In der Mongolei, insbesondere in der westlichen Provinz Bayan-Ölgii, leben zahlreiche Menschen, die der kasachischen Minderheit des Landes angehören. 2020 waren das insgesamt über 120.000 Menschen, die fast 4 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.
In dieser Hochregion des Altaigebirges leben noch viele dieser Menschen nomadisch und sind auch über die mongolischen Grenzen hinaus bekannt, vor allem für das Jagen mit Adlern. Nach meiner Einreise in die Mongolei im Juni durfte ich dort ein ganz besonderes Projekt hautnah miterleben.
Es ist ein sonniger Mittwochmorgen in dem kleinen Ort Sagsai. Lediglich eine unbefestigte, staubige Wellblechpiste führt von Ölgii, einer der größeren Städte in der westlichen Mongolei, hierher. Mit meinem Van darf ich für einige Tage direkt auf dem Hof der Schule parken und ab 8 Uhr morgens beginnt es hier zu wimmeln. Langsam kommen die ersten Schüler und Schülerinnen an, die eigentlich gerade Sommerferien haben, und spielen Volleyball oder Uno, noch bevor der Unterricht beginnt.
Während ich also am Van meinen Morgenkaffee koche und mich regelmäßig wegducke, um keine bleibenden Schäden von den manchmal außer Kontrolle geratenen Volleybällen davonzutragen, bekomme ich Besuch. Schier unendlich ist die Neugierde vieler Kinder, die nicht nur diesem komischen Auto mit Bett und Waschbecken gilt, sondern auch meinem Hund. Der muss zwar jeden Morgen für lange Streicheleinheiten von Dutzenden kleinen Händen herhalten, aber er ist gleichzeitig vielen der Kinder bis zuletzt nicht ganz geheuer.
Sommerferien der Nomadenkinder
Schließlich kommen nicht nur die Kinder nach und nach zum bevorstehenden Unterricht, sondern auch die Lehrkräfte. In diesem Jahr sind das Kai, Colleen, Atina und Esther aus den USA.
Vor inzwischen drei Jahren hat Bakhitgul, die alle kurz Baha nennen, dieses Sommercamp für Nomadenkinder ins Leben gerufen. Sie ist Kasachin aus der Mongolei und in dieser Region aufgewachsen. Einen Monat lang lernen die Kinder in diesem Schulprojekt Englisch mit Muttersprachler:innen, die den Unterricht nicht nur leiten, sondern mit ihrem Beitrag auch das gesamte Projekt finanzieren.
Die Kinder, die jetzt hier sind, hatten das Glück, einen der begehrten Plätze im Englischcamp bekommen zu haben. Baha erzählt, wie schwer es ihr falle, inzwischen einige Kinder nicht am Unterricht teilnehmen lassen zu können. Dass dieses Projekt, das für die Familien kostenlos ist, so viel Zulauf hat, ist aber zugleich ein Zeichen für dessen Erfolg.
Sprache als Schlüssel für gelungenen Tourismus
Viele der Nomadenfamilien hier, von denen einige zu den Adlerjägern zählen, leben zunehmend vom Tourismus. Indem ihre Kinder Englisch lernen, kann die oft noch immer große Sprachbarriere in der Kommunikation mit internationalen Tourist:innen abgebaut werden. Das weiß auch Baha, die als Guide arbeitet und
Touren organisiert. Ihr ist es wichtig, dass alle Seiten vom Tourismus und dem Austausch profitieren. Insbesondere das nomadische Erbe ihrer Familie und Vorfahren, das mit so viel Wissen und Naturverbundenheit einhergeht, will sie nicht in Vergessenheit geraten lassen.
Deshalb bringt Baha die Menschen zusammen. Die Lehrkräfte sind in lokalen Familien untergebracht und unterrichten unter der Woche. An manchen Abenden gibt es bei verschiedenen Familien aus dem Ort gemeinsame Abendessen mit vollen Tafeln und regionaler Küche, während an den Wochenenden verschiedene Ausflüge geplant sind. So lernen alle voneinander und miteinander.
Das nomadische Leben
Das Thema der Unterrichtswoche, das während meines Besuchs behandelt wurde, ist Nomadic Life. Was genau macht das nomadische Leben aus und warum gibt es das kaum noch? Während eine Klasse im kreisförmigen Ger, einer mongolischen Jurte, sitzt, werden diese Fragen mit dem Lehrer Kai diskutiert.
Nomaden leben in einem engen Verhältnis zur Natur, zum Wetter, den Pflanzen und Tieren, bis heute. Sie bewegen sich mit den Jahreszeiten und verlagern ihren Lebensmittelpunkt dorthin, wo sie eine Lebensgrundlage finden. Im Ergebnis bedeutet das: genug Futter in der Natur für die Tierherden, egal, ob es nun Pferde, Ziegen oder Yaks sind.
Das Leben im Altai-Gebirge ist kein einfaches, denn die Sommer sind kurz und werden von langen, rauen Wintern gesäumt. Den gesamten Sommer über bereiten sich die nomadischen Familien auf die Kälte vor. Es wird gemolken, getrocknet, im Spätsommer geschlachtet und konserviert. Vor den Jurten wird auf Holzanrichten der Joghurt zu kleinen Kurt-Bällchen getrocknet, weit genug oben, dass die großen Hunde nicht darankommen können. Außerdem hat sich in diesen Bedingungen die Jagd mit Adlern im Winter entwickelt, beispielsweise auf Füchse oder Hasen.
Einzigartige, regionale Kultur
Auch eine Klasse mit jüngeren Kindern, die von Colleen unterrichtet wird, beschäftigt sich an diesem Tag mit dem nomadischen Leben. Jede und jeder sollte einen Gegenstand mitbringen, der für sie, ihre Familie und ihr kulturelles Erbe im Zentrum steht. Während eine Schülerin stolz ein Fuchsfell präsentiert, haben viele Kinder sogenannte knuckle bones dabei. Mit denen wird traditionell sowohl in Kasachstan als auch in der Mongolei gespielt oder wahrgesagt. Außerdem werden einige Kinder im Sitzen von den Hälsen ihrer Dombras überragt, dem traditionellen, zentralasiatischen Saiteninstrument.
Diese verschiedenen Gegenstände zeigen, wie einzigartig das Leben in diesem Teil des Altai-Gebirges ist. Einerseits ist das kulturelle Erbe der Region sowohl kasachisch als auch mongolisch geprägt, andererseits hat es sich an die Gegebenheiten dieses Gebirges angepasst und so unverwechselbare Züge angenommen.