Wie es sich in der größten Stadt Kasachstans lebt.

Ich komme aus einem Land, in dem Recht und Ordnung herrscht. Es ist ein reiches Land, das nicht nur wegen seiner derzeitigen Bundeskanzlerin berühmt ist, sondern vor allem wegen seiner Autos und Maschinen. Mir müsse es doch dort sehr gut gehen. Warum zum Teufel ich denn ausgerechnet nach Kasachstan gezogen sei? Über diese Frage stolperte ich jedes Mal, wenn ich in Kasachstan neue Leute kennen lernte. Meist antwortete ich darauf ganz naiv: „Weil ich neugierig bin und einfach wissen möchte, wie es ist, in einem Land wie Kasachstan zu leben und zu arbeiten.“

Aber alle jungen Leute zöge es doch in den Westen entgegnete mir einmal ein Gesprächspartner. Dimitrij, ein Taxifahrer.

In einem Mercedes-E-Klasse Baujahr 1990 fuhr er mich durch Almaty, während ich, auf dem staubigen Beifahrersitz sitzend, den Blick durch die stark zerkratzte Windschutzscheibe nach draußen gleiten ließ. Der Mercedes wäre in Deutschland so sicher nicht mehr durch den TÜV gekommen, fuhr es mir durch den Kopf, als Dimitrij fluchend auf die leere Benzinanzeige wies – und ich mich kurzerhand mit dem Daumen nach oben am Straßenrand wiederfand. In Almaty ist es gang und gäbe sich per Anhalter fortzubewegen. Solche unvorhersehbaren Situationen habe ich hier häufig erlebt.

In Kasachstan hat man das Gefühl, mehr Risiken ausgesetzt zu sein als in Deutschland. Auf diesen Gedanken kam ich nicht nur, weil der Fahrer, in dessen Auto ich gestiegen war, ein rasantes Überholmanöver startete und laut hupend an einem klapperigen Lada vorbeizog. Abenteuerlust war ein starkes Motiv, warum es mich nach Kasachstan gezogen hat. In Deutschland hätte Dimitrij einen Personenbeförderungsschein, eine Haftpflicht– und Unfallversicherung. Hundertprozentig sicher ist das Leben in Almaty bestimmt nicht. Vom Unfallrisiko mal abgesehen, gehört Almaty zu den Gebieten mit weltweit hohem Erdbebenrisiko. Hier zu leben bedeutet der Auszug aus der Komfortzone des goldenen Westens. Aber genau das ist es, was das Leben hier spannend macht.

Es gibt keine Garantien: Morgen kann ohne Vorwarnung das Geld weniger wert sein oder der Strom ausfallen oder das Wasser abgedreht werden – alles Dinge, die wir Westeuropäer als selbstverständlich voraussetzen.

Doch, wer das nötige Kleingeld hat, der kann sich alle Annehmlichkeiten des westeuropäischen Lebensstandards leisten. Denn Almaty ist die Metropole Kasachstans. Vom Flohmarkt, über den Container-Basar mit Waren aus China, bis hin zu Luxus-Einkaufszentren gibt es hier Waren in allen Preisstufen.

Besonders exotisch ist der Besuch im Luxustempel „Esentai“. Hier wird der vom Kunden betretene Marmorboden gleich nach den ersten drei Schritten von einer Putzfrau gewischt. Doch nur ein paar hundert Meter Luftlinie von der Luxus-Mall entfernt, leben die Bürger Almatys in sowjetischen Plattenbauten. Kontrastreich ist das Leben hier. Im „Esentai“, gibt es einen Gourmet-Supermarkt, der neben französischem Käse auch Hummer und Austern führt.
Wirklich voll ist es hier aber nie. Auf dem großen Basar im Stadtzentrum wimmelt es dafür nur so von Menschen. Dort ist es für mich als Westeuropäer auch viel spannender. Hier gibt es ein reichhaltiges Angebot zentralasiatischer Lebensmittel. Eine lokale Spezialität ist zum Beispiel Kurt. Der kasachische Kurt hat aber mit dem deutschen männlichen Vornamen aber gar nichts zu tun: Es handelt sich um eine weiße Kugel, die etwas an Raffaelo erinnert. Aber die kasachische Variante ist salzig und leicht trocken – anders als die süßen Kokuskugeln aus Europa.

Die Bewohner Almatys sind immer für eine Überraschung gut. Die meisten sind freundlich und hilfsbereit. Viele wollten gleich beim ersten Treffen sofort alle wichtigen Stationen meines Lebens erfahren. Die deutsche Etikette verbietet praktisch einem fremden Menschen indiskrete Fragen nach Familienstand, Kontostand und Anzahl der Kinder zu stellen. Nur Höflichkeiten bringen die Menschen hier eben nicht weiter. Distanz scheint hier eher ein Fremdwort zu sein.

Vom Fuße des Tienschan Gebirges erstreckt sich die südliche Hauptstadt Kasachstans bis in die Steppe. Hier lebte ich also zwei Jahre und konnte mich einfach nicht an den Lärm in den Straßen gewöhnen. Ständig hupen die Autofahrer. Mir schien, dass das Auto für die Kasachstaner eine modernere Form des Pferdes sein könnte. Überhaupt gewann ich schnell den Eindruck, dass die Menschen hier in bestimmten Situationen ungeduldiger sind. Dies bestätigte mir auch mein Bekannter Arman Bima. Er ist Kasache und in Almaty aufgewachsen. Seiner Meinung nach weisen Kasachen in ihrem Verhalten oft noch Spuren der alten Nomadenkultur auf. Einmal sprachen wir über die Geschichte seines Landes. Er erzählte mir, dass die Sowjets in den 30er Jahren erst die Nomaden in die Sesshaftigkeit zwangen. Richtig komfortabel scheint es ihnen in der Sesshaftigkeit wohl aber nie geworden zu sein.

In Almaty zu leben bedeutet, auf alle Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten des Lebens vorbereitet zu sein, meint der Berliner Dominik Vorhölter. Zwei Jahre arbeitete er hier bei der Deutschen-Allgemeinen Zeitung (DAZ). Ein Erfahrungsbericht über das Leben in er kasachischen Metropole. 

Dominik Vorhölter

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