Alle wollen wir doch nur eines: so richtig glücklich sein. Und so suchen wir und suchen nach dem Glück. In alten philosophischen Büchern, hochmodernen Zeitschriften und teuren Schweigeseminaren von Glücks-Gurus. Wir trachten nach dem Glück in der Entspannung durch Tai Chi, Chi Gong und Yoga oder in der Beschwerlichkeit, indem wir uns auf die Gipfel im Himalaya hochkämpfen. Zuweilen finden wir dann auch ein Quentchen Glück hier oder da, allein – es ist vergänglich.
Unter Anleitung wird uns das Glück quasi in den Schoß gelegt, doch allein gelassen damit, wissen wir nicht, wie wir es halten sollen. Und dann wendet es sich auch schon wieder ab. Und natürlich macht es glücklich, wenn man große Hindernisse und eigene Grenzen überwindet und dann noch mit einem herrlichen Ausblick belohnt wird. Und natürlich fällt es leichter, wenn man sich in Urlaubsstimmung befindet. Und so kommt natürlich der professionell meditierende Mönch in den Bergen seinem Glück recht nahe. Doch in unserem Fall der westlichen Glückstouristen verliert sich schon beim weniger beschwerlichen Weg bergab gen heimwärts das Glück mit jedem Schritt und Tritt. Zu Hause ist dann nicht mehr viel übrig, wenn die Herausforderung darin besteht, den Müll runterzubringen und frische Milch zu kaufen. Unsere Aufgabe lautet, nachdem wir das Glück auf den Bergen beziehungsweise in uns gefunden haben: Wie jetzt das Glück in den westeuropäischen Durchschnittsalltag integrieren, wo sich Hektik und gesellschaftliches Miteinander ständig dem Glück in den Weg stellen? Ob das überhaupt geht, fragen wir uns.
Nun habe ich doch tatsächlich in meinem Umfeld einen Glücksträger gefunden, und das an einem Ort, an dem man es gar nicht vermuten würde, wo es düster, muffig, kühl, karg und lieblos eingerichtet ist, kein schönes Ambiente. Ein Ort, wo man sich am liebsten möglichst kurz aufhält. Stöbern und verweilen, nein. Schnell rein. Schnell raus. Mein DVD-Verleih. Und der arme Angestellte muss den ganzen Tag hier verweilen. Und kriegt wahrscheinlich ziemlich wenig Geld dafür. Und das an einem Ort, der Trübsinn verbreitet.
Ja, aber nanu, wer singt und pfeift denn hier? Zwar total schief, aber mit guter Laune. Der arme Angestellte, der gar nicht so arm ausschaut, sondern über das ganze Gesicht strahlt. Geradezu glücklich sieht er aus. Ernst schaut er nur drein, wenn er mit großer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit die Filme auf Kratzer hin prüft und in den Regalen sortiert, und zwar so, dass wir Kunden das Sortiment auf den schnellen Blick erfassen können, um uns besser zurechtzufinden. Und wenn er mit Engelsgeduld die Regeln des Hauses erklärt und uns auf die Sparmöglichkeiten hinweist, oder wenn er bemüht ist, sich die Namen der Kunden zu merken, um jeden persönlich anzusprechen, die individuellen Filmwünsche zu erfassen und dementsprechend zu beraten. Bei alldem ist er immer freundlich, gut gelaunt, er scheint so zufrieden, sogar glücklich, dass es einfach nur schön ist, in diesem DVD-Verleih zu sein.
Obwohl ich doch eigentlich immer dann hingehe, wenn ich schlechte Laune habe, um mir schöne, rührselige, traurige oder ablenkende Filme auszuleihen – je nachdem, wie schlecht die Laune ist und um welche Sorte schlechter Laune es sich handelt; ob ich sie füttern und verstärken oder verdrängen und vertreiben will. Aber sobald ich diesen Laden betrete, verschwindet meine schlechte Laune wie im Flug. So habe ich ihn nun gefunden, meinen persönlichen Glücks-Guru, der mir vorlebt, wie das mit dem Glücklichsein geht: Tue alles, aber auch alles, was du tust, und zwar jeden Schritt mit Sorgfalt. Behandle jeden Kunden, aber auch jeden Kunden, mit Wertschätzung und Geduld. Freue dich über jeden Tag und Augenblick. Und halte dich an jedem Ort, wie auch immer er beschaffen ist, mit Stil und Würde auf. Das habe ich zwar auch schon alles in den schlauen buddhistischen Büchern gelesen. Aber nun habe ich den lebenden Beweis, dass es auch im westlichen Alltag geht und bekomme vorgelebt, wie man diese Weisheiten umsetzt. Also dann, auf zum Glück!
Julia Siebert
19/12/08