Junge Leute in hippen Klamotten und modernen Frisuren stehen in der Schlange, betrachten sich gegenseitig durch ihre großen Sonnenbrillen, zeigen sich in der untergehenden Abendsonne. Sie alle wollen in das legendäre Kinotheater „Zelinny“. Doch die moderne, urbane Jugend von Almaty wartet nicht auf die nächste Filmvorstellung. An diesem Septemberabend findet die Buchvorstellung eines neuen Architekturführers Almaty in dem alten Kino statt, die Autoren sind anwesend und laden zur kritischen Diskussionsrunde über den Wert der sowjetischen Architektur im Stadtbild postsowjetischer Städte.
Ich bin eigentlich ein ziemlicher Kinomuffel. Die neuesten Hollywood-Blockbuster sind mir völlig egal, der letzte Kinobesuch liegt Jahre zurück. Ich habe gewisses Interesse am russischen Kino der Perestrojka-Zeit: ausdrucksstarke und atmosphärische Filme, die durch ihren morbiden Charme der untergehenden Sowjetunion bestechen. Ansonsten graust es mir vor dieser aufgeblasenen Welt der Filmstars und Sternchen, vor diesem glattgebügelten, idealisierten, amerikanisch-kapitalistischen Weltbild, welches in den sogenannten Kassenschlagern präsentiert wird, vor dieser auf Spezialeffekte reduzierte Effekthascherei. Diese auf Spezialeffekte reduzierte Effekthascherei. Das Kino ist ein Tor zu einer vermeintlichen Glitzerwelt, von der ich lieber nichts wissen möchte.
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In letzter Zeit lasse ich mich öfter breitschlagen, doch mal mit ins Kino zu gehen. Erst vergangenes Wochenende sah ich einen amerikanischen Actionfilm, der mir aufgrund seiner grenzenlosen Banalität schon so blöde erschien, dass ich dem Film selbst seinen Blödsinn noch nicht einmal vorwerfen möchte. Der Trash-Movie ist schließlich ein in Fankreisen anerkanntes Genre, in dem sich Filme ausschließlich am Grad ihrer Dämlichkeit messen. Je mehr Quatsch, desto besser.
Die Filmvorstellungen in Almaty sind oft ausverkauft, die Kinokarten sind auch für die neuesten Filme unschlagbar günstig. Nicht nur deshalb lasse ich mich hier oft überreden, wohingegen es mir bei einem Kinobesuch in Deutschland schade um das viele Geld wäre. Davon abgesehen sind Kinosäle heutzutage reine Paläste. Mag sein, dass in den vergangenen Jahren einiges in der Entwicklung der Lichtspielindustrie an mir vorübergegangen ist. An solch wuchtige, ausladende Liegesessel im Kinosaal kann ich mich jedenfalls nicht erinnern. Immerhin weiß man für die nächsten zwei niveaufreien Stunden sein Hinterteil weich gebettet.
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Es gab allerdings auch Zeiten, als in den Kinotheatern in der ehemaligen Sowjetunion noch nicht der Wind des Kapitalismus wehte. Die Lichtspielhäuser waren Stätten der Bildung und der kulturellen Erholung im Sinne Maxim Gorkys. Kinos waren Schmuckstücke, Kulturpaläste fürs Volk mit Säulen und Verzierungen gleich Theatern und Opern. Natürlich waren sie auch Orte politischer Propaganda, zur Verbreitung sozialistischer Werte. Neben seichten, sowjetischen Liebeskomödien oder Verfilmungen großer russischer Literaturklassiker standen patriotische Weltkriegsfilme auf dem Spielplan. In jedem Falle waren die Kinosäle auch immer architektonische Spiegel ihrer Zeit. Das Kinotheater „Oktjabr“ war im feinsten stalinistischen Stil der 1950er Jahre errichtet. Die Kinos „Baikonur“, „Arman“ und „Zelinny“ sind herausragende Beispiele für den sowjetischen Modernismus der 60er und 70er Jahre. In Almaty existierten einst zahlreiche legendäre Kinosäle.
Heutzutage sind riesige Kinos mit 15 und mehr Sälen in gigantischen, charakterlosen Einkaufszentren untergebracht. Der Tenge rollt in den Tempeln des Konsums, schnell zu Starbucks auf einen lauwarmen, überteuerten Kaffee im Pappbecher, schnell eine billige Hose bei H&M, und dann in den neuesten amerikanischen Actionfilm. Die Megamalls, die wie Pilze aus dem Boden sprießen, sind die Orte, an denen Hollywood die Leinwand dominiert und den Lebensstil vorgibt. Diese wundervollen, alten Kinos der Sowjetperiode allerdings sind nicht mehr zeitgemäß. Das palastartige „Oktjabr“ wurde dem Erdboden gleichgemacht, das legendäre „Baikonur“ musste einem McDonalds-Schnellrestaurant weichen. Immerhin das „Arman“ überlebte, wenn man auch in einer Ecke des Gebäudes eine Burger-King-Filiale untergebracht hat. Aber die grandiosen Reliefs an der Außenseite, eine wahre architektonische Sehenswürdigkeit, sind professionell restauriert worden und für die Zukunft erhalten.
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Umso erfreulicher ist das neue Leben des bis vor kurzem völlig verwahrlosten Kino „Zelinny“. Es fanden sich Investoren und Unterstützer aus dem Kreise des Moskauer Garage-Museums für zeitgenössische Kunst, um dem alten „Zelinny“ neues Leben einzuhauchen. Seit September finden dort Ausstellungen und Workshops zum urbanen Leben und zur Gegenwartskunst statt, auch alternative Filmvorführungen werden hier angeboten. Die grundlegende Restaurierung und der Ausbau zum zukünftigen Kunstzentrum steht bevor.
Derweil seht aber das unsäglich blödsinnige Halloween-Fest vor der Türe. Die neuesten amerikanischen Gruselschocker laufen bereits auf den Leinwänden der großen Kinokomplexe. Dort aber, wo die kleinen, alten Kinos überlebt haben, stehen auch heute ab und an interessante und intelligente Filme abseits des Kommerzes auf dem Spielplan. Vielleicht ist das Kino für mich noch nicht ganz verloren.