Deutschland hat einen neuen Aussiedlerbeauftragten, der sich für die Belange nationaler Minderheiten einsetzen soll. Von der Einführung des Parlamentarischen Staatssekretärs Christoph Bergner in sein neues Amt berichtet unser Korrespondent Josef Bata.
„Die neue Bundesregierung sieht sich der Kontinuität verpflichtet, den Russlanddeutschen helfend beizustehen und ihnen, wenn die Vorraussetzungen gegeben sind, die Übersiedlung nach Deutschland zu ermöglichen.“ Das sagte Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Verabschiedung des alten und der Amtseinführung des neuen Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner löste damit seinen Vorgänger, den Sozialdemokraten Hans-Peter Kemper, ab, der seinerseits seit November 2004 dieses Amt innehatte und nun durch Erreichen des Pensionsalters ausgeschieden war.
Wegen der vorgezogenen Bundestagswahlen im September letzten Jahres und durch die Bildung einer Großen Koalition unter Beteiligung der Christlich-Demokratischen und der Sozial-Demokratischen Partei sowie der Christlich-Sozialen Union wurde die Stelle neu besetzt. Die Amtseinführung Bergners war eine der letzten Umbesetzungen nach dem Regierungswechsel.
Bergner schätzt Ausgleich und Dialog
Nach der Würdigung der Verdienste von Amtsvorgänger Kemper sagte Schäuble: „Lieber Herr Bergner, Sie übernehmen ein reizvolles, ein wichtiges, ein sicher nicht immer leichtes Amt. Sie übernehmen es zusätzlich zu anderen Aufgaben. Aber ich bin ganz sicher, dass Sie sich Ihren vielfältigen Aufgaben mit Ihrer ganzen Kraft widmen werden.“ Außerdem hob er hervor, wie sehr Bergner immer um Ausgleich und Dialog bemüht sei und damit an die Arbeit seiner Vorgänger anknüpfe, „um das Bestmögliche für die Aussiedler, für die Minderheiten und damit für unsere Gesellschaft insgesamt zu leisten.“
Nach den Worten Schäubles hat die Bundesregierung mit Bergner erneut einen Bundestagsabgeordneten in das Amt des Aussiedler- und Minderheitenbeauftragten berufen und dieses Amt weiter gestärkt, da Bergner als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium eine bedeutende Schnittstelle zwischen Parlament und Regierung besetze.
Schäuble erinnerte daran, dass es vor allem darum gehen müsse, in den deutschen Siedlungsgebieten Lebensumstände zu schaffen, die es den Menschen ermöglichten, frei zu entscheiden, ob sie bleiben oder nach Deutschland kommen möchten. Das sei die Grundlage der damaligen Politik gewesen, und das sei sie auch heute. Die Aussiedlerpolitik der heutigen Bundesregierung sei zeitgemäß und der Zukunft zugewandt.
Auch künftig Spätaussiedler nach Deutschland
Auch wenn die russische Regierung erfreulicherweise mit gesetzlichen Initiativen die Rehabilitierung der Russlanddeutschen als Volksgruppe betreibe, wolle die Bundesregierung nicht, dass der Eindruck entstünde, aus deutscher Sicht sei eine kollektive Rehabilitierung nicht mehr erforderlich. Der Bundesinnenminister rief erneut ins Bewusstsein: „Die Angehörigen der deutschen Minderheiten haben nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost-europa und in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion Vertreibung, Gewalt und Diskriminierung erfahren. Viele der Opfer und ihrer Nachkommen leiden heute noch an den Folgen dieses Unrechts. So waren Russlanddeutsche in der ehemaligen Sowjetunion bis zum Zusammenbruch des Kommunismus erheblichen Verfolgungen ausgesetzt.“ Nach den Worten Schäubles würden auch künftig deutsche Volkszugehörige als Spätaussiedler in Deutschland aufgenommen, sofern sie sich zum deutschen Volkstum bekannt haben und ihnen bereits in der Familie hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur vermittelt worden sind.
Dem Bundesinnenminister sei es bewusst, dass sich in der Vergangenheit einiger Unmut über Familienangehörige von Aussiedlern gezeigt habe, die ohne ausreichende Deutschkenntnisse nach Deutschland gekommen waren. Daher sehe das neue Zuwanderungsgesetz vor, dass mitreisende Familienangehörige nur dann in den Aufnahmebescheid einbezogen werden, wenn sie bereits vor ihrer Ausreise ausreichende deutsche Sprachkenntnisse besitzen und diese in einem Sprachtest nachweisen. „Dieser Ansatz soll zur Verbesserung der sozialen und beruflichen Integration der zu uns kommenden Aussiedlerfamilien beitragen – und deswegen liegt er im wohlverstandenen eigenen Interesse der Aussiedler“, betonte der Bundesinnenminister und fügte hinzu: „Es gibt nämlich kaum eine bessere Vorbereitung auf die neue Heimat, als sich im Vorfeld gemeinsam, im Kreise der Familie, um die deutsche Sprache und auch um kulturelle Besonderheiten unseres Landes zu bemühen. Und da sind eben vermittelnde Bemühungen der Spätaussiedler selbst gefordert.“
Integration als Aufgabe der Gesellschaft
„Der Weg endet nicht mit der Ankunft in Deutschland“, hob Schäuble weiter hervor. „Wir müssen uns alle fragen, was zu tun ist, wenn Spätaussiedler und ihre Familien bei uns eingetroffen sind. Das ist eine Aufgabe der Gesellschaft insgesamt. Und ich glaube, dass die erfolgreiche Integration aller zu uns kommenden Menschen – und das sind nicht nur Spätaussiedler – eine der größten und wichtigsten innenpolitischen Aufgaben der kommenden Jahre ist.“ Die Integration andererseits sei eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, der sich alle stellen müssten und die der Staat allein nicht leisten könne, betonte Schäuble. Die Kirchen etwa leisteten viel ehrenamtliche Arbeit, und auch der Sport zeige in einer besonderen Weise viele gesellschaftliche Bemühungen. Das Integrationssystem in Deutschland umfasse ein bundesweites Netz von Einrichtungen zur Beratung und Betreuung von Spätaussiedlern sowie gezielte Maßnahmen zur beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung, hob der Bundesinnenminister hervor und nannte zugleich Ziele der Bundesregierung hierzu: „Wir wollen unser Integrationssystem weiterentwickeln. Wir wollen die Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen erleichtern und gleichzeitig Zusatzqualifizierungen und Umschulungen anbieten. So ließe sich zum Beispiel für Jugendliche, die mit einem Schulabschluss nach Deutschland kommen oder aber nicht mehr schulpflichtig sind, die ergänzende Sprachförderung in berufsvorbereitende Maßnahmen einbetten, die auch mit einem Praktikum verbunden werden können.“
Herausforderung für jugendliche Aussiedler
Gerade die Integration der jungen Aussiedler sei ein besonderes Anliegen, zumal Kinder und Jugendliche die gemeinsame Zukunft der Gesellschaft seien. Nach Überzeugung des Bundesinnenministers gelinge es den meisten jugendlichen Spätaussiedlern durchaus, die Schule qualifiziert abzuschließen, eine Ausbildung aufzunehmen oder ein Studium zu beginnen. Sie bewältigten diese Aufgaben trotz sprachlicher Rückstände und eingeschränkter wirtschaftlicher Re-ssourcen auf anerkennenswerte Weise. Vertriebene und Spätaussiedler hätten über die Jahrzehnte große Beiträge zur Entwicklung Deutschlands geleistet, hob Schäuble hervor und wies zugleich darauf hin, dass es „natürlich auch anders lautende Vorurteile gibt, das soll nicht verschwiegen werden. Aber es ist nur eine kleine Minderheit der Spätaussiedler, die gelegentlich durch erhöhte Gewaltbereitschaft auffällt. Die große Mehrheit hält sich an die Regeln unseres Rechtsstaats. Aktuelle Zahlen polizeilicher Länderkriminalstatistiken – etwa aus Nordrhein-Westfalen – belegen das eindeutig. Aber natürlich muss das Ziel sein, auch diese Minderheit in die Mitte unserer Gesellschaft zurückzuholen.“
Des weiteren ging der Bundesinnenminister auf die Aufgabe des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ein und führte weiter aus, dass es eine nicht minder wichtige Aufgabe des Aussiedlerbeauftragten sei, die Politik der Bundesregierung zugunsten der deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten umzusetzen. Das Ziel der Bundesregierung sei nicht, dass alle Deutschen nach Deutschland kommen. Die Bundesregierung wolle, dass sie in ihren Siedlungsgebieten Lebensverhältnisse vorfänden, die sie gar nicht erst vor diese Entscheidung stellten. Die Bundesregierung betrachte es auch weiterhin als ihre Pflicht, Menschen, die sich entschieden haben, in ihren Geburtsländern zu bleiben, in ihrem Bemühen um die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Lage tatkräftig zu unterstützen. „Und hier kommt es entscheidend darauf an“, betonte Schäuble, „dass die Menschen sich bei ihrer Lebensplanung auf das Wort der Bundesregierung verlassen können. Denn die politischen wie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen kalkulierbar bleiben. Um diese Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen wir unsere Hilfe auf bestimmte Förderprojekte konzentrieren und durch angemessene Teilhabemöglichkeiten des Umfelds zugleich dafür sorgen, dass es nicht zu sozialem Unmut zwischen der jeweiligen deutschen und der nicht-deutschen Bevölkerung kommt.“ Es könne nicht nur darum gehen, dass die Bundesregierung aus der Ferne wirke. Sie biete letztlich vor allem Hilfe zur Selbsthilfe und fördere auch das Eigenengagement, betonte Schäuble.
Neue Lebensperspektiven schaffen
Der neue Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Christoph Bergner knüpfte sodann an die Worte des Bundesinnenministers an und sagte wegweisend: „Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zu der Verantwortung gegenüber den Angehörigen der deutschen Minderheit, die unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges gelitten haben. Dies gilt insbesondere für die Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion. Wir werden in unseren Anstrengungen, den Menschen in den Herkunftsländern bei der Schaffung neuer Lebensperspektiven Hilfe zu leisten, nicht nachlassen. Aber auch diejenigen, die Ihre Zukunft in Deutschland sehen, sind herzlich willkommen. Die soziale und berufliche Integration der Spätaussiedler und ihrer Familien zu verbessern, wird deshalb eine der Schwerpunktaufgaben meiner Tätigkeit darstellen.“
Von Josef Bata
17/03/06