Die erwartete Überraschung ist nun eingetreten: Obama wird neuer Präsident der größten Wirtschaftsmacht der Welt, die zugleich auch die einzig verbliebene Supermacht ist. Es ist in den letzten Monaten viel über das Phänomen Obama und die Chancen auf Aufstieg für den kleinen Mann in den USA geschrieben worden. Unter allen Aspekten, die mit seinem Wahlsieg verbunden sind, gefällt mir am besten, dass Amerika zumindest in diesem – sehr wichtigem – Punkt seinen versteckten Rassismus überwinden konnte.

Noch vor nur drei, vier Jahrzehnten war in den USA strenge Rassentrennung alltägliche Praxis. Teilweise musste sogar nach deren schrittweiser Aufhebung die Nationalgarde eingesetzt werden, um farbigen Kindern den Besuch einer bisher „weißen“ Schule zu ermöglichen.
Interessant ist nun, weshalb die Amerikaner Obama gewählt haben. Sicher gibt es dazu sehr unterschiedliche Analysen und Aussagen. Eine Umfrage unter seinen Wählern ergab folgende Antworten: Er hat neue Ideen, meinten 70 Prozent der Befragten; 56 Prozent denken, dass er engen Kontakt zu den einfachen Leuten hält. 48 Prozent teilen die von ihm vertretenen Werte. 40 Prozent trauen ihm zu, Dinge zu verändern. 37 Prozent sehen bei ihm den Willen, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Nur 21 der Befragten bewerteten ihn als „gewöhnlichen Politiker“.

Eine ausgesprochene wirtschaftspolitische Kompetenz kommt hier als Kategorie nicht vor. Diese steckt wahrscheinlich in den Punkten „neue Ideen“ und „Dinge verändern“. Doch was die wirtschaftspolitische Denkweise des neuen Präsidenten und seiner Administration kennzeichnen wird, ist im Moment keinesfalls klar auszumachen. Auf jeden Fall sind die Erwartungen hier sehr, sehr groß. Allerdings sind die in den USA mittlerweile angehäuften Probleme mindestens genau so groß. Verständlich ist, dass die Welt der Wirtschaft mit größtem Interesse auf Obama schaut, schließlich sind die USA auch auf absehbare Zeit die größte und – trotz aller Probleme im Detail – die innovativste und dynamischste Wirtschaftsmacht der Welt. Daran ändert in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten auch der rasante Aufstieg Chinas nichts, der zudem infolge des Wirkens einer Reihe spezifischer Faktoren früher oder später auch an Dynamik verlieren muss.

Bis jetzt sind eigentlich nur einige Bruchstücke wirtschaftspolitischer Vorstellungen der künftigen USA-Administration bekannt. So scheint es, dass die Rolle des Staates als Regulator und Setzer von Rahmenbedingungen für Teile der Wirtschaft verstärkt werden soll. Das wäre ein klarer Paradigmenwechsel, denn die meisten Bürger in den USA misstrauen dem Staat eher, als das sie ihm vertrauen. Im Moment, also in der aktuellen Krise, ist der Staat zwar eine gern gesehene Stütze, das wird sich aber irgendwann wieder ändern. Weiter tritt Obama für eine Beschränkung des Freihandels ein, er will also seine nationalen Produzenten mehr oder weniger künstlich vor ausländischer Konkurrenz schützen. Das kann sich schnell als zweischneidiges Schwert erweisen, denn Maßnahmen zur Beschränkung der Importe ziehen meist entsprechende Gegenmaßnahmen der betroffenen Länder nach sich. Handelskriege sind so nicht auszuschließen. Lobenswert scheint mir beispielsweise der Grundsatz zu sein, die niedrige Anzahl Krankenversicherter nicht durch staatlichen Zwang wie in Deutschland, wo alle Bürger eine Krankenversicherung haben müssen, sondern durch Verbesserung der marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu erreichen. Das soll zum Beispiel durch Krankenversicherungspolicen erfolgen, die die jeweils reale Krankengeschichte berücksichtigen und infolgedessen billiger gehalten werden können.

Doch wie in den anderen Politikbereichen, erwarte ich auch in der Wirtschaftspolitik keine spektakulären Wendungen, sondern mehr eine solide Kleinarbeit zur schrittweisen Lösung der vielgestaltigen Probleme im Bereich der öffentlichen Finanzen und der Sicherung beziehungsweise Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Teile der US-Wirtschaft. Wichtig ist auf jeden Fall die Ankündigung des neuen Präsidenten, die Probleme in enger Abstimmung mit den internationalen Partnern lösen zu wollen und nicht mehr in weitgehender Isolation von ihnen.

Die Hauptbedeutung der Wahl Obamas für Kasachstan sehe ich aber eher in einem politischen Aspekt, und zwar in der Demonstration der Überlegenheit eines wirklich demokratischen Systems im Vergleich zur hiesigen „gesteuerten“ Demokratie. Es ist erfrischend zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit die Amerikaner die frühere Opposition an die Macht wählen und wie die frühere Macht diszipliniert in die Opposition geht, weil sie die Lektion des Volkes verstanden hat. Man kann ja an den amerikanischen Wahlkampfprozeduren viel kritisieren – zum Beispiel ihren ausschweifenden Showcharakter und das Durchleuchten des persönlichen Lebens der Kandidaten bis in die letzte Kleinigkeit. Das klar Positive aber ist der Kampf von Ideen und unterschiedlichen Werten, der Prozess der umfassenden Information der Wähler sowie das Wahrnehmen vielfältigster Probleme der Leute vor Ort während des Wahlkampfes. Im Ergebnis haben die Wähler wirklich die Wahl zwischen Konzeptionen, Ideen und Vorstellungen und kaufen nicht die Katze im Sack. Die bei Wahlen hierzulande üblichen Aufrufe zum Sich-fester-scharen um die bewährte Führung im Namen einer nicht definierten Stabilität mag den hiesigen Wähler kurzfristig reizen, langfristige Dynamikprozesse und Vertrauen in die politische Klasse lösen sie eher nicht aus.

Bodo Lochmann

14/11/08

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