Zweiter Versuch, im Garten Weltthemen aufzuspüren, denen ich nachgehen oder zumindest nachhängen kann, nachdem ich letzte Woche von einer Ameise abgelenkt wurde. Da sitze ich in der Idylle und… Oh, vorbei mit der Idylle! Ein Gartengerät!

So ein Garten ist schön. Ein Garten macht aber auch viel Arbeit, sagen alle, die einen Garten haben. Und drum sitzen die Garteninhaber nicht darinnen und sinnieren, sondern hantieren und vertikutieren. Und das macht viel Lärm. Denn um sich Arbeit zu ersparen, gibt es heutzutage viele elektrische Geräte. Früher gab es die alle nicht oder jedenfalls waren sie nicht in jedem Haushalt und ständig im Einsatz.

Früher gab es nur den Rasenmäher. Der ist auch heute noch nervig, aber der Rasenmäher gehört eben zur Gartenkultur und Lärmkulisse dazu. Schöner wäre natürlich, es gäbe eine staatlich verordnete Mähzeit, sagen wir samstags von 11 bis 13.00 Uhr. Dann wäre das zwei Stunden lang ein höllischer Lärm, wie beim Autorennen, aber danach wäre eine Woche lang Ruh.

Aber in Zeiten der Demokratisierung, Globalisierung und Individualisierung verteilt sich das Mähen natürlich über den ganzen Tag. Mal kommt es von rechts, mal von links, dann von hinten oder vorn. Und wenn der eine fertig ist, fängt der nächste wieder von vorne an. Da man alles leichter verzeihen und hinnehmen kann, wozu man einen positiven Bezug hat, kann es helfen, Sympathie zu den Viel- und Langmähern aufzubauen und mit dem Mähbrummen schöne Bilder zu verbinden.

Das gelingt mir leicht. Ich gehörte ja selbst mal zu den Lärmveranstaltern, als ich damals den Rasen meiner Großmutter mähte. Wir hatten viel Spaß, und ihr Garten war meine Schutzinsel der Geborgenheit. In einen Schutzwall gehören selbstverständlich auch Comics, Eis, Frikadellen, Chips und andere verbotene Früchte zur Belohnung der harten Gartenarbeit. Da ging das Mähen doch gleich viel leichter von der Hand. Wenn ich also jetzt einen Rasenmäher höre, denke ich einfach an meine Großmutter, schwelge in schönen Zeiten, lese ein Comic und esse Eis. Dann klappts zwar immer noch nicht mit den Weltthemen, aber dafür mit dem Verständnis.

Beim Vertikutierer klappt der Trick nicht, da er erstens in schrillen Tonlagen durch Mark und Bein tönt und dröhnt, zweitens meine Großmutter nicht so ein Ding hatte und ich drittens den Sinn nicht verstehe. Entweder gab es das Problem, das man dringendst! wegvertikutieren muss, früher nicht, weil sich die Gartenflora im Zuge der Klimaveränderung mitverändert hat. Oder es gab das Problem, aber man hatte dafür keinen Namen, so wie bei ADHS, und folglich auch kein Gerät oder zumindest kein spezielles Gerät, sondern nahm ein Küchenmesser.
Oder aber der Markt schuf ein neues Gerät, (er)fand das dazu passende Problem und den dazu passenden Begriff. Wie auch immer, bei uns im Viertel ist gerade das Vertikutieren „in“, und ich finde und finde den Zugang dazu nicht. Ich vermisse das Schnipsen und Klappern der muskelbetriebenen Heckenscheren und finde, einzig Sensen haben Kult und Stil.

Übrigens, auch mein Word-Rechtschreibkorrekturprogramm hat was am Vertikutieren auszusetzen, und das muss es ja wissen! Leider habe ich nicht das Recht, das Vertikutieren zu verbieten, da ich faul in fremden Gärten hocke, ohne selbst Hand anzulegen, um unter dem Apfelbaum neunmalklug über das Weltgeschehen nachzudenken. Da hält man im Schweiße des Angesichts der lauten aber fleißigen Gärtner doch lieber mal die Klappe und schreibt stillschweigend seinen Kommentar.

Julia Siebert

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