Das Leben könnte ja so schön sein, wären da nicht ständig die doofen Ängste. Entweder das Leben ist langweilig, weil man seinen Bewegungsradius von den Ängsten einengen lässt – Variante A. Oder das Leben ist verdammt anstrengend, weil man ständig gegen die Ängste ankämpft, will man die schönen Dinge jenseits der Angstgrenze auskosten – Variante B.
Ich habe mich für Variante B entschieden, und als ausgewachsener Hasenfuß kann ich Ihnen sagen: Das kostet ganz schön Energie – Junge, Junge. Ich berichtete bereits von meinen diversen Ängsten: Höhe, Tiefe, Tiere, insb. Hunde, Menschen, insb. Verwandte, dann der ganze Psychoterror wie Angst vor Nähe, Verlustängste usw. usw. Und wenn sich die Ängste auch noch überlagern wie z.B. Hunde, die sich zu sehr nähern, während man an einem tiefen Abgrund steht und die dazugehörigen Hundehalter einen an unliebsame Verwandte erinnern, dann werden so ziemlich alle körpereigenen Säfte und Hormone, Adrenaline, Opiate und was es da alles geben mag, aktiviert.
Man schwitzt wie die Sau, wird kalkweiß, verliert mindestens zwei Kilo und gewinnt mindestens zwei graue Haare. Immerhin kann man zwischen drei Todesarten wählen: sich vom Hund zerfleischen lassen; freiwillig in den Abgrund springen; oder sich dem Hund stellen und, sollte man den Zweikampf mit dem Hund überlebt haben, sich vom Hundehalter die Gurgel umdrehen lassen. Auch in einer Sterbesituation ist es doch tröstlich, sich ein wenig Wahlfreiheit zu erhalten.
Wenn ich nicht eines Tages vor Angst sterbe, dann mit der Zeit doch an der Angst, fürchte ich. Und damit verstehe ich nun das Rätsel, das mir mein weiser Freund Dima vor Jahren aufgegeben hat: Am Schlimmsten ist die Angst vor der Angst. Insofern feiere ich jede Angst, die ich verliere, weil sich dadurch mein Leben verlängert. Aktuell gibt es einen Grund zum Feiern: die Verlust der Angst vor Hunden bzw. vor bestimmten Hunden. Entstanden ist sie, als ich als Schülerin die Zeitung „Bild am Sonntag“ austrug und regelmäßig große schwarze Hunde geifernd mit offenem Maul auf mich zuflogen.
Zweimal hat es mich vom Fahrrad gerissen. Das hat sich fest eingebrannt. Sehr fest. Aber seit ich Ben kenne, gibt es eine Angst weniger in meinem Leben. Ben ist der Hund meiner Vermieter. Ben ist groß, schwarz und nett. Ben ist gut erzogen und hört einigermaßen; zwar nicht immer gleich aufs Wort, aber „verzögert“. Da seine Instinkte nur mit ihm durchgehen, wenn ihm andere Vierbeiner in die Quere kommen, bleib ich möglichst aufrecht und bin’s zufrieden.
Zunächst durfte ich Ben aus dem Windschatten meiner Vermieter heraus langsam kennen lernen. Mein eigentliches Erstlingswerk bestand darin, Ben eigenhändig zu halten, als Moni mal eben im Gebüsch nach dem Rechten sah. Diese Mutprobe wollte ich unbedingt bestehen. Nach dem kurzen aber erfolgreichen Einsatz war ich nicht unerheblich mutiger und erheblich stolz.
Mein Gesellenstück bestand wenige Tage später darin, nicht wegzulaufen, als Ben mit großen Sprüngen auf mich zugelaufen kam. „Er freut sich“ rief mir Helmut zu. OK, dachte ich, dann glaub ich das jetzt einfach mal. Da ich vor lauter Luftanhalten nicht den Pfeifen-im-Keller-Trick anwenden konnte, versuchte ich es mit einem stillen Mantra:
Erfreutsicherfreutsicherfreutsicherfreutsich … Ich tröstete mich damit, dass man mit seinen Aufgaben wächst, die ja grundsätzlich immer sehr unangenehm sind, wenn man daran wachsen will. Und dann – Ben kam zu stehen, begrüßte mich freundlich, meine Kehle blieb heile, und mir fielen ca. 20 Kilo Basaltbombe vom Herzen. Uff!
Von nun an möchte ich bitte nur noch Hundedompteurin genannt werden, jaha! Fragt sich jetzt noch, ob ich diese Meisterleistung auf andere Hunde übertragen darf. Denn wenn ich mich mit neu gefasstem Mut anderen mir zugaloppierenden Hunden entgegenstelle, vielleicht verhalten sie sich in der letzten Phase doch anders als Ben, halten nicht an, sondern springen mir an die Kehle und … (schluck!). Wie erkenne ich am Zueilen, ob es sich um ein freundlich gesonnenes oder hundsgemeingefährliches Entgegenlaufen handelt? Vielleicht sollte man nicht gleich dem Größenwahn verfallen und sich ein Quäntchen Hundeangst bewahren. Keine Angst vor allen Hunden zu haben, die groß und schwarz sind, Ben heißen und meinen Vermietern gehören, ist schließlich besser als gar nichts.
Denn es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, Rom ist auch nicht an nur einem Tag gebaut worden, und sowieso soll man ja nie übertreiben. Ich stelle mir mal eben eine kleine Urkunde für meine Heldentaten aus, die ich mir redlich verdient habe.
Julia Siebert
21/05/10