Ob Hilfe bei den Hausaufgaben, Unterstützung für alte Menschen oder freiwilliger Dienst in Kinder- und Jugendheimen – heute engagiert sich kaum noch jemand. Als Begründung für mangelndes Engagement werden oft die eigenen Probleme und Sorgen genannt, aber fast scheint es so, als seien die nur vorgeschoben.
/Bild: SHL . ‚Schüler Helfen Leben – deutsche Schüler arbeiten im Rahmen dieser Initiative freiwillig, um ein Hilfsprojekt in Südosteuropa zu unterstützen.’/
Ein Klassenzimmer. Es ist Pause. Kein Lehrer ist im Zimmer. An der Wand hängt eine Uhr, aber ihr Ticken ist wegen des Lärms der Schüler nicht zu hören. Einige rennen wie Verrückte, einige plaudern, andere machen Hausaufgaben.
– Hast du die Mathehausaufgaben gemacht, Aidar?
– Ja. Und du?
– Ich nicht. Kann ich sie von dir abschreiben?
– Das kostet. Das weißt du, Samat.
– Ich hab heut leider kein Geld dabei.
– Das ist nicht mein Problem. Entweder du zahlst für die Hausaufgabe oder du bekommst eine zwei. Du kannst es dir selber aussuchen.
– Aber…
– Gut, ich gebe dir meine Hausaufgabe! Und was tust du für mich?
So sprechen die Schüler der siebten Klasse miteinander. Man kann schon jetzt merken, dass sie egoistisch denken, und so wird sich die Person weiterentwickeln. Wenn man erwachsen wird, wird man noch weniger hilfsbereit und gleichgültiger.
Wenn man etwas tut, dann nur gegen Bezahlung
„Ich werde nichts umsonst machen. Freiwillig und kostenlos arbeiten kann man sich heutzutage überhaupt nicht leisten“, antwortete eine Passantin auf die Frage, ob sie sich zivil engagieren möchte. Viele sagen, dass sie möchten, vielleicht würden sie sich zivil engagieren, wenn sie keine Probleme hätten. „Man muss sich um die Kinder kümmern, die Familie versorgen und Zeit sparen. Wir haben eine Wohnung gemietet, ich habe drei Kinder, und meine Frau ist arbeitslos. In der Familie arbeite nur ich”, sagte ein anderer. An dieser Befragung nahmen 170 Menschen teil, die zwischen 18 und 52 Jahre alt waren. Fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent) erklärte, dass sie keine Möglichkeiten sehen, sich zu engagieren. Sie müssten sich selbst um eine Familie kümmern. Aber es schien, dass sie dazu auch keine Lust haben. Etwas mehr als zwei Fünftel haben keine Zeit. Die übrigen 13 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass jetzt niemand kostenlos arbeitet. Nach Auffassung der Mehrheit sind ein schweres Leben und ein zeitlich ausgefüllter Alltag die Grenzen für das zivile Engagement.
Meistens engagieren sich Studenten oder Schüler
In Kirgisistan gibt es nur wenige Möglichkeiten, sich zu engagieren. Es gibt einige Jugendzentren, die zu der Organisation „Rotes Kreuz” gehören, deren Teilnehmer jeden Sonntag in Kinderheimen oder Altersheimen freiwillig arbeiten. Meistens sind sie Studenten oder Schüler. Sie spielen mit Kleinkindern oder kümmern sich um Rentner. Beispielweise im Kinderheim in Kara-Balta leben elf Kinder. Jeden Sonntag verbringen zwei oder drei Volontäre Zeit mit diesen Kindern. Es gibt viele Programme von dieser Organisation. Eines davon ist das Projekt „Vergessene Herzen”. Das Projekt existiert schon drei Jahre. Die Teilnehmer des Projekts gratulieren den Veteranen zum Geburtstag und machen kleine Geschenke. Außerdem veranstalten sie jedes Jahr zum 9. Mai Konzerte. Es gibt auch andere Engagierte, aber nicht sehr viele.
Nur einer von 170 Befragten erklärte, dass die Bereitschaft zum zivilen Engagement von Charakter und Leben des Menschen abhängig ist. „Ich bin Arzt und war beruflich in Österreich und Dänemark. Die Leute in Kirgisistan sagen immer, dass sie keine Zeit beziehungsweise kein Geld haben. In Dänemark weiß man, wie man Zeit und Geld sparsam nutzen kann. Vielleicht hat man hier keine Lust, nicht einfach Zeit für ziviles Engagement zu investieren. Man kann alles machen, wenn man möchte. Man muss immer hilfsbereit und freundlich bleiben.“
Es ist offensichtlich, dass ziviles Engagement in Kirgisistan nicht sehr weit entwickelt ist. Aber hoffentlich kann das die kommende Generation ändern…
– Samat, ich kann dir meine Hausaufgaben geben. Keine Ahnung, ob sie richtig oder falsch sind.
– Vielen Dank, Nurbolot.
Mit dem Text bewarb sich die Autorin für die IV. Zentralasiatische Medienwerkstatt.