Aus „Erbfeinden“ werden Freunde: deutsche und französische Parlamentarier feierten in Berlin den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags. Das Jubiläum kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem der europäische Einigungsprozess eine Krise durchläuft.

Drei verheerende Kriege mit Millionen Toten hatten Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert gegeneinander geführt, von einer „Erbfeindschaft“ zwischen den Nachbarn war die Rede. Heute verbindet die beiden Staaten eine enge Freundschaft, als deren Grundlage der am 22. Januar 1963 in Paris vom deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und vom französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle unterzeichnete Élysée-Vertrag gilt. Bei einer gemeinsamen Sitzung im Berliner Reichstagsgebäude würdigten Abgeordnete des deutschen Bundestags und der französischen Assemblée nationale das 50-jährige Jubiläum dieses Ereignisses.

Ein konkreter Schritt zur Aussöhnung war die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) im Juli 1963. In den 50 Jahren seines Bestehens ermöglichte das DFJW rund acht Millionen jungen Menschen aus Deutschland und Frankreich die Teilnahme an Austauschprogrammen und damit ein gegenseitiges Kennenlernen. Nach dem Vorbild des DFJW wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa 1993 auch ein Deutsch-Polnisches Jugendwerk gegründet.

Trotz wechselnder politischer Konjunkturen verstanden sich Deutschland und Frankreich in den vergangenen 50 Jahren stets als „Motor“ des europäischen Einigungsprozesses. Dabei bestand, wie dieser Tage viele Beobachter anmerken, in den Anfangstagen der deutsch-französischen Freundschaft durchaus die Gefahr, dass diese sich als ein exklusives Bündnis auch gegen andere europäische Staaten richten könnte.

So kündigte Charles de Gaulle im Januar 1964 nur wenige Tage vor Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags mit Deutschland an, Frankreich werde sein Veto gegen eine Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) einlegen. Das Bündnis, aus dem später die Europäische Union (EU) hervorging, umfasste damals sechs Staaten: neben der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich die Benelux-Staaten Holland, Belgien und Luxemburg sowie Italien.

Als Reaktion auf de Gaulles Vorstoß fügte Deutschland dem Vertrag vor seiner Ratifizierung eine Präambel bei, in der Deutschland neben seiner engen Bindung an die USA auch die Befürwortung einer britischen EWG-Mitgliedschaft festhielt. Es entbehrt daher nicht einer gewissen historischen Ironie, wenn 50 Jahre später nur einen Tag nach den deutsch-französischen Feierlichkeiten zum Élysée-Vertrag Großbritanniens Premierminister David Cameron eine Volksabstimmung über den Verbleib seines Landes in der EU ankündigt.

Die EU steckt in der vielleicht tiefsten politischen Krise ihrer Geschichte. Das liegt beileibe nicht nur an der Europa-Skepsis der Briten: im Zeichen der Wirtschaftskrise verstärken sich soziale Ungleichheiten zwischen Norden und Süden des Kontinents. Während Deutschlands Wirtschaft boomt, erreicht die Arbeitslosenquote in Griechenland, Spanien und Portugal immer neue Höchstwerte. Und was die Wege aus der Krise angeht, gibt es trotz aller öffentlich gezeigten Freundschaft gerade in Deutschland und Frankreich höchst unterschiedliche Vorstellungen.

Die Feiern zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags standen daher in einem Spannungsverhältnis. In die Freude über die historische Aussöhnung und den Frieden in Europa mischten sich kritische Stimmen, die die bloße Formelhaftigkeit der Freundschaftsbekundungen kritisierten. Stellvertretend für sie steht der französische Abgeordnete Malek Boutih, der den Feierlichkeiten in Berlin demonstrativ fernblieb. Seine Nichtteilnahme wollte er in einem Interview mit dem Onlinemagazin zeit.de als Zeichen der Freundschaft zu Deutschland verstanden wissen: „Wenn wir wollen, dass die europäische Idee fortlebt, müssen wir sie neu erfinden“.

Von Robert Kalimullin

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