Wer Kasachstan besucht, entdeckt nicht nur eine faszinierende Natur mit weiten Steppen, Bergen und Seen, sondern auch eine reiche Kultur. Nach Streifzügen durch Museen, dem Besuch von Denkmälern und Veranstaltungen oder nach einem Spaziergang durch die lebendigen Basare, auf denen Streetfood wie Samsa, Piroschki oder süße Törtchen locken, stellt sich unweigerlich die Frage: Was kann ich aus der lokalen Küche essen, das nicht nur besonders, sondern auch typisch und voller Geschichte ist?
Neben dem bekannten Nationalgericht Beschbarmak gibt es in Kasachstan einen kulinarischen Schatz, den viele Besucher noch nicht kennen: Lağman, ein traditionelles Gericht der Uiguren. Dabei handelt es sich um lange, von Hand gezogene Nudeln, die mit einer würzigen Soße aus Fleisch und Gemüse serviert werden.
Lağman wird in tiefen Schalen gereicht, und man isst es entweder mit „Choka“, den dünnen uighurischen Holzstäbchen, oder ganz einfach mit einer Gabel. Einige greifen manchmal sogar zu einer ursprünglicheren Methode und essen mit den Fingern. Die Portionen sind stets großzügig, denn bei Lağman gilt: Satt wird jeder, hungrig bleibt niemand.
Über 40 individuelle Rezepte
Die Uiguren kennen über 40 Zubereitungsarten, vom klassischen Lağman mit Fleischsoße über den Guru-Lağman, bei dem Nudeln und gebratenes Gemüse getrennt serviert werden, bis hin zu Varianten mit Ei oder reinem Gemüse. In den Restaurants Kasachstans findet man meist die klassische oder die Guru-Version, während zu Hause jede Familie ihre eigene, oft saisonabhängige Rezeptur hat.
Im Frühling werden frische Kräuter wie Jussai und Frühlingszwiebeln verwendet, im Sommer bereichern Tomaten, Auberginen, Bohnen und Knoblauch die Soße, während im Herbst und Winter eher Karotten, Kohl und Rettich, frisch oder in Essig eingelegt, zum Einsatz kommen. Für den Winter wird Gemüse oft vorab angebraten und in Gläsern konserviert, um auch in der kalten Jahreszeit den vollen Geschmack zu genießen.
Das Teigziehen selbst ist eine kleine Kunst. Die Nudeln müssen gleichmäßig und ohne Risse entstehen, zu dick oder zu dünn gilt als Fehler. Wer einem uigurischen Koch dabei zusieht, versteht schnell, warum diese Fertigkeit traditionell von Generation zu Generation weitergegeben wird. Meist bringt die Mutter ihrer Tochter das Ziehen der Nudeln ab einem Alter von etwa zwölf Jahren bei. Dabei wird nicht nur ein Rezept, sondern auch ein Stück Familiengeschichte weitergereicht.
Eine uigurische Legende
Dass Lağman nicht nur den Magen, sondern auch das Herz wärmt, zeigt eine alte uigurische Legende. Sie erzählt von drei müden Reisenden, die sich an einer Wegkreuzung trafen. Der eine hatte nur einen Kazan, eine schwere Eisenpfanne, und etwas Wasser, der zweite ein wenig Mehl und getrocknetes Fleisch, der dritte Rettich und duftende Kräuter.
Einer von ihnen war ein Kochlehrling und er schlug vor, dass sie gemeinsam aus ihren Zutaten ein köstliches Mahl bereiteten sollten. Ein chinesischer Beamter, vom Duft angelockt, kostete davon, war begeistert und empfahl das Gericht seinem Volk. So fand Lağman den Weg nach China und von dort weiter nach Zentralasien, stets begleitet von den Händen der Uiguren, die es zu ihrer kulinarischen Signatur machten.
Lağman ist für die Uiguren mehr als ein Essen. Die langen, dünn gezogenen Nudeln gelten als Symbol für Zusammenhalt und die Verbindung zur Familie. Sie erinnern daran, dass man, egal wohin der Weg führt, im Herzen verbunden bleibt, so wie die Nudeln, die aus einem einzigen Teigstrang gezogen werden.
Wer Lağman probiert, sollte ein paar kleine Insider-Tipps beherzigen:
• Tipp 1: Trinken Sie nach einem heißen Teller kein kaltes Wasser, sondern das „Myantai Su“, das Kochwasser des Teigs. Es unterstützt die Verdauung und rundet den Geschmack ab.
• Tipp 2: Fragen Sie nach „Lazjan“, einer Mischung aus Knoblauch, rotem Pfeffer und heißem Öl, oder nach „Kobra“, einer scharfen Winterkonserve aus Chili, Knoblauch und Petersilie. Diese Beilagen verleihen dem Gericht eine zusätzliche Tiefe, sollten aber bei empfindlichem Magen vorsichtig genossen werden.
• Tipp 3: Im Sommer passt ein frischer Rettichsalat perfekt dazu, im Winter harmonieren Tomaten mit Zwiebeln, gern auch in heißem Wasser überbrüht.
Dass Lağman auch ein Symbol für Gemeinschaft ist, zeigte sich am Tag der Einheit des kasachischen Volkes, als in Almaty ein Weltrekord aufgestellt wurde. Mehr als 50 Helfer aus unterschiedlichen Ethnien zogen gemeinsam einen Lağman-Teig von unglaublichen 1704 Metern Länge, hergestellt aus 19 Kilogramm Mehl. Gekocht wurde er in einer Sportschule, und am Ende saßen alle zusammen an einem Tisch, was genau das symbolisierte, was Lağman in Kasachstan bedeutet.
Wer Kasachstan bereist, sollte sich dieses Gericht nicht entgehen lassen. Es ist herzhaft, sättigend, voller Aromen und Geschichten. Vielleicht schmeckt man in den langen Nudeln sogar ein kleines Stück kasachischer Gastfreundschaft und uigurischer Familientradition. Guten Appetit!