Bei der Ausstellungseröffnung des Comic-Albums „Ex-Patria“ Mitte März in der Galerie Tengri-Umai in Almaty drückten sich die Besucher platt an die Wände, um die Abenteuer von Nico zu lesen, der von Lyon nach Almaty fliegt und ein neues Land, eine neue Sprache und eine neue Liebe entdeckt. Die autobiographische Comic-Reportage ist das erste Album des französischen Künstlers Nicolas Journoud, der die neue und noch unbekannte Kunstform des Comics im Rahmen der Woche der Frankophonie in verschiedenen Städten Kasachstans präsentiert.

Der Comiczeichner und Biologe Nicolas Journoud ist aus seiner Heimat Frankreich schon nach Kambodscha, Japan, Argentinien und Bolivien aufgebrochen, mit der deutschen Sprache ist er jedoch erstmals in Kasachstan in Berührung gekommen. „Alle Franzosen in Almaty kennen die kasachische Russischlehrerin Galima. Sie hat 40 Jahre lang Deutsch unterrichtet und übersetzt die russischen Vokabeln vorzugsweise in die deutsche Sprache, da ihrer Meinung nach Deutschland an Frankreich grenzt und deshalb die Sprachen ähnlich sein müssen“, sagt Nicolas Journoud. „Von meiner ersten Russischstunde bei Galima bin ich mit Kopfschmerzen nach Hause gekommen. Es war schrecklich.“

Ganz so schlimm war es dann wohl doch nicht, schließlich spricht Nicolas Journoud nach eineinhalb Jahren Russischunterricht bei Galima fließend Russisch und hat auch ein paar deutsche Redewendungen aufgeschnappt. Den zweisprachigen Unterricht mit seiner ehemaligen Russischlehrerin, bei der die Übungsblätter durch die ganze Wohnung flogen, hat der Franzose in seinem ersten eigenen Comicalbum festgehalten.

„Ex-Patria“ (Ausland) erzählt die Geschichte von Nico, der aus Frankreich nach Kasachstan reist und sein Leben neu beginnt. „Der Comic ist autobiographisch, die Geschichte habe ich selbst erlebt. Vor drei Jahren habe ich meine Freundin nach Kasachstan begleitet. Sie hatte hier einen Job gefunden, und ich wollte ein Comicalbum über das Reisen machen. Kasachstan sollte lediglich als exotische Kulisse dienen“, sagt Nicolas Journoud.

Comic-Reportage über das Reisen

Dann ist aber alles ganz anders gekommen. „Ex-Patria ist die ehrlichste Reportage über das Reisen, die ich schreiben und zeichnen konnte. Kasachstan hat mein Leben verändert“, sagt Nicolas Journoud. „Ich habe eine neue Kultur kennengelernt, eine neue Sprache und eine neue Freundin, eine Kasachin“, so Journoud.

Der Künstler arbeitet als Grafiker, Art-Direktor, Dozent und freier Comic-Zeichner für französische und kasachische Medien. „In Kasachstan sind Comics eine neue und noch unbekannte Kunstform. Solange wir keinen einheimischen Verlag finden, gibt es Ex-Patria bisher nur in Französisch als Buch“, sagt Nicolas Journoud. Die erste Auflage von 1.600 Exemplaren ist bereits vergriffen. Nicolas Journoud arbeitet gerade an dem zweiten Teil der Geschichte. „Mit der Comic-Reportage habe ich meine Kunstform gefunden.“

Jedes Kapitel erzählt ein neues Abenteuer, das Nicolas in Kasachstan erlebt. „Ich wandere immer auf der Suche nach Geschichten durch die Stadt. Habe ich eine Idee gefunden, setze ich mich zu Hause an den Schreibtisch und zeichne das Storyboard, eine grobe Bildfolge mit Dialogen, die ich dann nach und nach zu einer Comicerzählung ausarbeitete“, sagt Nicolas Journoud.

Einige Abenteuer aus seinem Comic-Album in russischer Übersetzung zeigte Nicolas Journoud im Rahmen der Woche der Frankophonie Mitte März in der Galerie Tengri-Umai in Almaty. Die Hauptperson erinnert ein bisschen an Tim aus der berühmten Comicserie Tim und Struppi. Zufall oder Absicht? „Das habe ich schon öfter gehört. Die Ähnlichkeit ist nicht gewollt, obwohl ich Tim und Struppi sehr mag. Mein Vater hat mir als Kind jeden Tag eine Seite daraus vorgelesen. So kannte ich schon Comics, bevor ich lesen und schreiben konnte“, sagt Nicolas Journoud.

Franzose und Weltbürger

Nach seinem Abitur ist er jedoch erstmal nicht seiner Leidenschaft, sondern den vernünftigen Ratschlägen seiner Mutter gefolgt und hat in Frankreich und Kanada Biologie studiert. Nach Studienabschluss meldete er sich an der Kunstakademie an, die er aber nach drei Monaten wieder verließ. „Ich wollte endlich Comics zeichnen“, sagt Nicolas Journoud.

Der Künstler versteht sich als Franzose und Weltbürger. „Ich kann nicht sagen, dass ich in Kasachstan französischen Wein, Käse oder meine Freunde vermisse. Ich fühle mich hier wohl und bleibe per Skype und Facebook in Kontakt“, sagt Nicolas Journoud. Als Europäer fühlt er sich nicht. „Das ist was für die nächste Generation. Ich kenne noch die Grenzen zwischen den Ländern, als es kein Schengen-Abkommen gab.“

Der Künstler vertritt eine Generation, in der das Reisen zum Leben dazugehört. „Von einem touristischen Ausflug kehrt man unverändert zurück. Durch das Reisen gewinnt man neue Erfahrungen und verändert sich“, sagt Nicolas Journoud. „Wenn ich keine neuen Erfahrungen mehr mache, werde ich Kasachstan wieder verlassen.“ Für seine deutschen Leser hat er noch einen Tipp: die Comics des Berliner Zeichners Mawil. Wie würde Galima sagen: „Gut, gut!“

Von Christine Karmann

19/03/10

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