Interview mit Albert Pawlowitsch Rau, stellvertretender Vorsitzender des Majilis des Parlaments der Republik Kasachstan, Mitbegründer der Vereinigung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“

Wie entwickelt sich der kasachische Markt im Allgemeinen und welche Perspektiven gibt es? Ist Kasachstan auf dem richtigen Weg, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ausländische Investoren zu verbessern?

Rau: Die Hauptprobleme der letzten zwanzig Jahre lagen in der Abhängigkeit von Rohstoffen, vor allem vom Öl.

Zu Beginn der Unabhängigkeit, in der Gründungsphase Kasachstans, gab es einen Anstieg der Ölproduktion. Aber Anfang der 2000er Jahre, als die Ölpreise zu steigen begannen, wurde uns sofort bewusst, dass unsere Abhängigkeit von der Entwicklung der Weltenergiepreise eine Bedrohung darstellt. Vor diesem Hintergrund haben wir uns in den letzten zwanzig Jahren auf die Diversifizierung unserer Wirtschaft konzentriert, was natürlich ein sehr schwieriges Thema ist.

Das ist vor allem dadurch begründet, dass wir uns die Aufgabe gestellt haben, aus der sogenannten Falle des Durchschnittseinkommens herauszukommen.

In Kasachstan liegt es bei 10-13 Tausend US-Dollar BIP pro Kopf. Dabei ist zu bedenken, dass die Bevölkerung Kasachstans wächst und inzwischen mehr als zwanzig Millionen Menschen zählt. Das Ziel, das BIP bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln, kann nur erreicht werden, wenn der Grad der Verarbeitung von Rohstoffen, seien es Erdöl, Metalle oder landwirtschaftliche Produkte, erhöht wird. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe: Die Weltmärkte warten auf unsere Rohstoffe, während sie mit komplexeren Produkten gesättigt sind. Hier gilt es natürlich, unsere besonderen Vorteile zu nutzen, zum Beispiel unser Transport- und Logistikpotenzial.

In der Entwicklungsstrategie Kasachstans vor 27 Jahren stand die Erkenntnis im Vordergrund, dass Kasachstan als Land zwischen Ost und West eine Verbindungsfunktion erfüllen muss. In den letzten Jahren wurden sehr große öffentliche und private Investitionen in die Entwicklung des Transitpotenzials getätigt. Hatten wir zum Beispiel früher einen Eisenbahn-Grenzübergang nach China, so haben wir heute zwei und eine dritter ist im Bau. Das sind große Investitionen, auch unter geopolitischen Gesichtspunkten. Der Transport- und Logistikaspekt wird auch in Zukunft eine Priorität bleiben. Die Gesetze, die zum Schutz der Investoren verabschiedet werden, zielen in diese Richtung.
Wir streben die Mitgliedschaft in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an.

Dazu müssen wir zunächst in alle Komitees aufgenommen werden, insbesondere in das Investitionskomitee. Schon jetzt wird der Republik Kasachstan bescheinigt, dass ihre Gesetzgebung allen internationalen Standards entspricht. Was den Investitionsschutz und die Unterstützung angeht: Ja, es gibt Risiken bei den Gerichten, das ist uns bewusst. Deshalb haben wir das Astana International Financial Centre (AIFC) gegründet, das über ein unabhängiges Gericht nach englischem Recht verfügt.

Wie würden Sie das Jahr 2024 mit Blick auf die deutsch-kasachischen Wirtschaftsbeziehungen charakterisieren?

Rau: Seit 2010 bin ich als Erster Stellvertretender Industrieminister der Republik Kasachstan für die Beziehungen zu Deutschland zuständig. In den folgenden sieben Jahren war ich in der Regierung für die Entwicklung der deutsch-kasachischen Beziehungen verantwortlich.

Daher kenne ich mich in diesem Bereich sehr gut aus. Das letzte Jahr war sehr ereignisreich. Gegenseitige Besuche auf höchster Ebene geben natürlich Impulse.
In diesem Jahr war der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kasachstan ein solcher Impuls. Darüber hinaus haben wir mit Deutschland den Deutsch-Kasachischen Wirtschaftsrat sowie verschiedene Plattformen, in deren Rahmen ein ständiger Dialog stattfindet. Im Namen des Parlaments der Republik Kasachstan und unserer deutschen Diaspora möchte ich erwähnen, dass wir Treffen mit verschiedenen Wirtschaftsdelegationen durchführen und dabei ein wachsendes Interesse der deutschen Wirtschaft an Kasachstan feststellen. Wir führen dies unter anderem auf die aktuelle geopolitische Lage zurück. Der Anteil des deutschen Kapitals am Gesamtvolumen der Investitionen ist relativ gering. Wir schätzen diese Investitionen aber sehr, da sie fast ausschließlich in die verarbeitende Industrie fließen. Unternehmen wie HeidelbergCement, KNAUF oder CLAAS sind aktiv und expandieren. Wir sind dabei, interne Kooperationen mit nationalen Unternehmen aufzubauen. Das nenne ich Technologietransfer. Ermutigend sind auch die Vereinbarungen, die während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kasachstan unterzeichnet wurden. Endlich sind wir bei den Seltenen Erden. Wir sprechen seit vielen Jahren über Transport und Logistik. Wir führen einen offenen Dialog mit der deutschen Wirtschaft, und wir dürfen bestimmte Trends in der Welt, die den Welthandel insgesamt betreffen, nicht unterschätzen.

China ist eine globale Fabrik, aber Deutschland war immer führend, sei es in der Automobilindustrie oder im Anlagenbau.

Die Verhältnisse ändern sich jedoch, und es ist wichtig, das gegenseitige Handelsvolumen nicht nur auf der Exportseite zu erhalten und weiter auszubauen. Damit aber die Importe aus Deutschland nicht zurückgehen, bedarf es einer aktiveren Unterstützung, z.B. durch den Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und die Industrieverbände.

Auch logistisch wird die Situation komplizierter.

Hier müssen wir Lösungen finden, auch durch Kooperationen innerhalb Kasachstans, und die Kosten für deutsche Unternehmen senken.

Ist Deutschland für Kasachstan ein prioritärer Partner?

Ja, ganz klar.

Investiert die deutsche Wirtschaft zu wenig? Was ist der Grund für das geringe deutsche Engagement?

Die Investitionen sind gering, aber ihr Wert ist hoch, denn sie fließen in die Weiterverarbeitung. Und das ist unser Hauptziel. Allerdings müssen wir auch die Risiken abwägen, die es auf dem kasachischen Markt durchaus gibt. Um das riesige Potenzial zu erschließen, braucht man vor allem Managementerfahrung.

Außerdem sind wir bereit, uns auch bei minimalen Investitionen paritätisch an den Projekten zu beteiligen, sagen wir mit 15 Prozent. Die restlichen siebzig Prozent stellt der Staat zinsgünstig zur Verfügung, d.h. er übernimmt den größten Teil des Risikos, indem er sich an der Finanzierung beteiligt und Steuervergünstigungen gewährt. Es gilt, effektive Formen der Zusammenarbeit zu finden.

Der Technologietransfer zwischen Deutschland und Kasachstan ist eines der wichtigsten Ziele der Zusammenarbeit beider Länder. Welche Erfolge gibt es hier?

Ein erfolgreiches Beispiel ist die Zusammenarbeit mit CLAAS, die sich direkt auf unsere einheimischen Komponentenhersteller auswirkt. Auch die AMAZONEN-WERKE sind hier zu nennen.

Und ich denke, dass es Dutzende von Unternehmen gibt, die heute in Russland nicht tätig sein können, die aber in den kasachischen und zentralasiatischen Markt eintreten könnten. Vor dem Hintergrund der hohen Aktivität, die China an den Tag legt, müssen wir unsere Anstrengungen intensivieren.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan?

Unsere Volkswirtschaften ergänzen sich sehr gut. Deshalb bin ich sicher, dass das Potenzial des Abkommens „Über eine Partnerschaft im Rohstoff-, Industrieund Technologiebereich“, welches wir bereits 2012 unterzeichnet haben, noch nicht voll ausgeschöpft ist. Ich bin von Natur aus optimistisch und zuversichtlich, dass wir bis 2025 die geplanten Projekte umsetzen und die Basis für den weiteren Ausbau der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan stärken können.

Sie sind seit 2022 stellvertretender Vorsitzender des Majilis des Parlaments der Republik Kasachstan. Was inspiriert Sie bei Ihrer Arbeit am meisten?

Es ist befriedigend zu sehen, wie die vorgeschlagenen Gesetzesinitiativen in die Praxis umgesetzt werden und den Menschen in Kasachstan zugute kommen, wenn die Ideen in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden und die Menschen ihre Dankbarkeit dafür zum Ausdruck bringen. Das ist die höchste Anerkennung für einen Menschen und für einen Politiker. Als stellvertretender Vorsitzender des Majilis des Parlaments der Republik Kasachstan beschäftige ich mich vor allem mit organisatorischen Fragen. Natürlich ist es etwas komplizierter geworden, weil wir jetzt sechs Parteien haben. Aber dadurch gibt es auch ein breiteres Meinungsspektrum.

Als stellvertretender Sprecher würde ich mir wünschen, dass die interparlamentarische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kasachstan ausgebaut wird und wir die Möglichkeit haben, unsere Partner über die demokratischen Prozesse und wirtschaftlichen Reformen in Kasachstan zu informieren.

Herr Rau, Sie sind Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland und wurden kürzlich für Ihre Arbeit zum Wohle Kasachstans mit einer der höchsten staatlichen Auszeichnungen, dem Barys-Orden Erster Klasse, geehrt! Herzlichen Glückwunsch und weiterhin viel Erfolg! Wir sehen uns in den nächsten Ausgaben von KAZAKHSTAN – invest now!

Das Gespräch führte Bogdan Belimenko.

Quelle: https://zentralasien.ahk.de/de/publikationen/publikationsreihe-kazakhstan-invest-now

 

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