Dr. Dieter Seitz, Fotograf, Industriedesigner und promovierter Soziologe, ist das 3. Mal in seinem Leben in Kasachstan. Anfang Oktober eröffnete seine Ausstellung „Virtual Landscapes“ im Art Center „Kulanshi“ in Astana – Eine der vielen Stationen, auf denen die Wanderausstellung in den kommenden Monaten gastieren soll. Vor sieben Jahren war er zum ersten Mal in Kasachstan und vor zwei Jahren hat er die Idee wieder aufgenommen.

Herr Seitz, momentan sind Sie in Almaty um für ihre aktuelle Wanderausstellung zu werben und Partner zu finden. Wie kommen Sie voran?

Dieter Seitz ist Fotograf und promovierter Soziologe. Er reiste druch Kaschstan, um die kulturelle Topografie nachzuzeichnen.

Die Vorbereitung läuft schon eine geraume Weile. Ich habe, noch bevor ich mich in das Projekt gestürzt habe, angefangen, mich um die „Postproduktion“ zu kümmern. Ich gehöre eher zu den Künstlern, die bereits im Schaffensprozess an das „Danach“ denken, an die Menschen, die ich ansprechen und an den Diskurs, den ich anstoßen will. Schliesslich möchte ich nicht im Elfenbeinturm vor mich hinarbeiten. Die Rezeption von Kunst muss man schon bei der Produktion mit im Auge haben. So fing meine Vorbereitung bereits vor über zwei Jahren an, wobei sich dann vor Ort in Kasachstan vieles als komplizierter erwies, als ich mir das vorgestellt hatte.

An wen sind Sie in Kasachstan herangetreten?

Das sind zum einen natürlich die deutschen– und Kooperations-Institutionen und von da aus habe ich versucht, die Fühler auszustrecken. Das hat auch den Hintergrund, dass ich nicht die hier gängigen Sprachen beherrsche. Das ist ein Punkt, der mich eine Weile von dem Projekt abgehalten hat, denn sprachliche Verständigung ist fuer mich auch beim Fotografieren ganz zentral. Aber ich versuche das zu kompensieren, Freunde und Dolmetscher helfen mir, letztendlich habe ich mich von dieser Einschränkung nicht abhalten lassen.

Warum eigentlich nicht? Warum ist dieses Land so spannend für Sie, was ist ihre persönliche Faszination?

Es sind verschiedene Dinge; zum einen ist das relativ rational. Ich habe mich in früheren Jahren nebenher mit Transformationsprozessen der früheren sozialistischen Länder respektive Sowjet-Republiken und anderen beschäftigt und habe sozusagen aus dieser politischen und theoretischen Sicht die Entwicklung verfolgt. Ein zweiter Grund ist der, dass ich in manchen der Länder gereist bin, überwiegend in Russland, aber auch einigen anderen u.a. auch in Sowjetzeiten, später vorrangig im beruflichen Kontext. Dabei konnte ich viele persönliche Gespräche auf einer vertrauensvollen Basis führen und über meinen theoretischem Hintergrund hinaus auch einen Eindruck vom Alltag der Menschen, ihren Stimmungen und Nöten gewinnen. Mein dritter Zugang ist die Literatur, die ich früher gelesen habe. So ist Tschingis Aitmatow einer meiner früheren Lieblingsautoren. Er ist zwar kein Kasache, sondern Kirgise, bewegt sich aber im zentralasiatischen Kontext.

Für Zentraleuropäer ist die gesellschaftliche Konstellation in Kasachstan und ihr Phänotyp zuweilen doch leicht exotisch. Welche Rolle spielt dieser Blickwinkel für Sie?

Wenn ich nur das Moment des Exotischen nehme, dann würde ich sagen, dass es eine gewisse Rolle spielt, aber nicht so eine starke. Dann würde ich in wesentlich exotischeren Gegenden verkehren. Das ist manchmal auch um Vielfaches angenehmer.

Tatsächlich?

Ja, zum Beispiel in Indien, wo zwar große Armut herrscht, zu der man erst mal lernen muss, sich zu verhalten, aber wo eine größere Gelassenheit und Freundlichkeit dem Leben gegenüber da ist, als es in Kasachstan der Fall ist.

Also nix mit der kasachischen Gastfreundschaft?

Natürlich! Die habe ich auch erfahren, die gibt es auch, aber das dauert dann schon ein bisschen länger! Ich würde sagen in Kasachstan ist alles ein bisschen rauher und härter, und das spiegelt sich auch im Verhalten der Menschen wider – rau und herzlich.

Steppe…

Ja, natürlich…

Ein wichtiger Punkt hinsichtlich des „Exotischen“ ist für mich natürlich das Fremde und das Neue. Das zieht mich an. Ich will nicht dort hin, wo ich alles bereits kenne, das wird rasch langweilig. Insofern steckt da immer auch so ein forschendes Moment drin.

Was hat es mit Ihrer aktuellen Serie, mit den „Virtual Landscapes“ auf sich? Was war hier das Besondere, das Fremde, was Sie bewegt hat?

Aus der Beschäftigung mit dem Land hat sich für mich folgende Frage herauskristallisiert: Was unterscheidet Kasachstan eigentlich von den anderen früheren Sowjetrepubliken in Zentralasien? Und bevor ich ins Land kam, war eine erste Antwort für mich da: Es hat wahrscheinlich mit diesen drei großen kulturellen „Strömungen“ zu tun, wie ich es mal bezeichnen möchte, die hier vorzufinden sind. Das Erste ist die traditionelle kasachische Kultur und alles was damit verbunden ist, zum Zweiten das sozialistische Kulturerbe, was in allen Ritzen der Gesellschaft steckt, und zum Dritten die kapitalistische, westliche Moderne, die über das Land hereinkommt und begierig aufgesogen wird. Das ist zunächst vielleicht keine besonders originelle Beobachtung, aber die spannende Frage ist jetzt: Wie verhalten sich diese drei Strömungen zueinander? Und da war mein Eindruck, dass es zum Einen ein Nebeneinanderher gibt. Zum Zweiten, und da wird es interessant, durchdringen sich diese kulturellen Strömungen, sie mischen sich und gehen vielfältige Verbindungen miteinander ein. Das spannende Moment: Was entsteht da Neues in der weiteren kulturellen Entwicklung, was wir heute vielleicht in Ansätzen erkennen, aber letztlich erst die Zukunft weisen wird? Für die Nachbarländer hatte ich den Eindruck, dass sich diese Strömungen anders verhalten, vielleicht eine überwiegt, bzw. härtere Kontraste sichtbar sind und es weniger diese Bündelung wie in Kasachstan gibt, wo für mich die wechselseitige Beeinflussung dieser drei großen Strömungen zentral ist.

Dieses „große Bild“ habe ich versucht, in Alltagsphänomenen wiederzuentdecken und dazu symbolhafte Repräsentationen gesucht. Eine eher nebensächliche Beobachtung waren bei meinem ersten Besuch vor sieben Jahren in den kasachischen Städten all die Baustellen und die Blechwände vor diesen. Vor zwei Jahren, als ich wiederkam, zogen farbgewaltige Landschaftsbilder vor diese Blechwände und in die Städte. Und ich denke, dass das eben erwähnte Kulturthema sich darin symbolisch widerspiegelt, insbesondere die Beziehung zwischen Wirklichkeit und Fiktion.

Herr Seitz, nach der Betrachtung Ihrer Arbeiten und ihren bisherigen Fotoserien stelle ich Ihnen die lakonische Frage: Können Sie etwas als hässlich empfinden und was bedeutet „hässlich“ für Sie?

Hmm… Es ist natürlich extrem stark kulturell geprägt, was überhaupt als schön und was als hässlich attributiert wird. Ein extremes Beispiel dafür sind Bilder von Amazoniens Ureinwohnern von Sebastião Salgado mit teils extrem verformten menschlichen Merkmalen, wie den Tellerlippen. Was für ein westliches Auge abnorm scheint, wird in dieser Gesellschaft als hoch ästhetisch und symbolträchtig angesehen. Es ist wirklich schwer, die Frage nach Schönheit und Hässlichkeit zu beantworten. Für mein Auge sind Dinge wie zerstörte und verbrauchte Landschaften, Gebäude, Ruinen, Häuser und Menschen, die nicht nach Hochglanzmagazinen aussehen, ästhetisch ungemein reizvoll. Das ist natürlich eine kulturelle Sicht, die ziemlich konträr zu der Alltagssicht der Menschen in Kasachstan läuft. Das war mir schon im Vorhinein klar. Wie extrem das allerdings sein würde und für Vorbehalte gegenüber allem anderen hier sorgen könnte, hat mich dann doch überrascht. Diese Differenzen zwischen den Wahrnehmungen sind auch der wesentliche Grund für mich gewesen, meine künstlerische Arbeit hier vor Ort prozessual zu gestalten wo es um einen kulturellen Austausch und eine Diskussion geht. Ich möchte einen produktiven Diskurs, um Ästhetik, Vorstellungen, Sensibilität, auch um die „Schere im Kopf“ beim Umgang mit dem Andersartigen und Fremden. So ein Austausch gelang auch bereits, als ich in eine der Schulen mit deutschem Sprachunterricht eingeladen wurde und eine Diskussion zu eben dem Thema „Was ist hässlich, was ist schön?“ anregte, woraus zu meiner Überraschung eine nachdenkliche und produktive Diskussion erwachsen ist.

In Kasachstan ist man zum Teil sehr vorsichtig und misstrauisch, was die Darstellung des Landes im Ausland angeht. Mussten Sie bereits Erklärungen oder gar Rechtfertigungen vorbringen?

Ja, es wurde unter anderem, bei Berichterstattung im Vorfeld, ein Foto von mir nicht abgedruckt, das die Journalistin ausgesucht hatte, weil der Chefredakteur eine zu sensible Aussage darin erkannt haben wollte. Ein Jahr später, bei der Ausstellungseröffnung letzte Woche, waren dann auch keine Vertreter dieses Mediums vor Ort.

Andere Probleme?

Ja, schon. Ich habe hier große Bemühungen geleistet, was die Finanzierung des Projektes angeht. Ich habe viele Klinken geputzt und Sponsoren für die Sache geworben, wie noch nie bei einem Projekt. Das Ergebnis war leider sehr ernüchternd, vor allem mit der kürzlich erfolgten Tenge-Abwertung, so sind die Gelder nahezu völlig weggebrochen. Zu meinem Bedauern fiel auch die Unterstützung deutscher Institutionen bisher rein ideell aus. Das alles hilft mir leider nicht bei den Unkosten, wie z.B. Transport und Raummiete. Kasachische Unternehmen haben kaum Erfahrung in Kulturförderung, eine gesellschaftliche Funktion ist hier kaum verbreitet. Interessenten hatte ich lediglich aus deutsch-kasachischen Kreisen.

Wie haben Sie denn den Zusammenhang zu deutsch-kasachischen oder auch kasachischen Unternehmen hergestellt, als Sie an sie herantraten?

Nicht zuletzt mit der EXPO-Entscheidung für Kasachstan und der Ausrichtung dieser auf erneuerbare Energien habe ich das gesamte Projekt angegangen. Deutschland als Grüne-Energie-Experte hat ja einen direkten Bezug zur Thematik, und so habe ich meine künstlerische Arbeit gut im Vorfeld, in der Vorbereitung auf so ein Riesenereignis sehen können. Jenseits des Mainstreams hatte ich damit vor, ein vielfältigeres Bild Kasachstans zu zeichnen und es in Deutschland und Europa in einem anderen Licht darzustellen, jenseits der üblichen Stereotype. Das stellt sich jedoch nach wie vor als sehr schwierig heraus.

Herr Seitz, zum Abschluss eine ästhetische Frage. Wie ist es in der Pyramide des Friedens und der Verständigung auszustellen, ist es ein besonderer Ort mit einer besonderen Atmosphäre?

Es ist natürlich sehr symbolträchtig, nicht zuletzt aufgrund des Namens, aber auch der geographischen und der stadtplanerischen Lage. Es ist auch einfach eine prominente Architektur. Ein Hauptpunkt der Achse dieser Stadt. Es ist ein Punkt zwischen kultureller– und gesellschaftlicher Verantwortung, wenn man die kulturellen Einrichtungen, Regierungsgebäude, Ministerien etc. auf der einen und die Reinkarnation von Kommerz und Freizeit das „Chan Shatir“ auf der anderen Seite betrachtet. Dieser Ausstellungsort steht in diesem Spannungsfeld, ich finde es wunderbar und ganz wichtig, wenn sich Kunst in diesem Spannungsbogen wiederfindet.

Trotz all dieser Widrigkeiten, die Sie erwähnten, würden Sie noch einmal ein Projekt in Kasachstan angehen?

Das kann ich ernsthaft wirklich erst am Ende sagen, im Moment stecke ich noch mittendrin, und die Ausstellungreihe in Kasachstan hat ja gerade erst begonnen. Ich bin sehr gespannt, wie sie in der Provinz aufgenommen und diskutiert wird, wobei „Provinz“ hier ja ein ganz falscher Begriff ist, Karaganda, Oeskemen und andere Staedte sind ja grosse Industriezentren und traditionsreiche Orte. Es hängt also sehr stark von der Rezeption dort und anderswo ab. Ich bin sehr gespannt.

Dann hoffe ich, dass es mit einer Ausstellung in Almaty und den anderen Städten klappt, damit Menschen außerhalb Astanas die Chance haben, Ihre Werke zu sehen. Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Julia Boxler

Die Ausstellung in Astana läuft noch bis 29. Oktober im Kulanshi Art Center. Die danach geplanten Stationen der Ausstellung sind in Karaganda (Eröffnung am 11. November 2015), Öskemen (voraussichtlich Februar), Semej (voraussichtlich März), Almaty (voraussichtlich April), Atyrau (in Planung)

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