin. Sie rufen jemanden an, den sie nicht kennen, und diese Menschen brauchen Zeit, um sich zu offenbaren.“

Auf lange Sicht sei es auch das Ziel des Vertrauenstelefons, das Projekt zu vergrößern. So soll es beispielsweise zu mehreren Zeiten angeboten werden. Dafür brauche es jedoch Zeit, denn es müssten neue Freiwillige gefunden und vorbereitet werden. „Es ist ein hartes Brot“, erzählt Frau Fejgin. „Man muss Herz und Seele in dieses Projekt stecken, damit das läuft.“

Antonio Prokscha

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