Bei den Design Thinking* Workshops der Almaty Design School lernen Jugendliche nicht nur neue handwerkliche Fähigkeiten, sondern vor allem auch, wie man Kreativität mit Konstruktivität und Nachhaltigkeit verbindet.
„Was uns häufig daran hindert, unser Umfeld selbst zu gestalten, ist, dass wir uns nicht dafür zuständig fühlen und die Verantwortung lieber an Nachbarn oder an den Staat abgeben”, sagt Asya Tulesova und schaut dabei gedankenversunken auf eine Gruppe Jugendlicher, die Ketten aus kleinen Holzscheiben basteln. Asya ist die Initiatorin des „Design-Thinking“-Camps der Almaty Design School, das jeden Samstag während der Sommerferien von Anfang Juni bis Ende September stattfindet. Mal werden die Kurse in der Schule selbst abgehalten, an anderen Tagen fährt die Gruppe zu Produktionsstätten oder besucht Veranstaltungen wie heute das Ethnofestival „FourE”. Da ausländische Firmen in Kasachstan per Gesetz dazu verpflichtet sind, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einnahmen für soziale Projekte zu spenden, wird das Sommercamp von dem US-amerikanischen Energiekonzern Chevron unterstützt. Jugendliche, die dieses Jahr daran teilnehmen wollten, konnten sich bewerben, indem sie ein Problem in ihrer Heimatstadt thematisierten – und gleichzeitig einen Lösungsansatz vorschlugen. Denn Asya ist der Meinung, dass es nicht ausreiche, etwas nur zu kritisieren. „Man sollte immer auch einen Vorschlag haben, wie man es besser machen kann”, sagt sie.
Immer wieder neu diskutieren
Durch kritisches Denken Gegebenheiten und Gesetze in Frage stellen, in der Gruppe Kompromisse schließen, konstruktive Kritik üben und diese auch anzunehmen lernen – genau das versuchen Asya und ihr achtköpfiges ehrenamtliches Team aus Produktdesignern und Pädagogen, den Jugendlichen mithilfe des sogenannten
„Design Thinking“-Prinzips zu vermitteln. Hierbei liegt der Fokus darauf, dass die Jugendlichen gemeinsam unter Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse Konzepte entwickeln und diese immer wieder neu diskutieren und überdenken. Die fünfzehn Teilnehmer wurden zu Beginn in drei Gruppen aufgeteilt. Eine beschäftigt sich mit dem Müll in der Stadt und Recycling, die Zweite mit Almatys bisher sehr rudimentären Fahrradwegen und die dritte möchte die Straßen behindertengerechter machen.
Probleme, Motivation und Altruismus
Die Ideen für die Projekte stammen alle von den Jugendlichen selbst. Zusätzlich möchten sie noch den Hinterhof ihrer Schule verschönern und sind begeistert von der Idee, dort ein Freiluftkino samt Sitzecke einzurichten. Das Hinterhofprojekt steht allerdings derzeit auf der Kippe, denn Asya ist skeptisch: Zum einen ist die Unterhaltung des Kinos sehr aufwendig, zum anderen bindet es die Stadt und deren Bewohner nicht richtig mit ein. „Ich möchte, dass die Jugendlichen lernen, ihre Komfortzone zu verlassen und Dinge zugunsten der Gemeinschaft zu tun, nicht nur zu ihrem eigenen Vorteil”, erklärt Asya. Das sei oft nicht einfach. Die Lehrerin Anastasia Borowikowa, die den Ausflug zum Festival ebenso begleitet und einen sehr guten Draht zu den Kindern hat, erzählt von einem Jungen, der sofort das Interesse verliere, sobald es nicht um sein eigenes Anliegen geht. Bei seiner Bewerbung schlug er vor, den Spielplatz und Garten neben seinem Haus aufzuhübschen. Behutsam und durch viel Nachfragen und Zuhören versuchen die Workshop-Leiter ihn nun dazu zu bringen, sich für alle Projekte mit der gleichen Energie einzusetzen. „Ihnen Anweisungen zu erteilen führt hingegen zu überhaupt nichts”, sagt Asya. Die Motivation müsse schon von ihnen selbst kommen.
In der allerersten Stunde des Camps entwickelten die Jugendlichen gemeinsam einen Regelkatalog. Unter anderem beschlossen sie darin, dass sie keine Schulnoten erhalten möchten, wie es von Bildungsvorreitern wie Finnland schon lange praktiziert wird. „Bei privaten Initiativen wie dieser können wir Bildung so praktizieren, wie wir es für richtig halten”, so Asya. Anstatt die Welt für die Jugendlichen in Gut und Böse aufzuteilen und die Mädchen in Kochkurse und die Jungs in Holzwerkstätten zu stecken, sei man nur dabei behilflich, die Projekte zu realisieren, gebe aber keinerlei Instruktionen.
Dialog der Generationen
Und nicht nur die Jugendlichen lernen davon etwas: Auch die Kursleiter, die sich zwei Mal wöchentlich zur Vorbereitung treffen und ihre Samstage für das Camp zur Verfügung stellen, bemerken eine Entwicklung an sich selbst. Asya, die vorher nie so eng mit Kindern oder jungen Erwachsenen zusammenarbeitete, sondern mehr mit Organisation beschäftigt war, erzählt, dass sie täglich dazulernt und regelmäßig Entscheidungen wieder verwirft. Auch das sei das Besondere an „Design Thinking“: Es ist ein Work-in-Progress-Prinzip.
Zudem ist Kommunikation essentiell. Darin sind etwa Asya und Anastasia stark, aber die Produktdesigner seien oft sehr still, fast schüchtern. „Ich muss sie tatsächlich immer wieder daran erinnern, mit den Kindern zu reden und nicht in ihrer eigenen Welt zu leben”, so Asya. Denn manche der Teilnehmer, insbesondere einige der Mädchen, waren zunächst sehr zurückhaltend und es dauerte eine Weile, bis sie sich einbrachten. Daneben gibt es natürlich auch ein paar extravertierte Energiebündel, wie den 14-jährigen Alex, der die Gruppe auf Trapp hält. Auf der Rückfahrt im Shuttlebus führt Asya mit ihm eine Unterhaltung darüber, ob es richtig war, dass er einem Mädchen, das ihn beleidigte, einen kräftigen Schubs verpasste – denn auch solche Dinge kommen in einem Camp mit Jugendlichen natürlich vor. Die meiste Zeit aber ist die Gruppe harmonisch und die Eltern sind glücklich, ihre Sprösslinge in den langen Sommerferien so gut beschäftigt zu wissen.
*Design Thinking:
Der Begriff des Design Thinking entstand zu Beginn der 1990er-Jahre und war maßgeblich von der kalifornischen Designberatung IDEO beeinflusst. Seit 2005 wird das Design Thinking Konzept auch in Deutschland am Hasso Plattner Institut in Potsdam gelehrt und 2007 wurde dort sogar eigens eine einjährige Zusatzausbildung an der neu gegründeten „School of Design Thinking“ eingeführt. Auch in Kasachstan findet es immer mehr Anwendung.