Er kam als Besucher und blieb als Unternehmer: Ulf Schneider, Gründer und Geschäftsführer der Beratungsfirma SCHNEIDER GROUP, spricht über seine Faszination von Kasachstan, den Wandel der vergangenen zwanzig Jahre und die Chancen für deutsche Unternehmen. Warum er überzeugt ist, dass die entscheidenden Jahre erst noch bevorstehen – und was Europa jetzt tun sollte, verrät er im Interview.
Herr Schneider, Sie sind seit vielen Jahren als Unternehmer in Osteuropa und Zentralasien aktiv. Verbindet Sie auch etwas Persönliches mit Kasachstan?
Ich empfinde eine große Sympathie für Kasachstan, und das ist wohl die wichtigste Verbindung, die ich zu diesem Land habe. Vor rund zwanzig Jahren war ich zum ersten Mal hier. Schon bei dieser Reise hatte ich das Gefühl, mich nicht nur als Besucher, sondern auch als möglicher Geschäftspartner wohlzufühlen. Deshalb habe ich recht schnell die Entscheidung getroffen, hier auch geschäftlich aktiv zu werden. Es entspricht ohnehin meiner Grundhaltung, mich nur dort wirtschaftlich zu engagieren, wo ich auch persönlich eine echte Nähe empfinde. In Kasachstan stellte sich dieses Gefühl sofort ein.
Von Anfang an habe ich das Land als weltoffen erlebt. Diese Offenheit zeigt sich darin, dass verschiedene Kulturen und Religionen friedlich zusammenleben. Sie spiegelt sich aber auch in der Politik wider. Die sogenannte „Multi-Vector Foreign Policy“, wie man sie in der Diplomatie nennt, verfolgt bewusst das Ziel, in unterschiedliche Richtungen Brücken zu bauen und mit Nachbarn ebenso wie mit fernen Partnern zu kooperieren. Das beeindruckt mich als Unternehmer ebenso wie als einen politisch interessierten Menschen. Und schließlich sind es die Menschen selbst, die mich begeistern. Ich habe hier schnell enge Kontakte geknüpft und viele Begegnungen erlebt, die mich bis heute prägen.
Sie haben die Schneider Group 2003 gegründet. Was hatte Sie damals motiviert, und was treibt Sie bis heute an?
Schon in meiner Kindheit hatte ich den Wunsch, etwas Eigenes aufzubauen. Wahrscheinlich wurde mir das auch von meinen Eltern mitgegeben. Ein prägendes Erlebnis war ein Urlaub mit meiner Familie in Polen. Wir waren damals im Osten des Landes, an der Grenze zur Sowjetunion. Ich sah den hohen Zaun, die Wachtürme und Soldaten mit Gewehren. Das hat mich als Kind sehr schockiert, ähnlich wie die innerdeutsche Grenze. Mein Vater erklärte mir, dass das die Grenze zu Russland sei und dass ich wahrscheinlich in meinem Leben nie dorthin kommen würde. Ich war gerade sieben Jahre alt, und genau dieser Satz weckte meine Neugier. Ich dachte, wenn man dort nie hinkommt, muss es etwas besonders Interessantes sein.
So entstand nach und nach mein Wunsch, den Osten besser kennenzulernen. In meiner Jugend und Studentenzeit habe ich mich zudem stark für Völkerverständigung und Integration eingesetzt. Ich war Mitglied der Jungen Europäischen Föderalisten, die sich insbesondere für die Einigung Europas engagierten. Für mich ist es bis heute ein Lebensmotto, Menschen, Länder und Nationen miteinander zu verbinden.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde schnell deutlich, dass Europa wesentlich größer ist, als man bis dahin gedacht hatte. Und dass es auch östlich der ehemaligen Grenze zahlreiche europäisch geprägte Städte und Regionen zu entdecken gibt.
Diese persönliche Erfahrung verband sich mit dem Wunsch, etwas Eigenes aufzubauen. 2003 habe ich in Moskau die SCHNEIDER GROUP gegründet. Seitdem lautet unser Leitsatz: „Wir bauen Brücken auf geschäftlicher Basis zwischen Ost und West.“ Diese Idee ist bis heute Antrieb und Grundlage unserer Arbeit.
Wie sehen Sie das aktuelle Investitionsklima in Kasachstan im Vergleich zu früher?
Bereits bei meinem ersten Besuch hatte mich die Offenheit des Landes beeindruckt. Damals begleiteten wir viele deutsche Unternehmen auf ihrem Weg nach Russland, und für viele war Kasachstan der logische nächste Schritt. So entstand unser erstes Büro in Almaty. Heute sind wir hierzulande mit drei Standorten in Almaty, Astana und Atyrau vertreten.
Die Anfangszeit war von erheblichen Herausforderungen geprägt: umfangreiche Bürokratie, komplizierte Steuer- und Zollgesetze sowie umständliche Abläufe erschwerten den Markteintritt. Gleichzeitig bot Kasachstan einen attraktiven Absatzmarkt mit großem Potenzial. Genau hier setzte unsere Arbeit an: Wir halfen Unternehmen, diese Hürden zu überwinden.
Inzwischen hat sich vieles gewandelt. Kasachstan hat Reformen eingeleitet, zahlreiche Prozesse digitalisiert und den Zugang für Investoren spürbar erleichtert. Hinzu kommen die geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahre, durch die sich viele Unternehmen neu orientieren mussten. Zahlreiche deutsche Firmen, die in Russland zunehmend auf Schwierigkeiten stießen, haben ihre Aktivitäten nach Kasachstan und in die zentralasiatische Region verlagert.
Ich bin überzeugt, dass Kasachstan und Zentralasien insgesamt das Potenzial haben, sich zu „eurasischen Tigerstaaten“ zu entwickeln.
Damit knüpfe ich an die Entwicklung von Ländern wie Südkorea, Singapur oder Taiwan an, die in wenigen Jahrzehnten einen beeindruckenden Aufstieg geschafft haben. Auch Polens Weg der Reformen und der Integration in die Europäische Union ist ein gutes Beispiel. Und Kasachstan mit seiner geografischen Lage zwischen Russland, China und Europa hat nach meiner Einschätzung die Möglichkeit, seine Rolle als Brücke und Produktionsstandort entscheidend auszubauen.
Welche Rolle spielt Ihr Büro in Almaty im Vergleich zu den anderen Standorten in der Region?
In Zentralasien betreiben wir insgesamt fünf Büros: drei in Kasachstan sowie jeweils eines in Kirgisistan und in Usbekistan. Almaty ist dabei das größte mit rund 130 Mitarbeitern. Es ist die dynamischste Stadt der Region, und von hier aus betreuen wir Kunden im ganzen Land. Viele Unternehmen haben Produktionsstandorte oder Projekte in entlegenen Regionen, etwa im Bergbau. Auch dort begleiten wir sie, oft unter sehr herausfordernden Bedingungen. Almaty ist aber das Zentrum unserer Arbeit und das wichtigste Büro in ganz Zentralasien.
Welche Branchen erscheinen Ihnen aktuell besonders attraktiv für Investoren?
Kasachstan bietet vielfältige Möglichkeiten. Klassisch stark ist der Bereich Rohstoffe und Energie, zunehmend aber auch die erneuerbaren Energien. Besonders interessant finde ich die Entwicklung im IT-Sektor. Hier hat das Land gezielt in Strukturen investiert und bietet gerade europäischen Unternehmen Chancen.
Während man in Indien an große Teams mit tausenden Mitarbeitern denkt, suchen mittelständische deutsche Firmen eher kleine, hochqualifizierte Teams. Genau diese findet man in Kasachstan und in der Region.
Entscheidend ist für mich aber weniger die einzelne Branche, sondern die Tatsache, dass Kasachstan insgesamt sehr viel zugänglicher geworden ist. Früher war die Bürokratie fast erdrückend, heute sind viele Abläufe digitalisiert und vereinfacht. Dadurch können nun auch kleinere Unternehmen den Schritt wagen, hier aktiv zu werden. Das ist eine wichtige Botschaft an deutsche Mittelständler: Der Markt ist offener geworden und leichter zu erreichen als früher.
Welche Chancen sehen Sie in der wachsenden Zusammenarbeit zwischen Kasachstan und Europa, insbesondere Deutschland?
Ich sehe hier große Chancen, aber auch Herausforderungen. Länder wie China, Japan, Südkorea und Russland engagieren sich in Kasachstan sehr dynamisch. Europa hingegen nutzt die Möglichkeiten bislang nicht in gleichem Maße. Meine Sorge ist, dass wir hier ins Hintertreffen geraten könnten.
Aus meiner Sicht braucht es vor allem zwei Dinge, um die Zusammenarbeit mit Kasachstan voranzubringen. Erstens sollte die EU im Rahmen von „Global Gateway“ Zentralasien stärker berücksichtigen, etwa beim Ausbau des Mittleren Transportkorridors. Zweitens wäre ein schrittweiser Ausbau der Kooperation mit der Eurasischen Wirtschaftsunion sinnvoll, deren zweitgrößtes Mitglied Kasachstan ist. Dies scheint momentan schwierig, aber langfristig birgt ein rein bilateraler Ansatz die Gefahr, das Land zwischen Europa und der Eurasischen Union zu zerreißen.
Welche Pläne haben Sie für Ihr Unternehmen in Kasachstan in den nächsten fünf Jahren?
Unsere Strategie folgt dem Konzept des „One Stop Partner“. Das bedeutet, dass wir unseren Kunden alle relevanten Dienstleistungen für den Markteintritt anbieten – von Rechts- und Steuerberatung über Buchhaltung bis hin zu IT-Lösungen, Administration und Büroservices.
In unserem Gebäude in Almaty belegen wir derzeit zwei Etagen, wobei wir unsere Kapazitäten weiter ausbauen möchten. Dort wollen wir nicht nur unsere eigenen Dienstleistungen anbieten, sondern auch kleineren europäischen Unternehmen eine mit moderner Infrastruktur ausgestattete Plattform geben. Sie sollen komplett eingerichtete Büros nutzen können und sich ausschließlich auf ihr Geschäft konzentrieren, während wir uns um alle administrativen Aufgaben kümmern. Auf diese Weise wollen wir dazu beitragen, dass noch mehr kleine und mittlere Unternehmen den Schritt nach Kasachstan wagen.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Gibt es etwas, das Sie in Almaty unbedingt einmal erleben möchten?
In der Tat. Ich bin leidenschaftlicher Pilot, und eines meiner Hobbys ist die Fliegerei. In Kasachstan bin ich zwar bisher noch nicht selbst geflogen, aber ich habe mir vorgenommen, mir eines Tages ein kleines Flugzeug anzumieten und mit ihm über die Berge zu fliegen. Schon der Landeanflug auf Almaty ist für mich jedes Mal ein besonderes Erlebnis, weil das Panorama mit den Bergen so beeindruckend ist.
Früher habe ich häufig meine Geschäftsreisen nach Almaty genutzt, um am Wochenende in die Berge zu fahren, nicht nur in die bekannten Gegenden, sondern auch in weniger erschlossene Regionen. Das ist in den letzten Jahren etwas zu kurz gekommen, aber ich habe mir vorgenommen, das wieder stärker in meine Reiseplanung für Almaty einzubeziehen.
Auch kulinarisch genieße ich die Region sehr. Beschparmak mit Pferdefleisch hat mir hervorragend geschmeckt, und auch einen usbekischen Plov lasse ich mir bei meinen Reisen nicht entgehen. Diese Verbindung aus Natur, Kultur und Kulinarik macht für mich den besonderen Reiz der Region Zentralasien aus.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Annabel Rosin.