„Es ist wichtig, dass der Kunde zurückkommt, nicht das Produkt“ ist das Motto, mit dem Albina Schreiner (Welimuhametowa) durchs Leben geht und ihr Geschäft aufbaut. Und das ist ihr größter Erfolg. Das Unternehmen, das Mitte der 90er Jahre gegründet wurde, reitet auch heute noch auf der Welle. Und die Marke „Bolschaja Igra“ (dt. „Großes Spiel“) ist nicht nur bei Billard- und Tischtennisfans weithin bekannt. Nun ist Albina zum ersten Mal zu Gast bei der DAZ. Ihrer Meinung nach kommt im Leben eines jeden Menschen eine Zeit, in der er über seine Wurzeln nachdenkt und versucht, die schwierige Antwort auf die Frage nach seiner nationalen Identität zu finden.

Albina, Frauen und Billard – das passt auf den ersten Blick nicht ganz zusammen. Wie sind Sie zu diesem Geschäft gekommen?

Mein Beruf ist auch nicht gerade ein Frauenberuf… Ich habe am Energieinstitut einen Abschluss als Elektroingenieurin gemacht, aber keinen einzigen Tag in diesem Bereich gearbeitet. Die schwierigen 90er Jahre, der Zusammenbruch der Sowjetunion – die Zeit diktierte damals ihre Regeln. Es war schmerzlich zu sehen, wie viele unserer Lehrer und großartige Fachleute auf der Straße landeten. Ganz zu schweigen von den jungen Berufstätigen.

Meinen ersten Billardtisch verkaufte ich in buchstäblich fünf Minuten, mein Vater erhielt ihn als Gehalt. Damals war es üblich, dass Menschen für ihre Arbeit Waren erhielten. Ich erinnere mich, wie ich meinen ersten Vertrag mit einer litauischen Billardfabrik für die damals verrückte Summe von 60.000 Dollar unterzeichnete. Und stellen Sie sich vor, sie haben mir aufs Wort geglaubt; ich bin sicher, mein deutscher Nachname hat damals eine Rolle gespielt.

Anstand, Engagement und Pünktlichkeit – all diese Eigenschaften wurden unserer Familie von Kindesbeinen an eingeimpft. So fing alles an, und ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich mein ganzes bewusstes Leben lang mit der Entwicklung dieses Geschäfts beschäftigt bin. Und die Meinung, dass Billard nur für Männer gedacht ist, ist ein Klischee, denn heute gibt es viele Angebote für Frauenbillard. Es gibt zum Beispiel absolut einzigartige Designs, in welchen ein Billardtisch mit einem Esstisch kombiniert wird und in der Küche aufgestellt werden kann.

Ihre Worte lassen sofort auf einen deutschen Qualitätsansatz schließen. Welche anderen Grundsätze leiten Sie in Ihrem Berufsleben?

Ich könnte viel mehr verdienen, aber es gibt eine Reihe von Grundsätzen, an die ich mich immer halte. Ich arbeite zum Beispiel nicht mit chinesischen Herstellern zusammen. Sie akzeptieren keine Beschwerden über Mängel und verwenden nicht immer Qualitätsmaterialien. Es gibt auch bestimmte Bereiche, in denen ich niemals kooperieren werde. Die Niederländer haben schon oft vorgeschlagen, sich mit Kasinoausrüstung zu beschäftigen, aber das ist definitiv nichts für mich, nicht meine Stellung im Leben.

„Bolschaja Igra“ – das „große Spiel“ der Präsidenten: Kassym-Schomart Tokajew und Recep Tayyip Erdogan beim Tischtennis-Match
„Bolschaja Igra“ – das „große Spiel“ der Präsidenten: Kassym-Schomart Tokajew und Recep Tayyip Erdogan beim Tischtennis-Match

Ich versuche, meine ganze Seele in jede Unternehmung zu stecken, und der materielle Gewinn stand nie im Vordergrund. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum die Marke „Bolschaja Igra“ heute die einzige in der gesamten GUS ist. Und dank der Digitalisierung brauchen wir auch keine Filialen mehr. Heute arbeiten wir mit den führenden Fabriken in Litauen, Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden zusammen. Und in mehr als 25 Jahren Partnerschaft haben wir noch nie versagt.

Heute gibt es ein neues Interesse an den Wurzeln der Menschen, und viele versuchen, die Spuren ihrer Vorfahren zu finden… Ist das in Ihrer Familie eine schwierige Aufgabe?

Natürlich, und wir haben schon eine Menge gefunden. Meine Großmutter Emilia Goppe und mein Großvater Heinrich Schreiner stammten aus der Wolgaregion. Sie lebten in der Stadt Engels. Leider hat die Deportation die meisten Spuren aus dieser Zeit ausgelöscht – nicht einmal Fotos sind erhalten geblieben. Wir haben jedoch noch ihre Arbeitszeugnisse, aus denen hervorgeht, dass meine Großmutter vor dem Krieg im Bildungsministerium als Inspektorin für die Indigenisierung der Bevölkerung arbeitete und mein Großvater Inspektor der Korrespondenzabteilung des Deutschen Pädagogischen Instituts war.

Emilia und Heinrich Schreiner
Emilia und Heinrich Schreiner

Wie alle Deutschen wurden sie 1941 mit ihren Kindern auf Stalins Erlass hin deportiert. Und zwar nicht nach Kasachstan, wo viele Glück hatten, sondern nach Sibirien. Und das hat die Situation erheblich verschlimmert. Ein Dorf im Hinterland, wo es in jeder Familie Tote an der Front gibt, und hierher bringen sie die Deutschen, die überhaupt kein Russisch sprechen. Und auf die deutsche Sprache reagierten die Dorfbewohner verständlicherweise äußerst aggressiv. In einer solchen Atmosphäre sprach Großvater sehr wenig, und schließlich verstummte er. Großmutter hingegen sprach Russisch mit einem starken Akzent und verwechselte oft russische und deutsche Wörter, so dass sie es nur in extremen Fällen benutzte.

Großvater wurde sofort zur Arbeitsarmee in das Holzfällerlager eingezogen, das zum Glück etwa 40 km von zu Hause entfernt war. So gelang es ihm, seine Familie zu sehen. In der Familie gab es fünf Kinder. Das vierte wurde bereits 1944 in Sibirien geboren – mein Vater Waldemar (Wladimir) Schreiner.

In vielen deutschen Familien wurden die Geschichten dieser schrecklichen Jahre verborgen…

Nein, mein Vater hat uns oft von seiner schwierigen Kindheit erzählt. Wir lebten in ärmlichen Verhältnissen. Er erinnert sich immer daran, wie er barfuß auf dem Eis zur Schule lief, weil es keine Schuhe gab. Einmal war es so kalt, dass er keine Kraft mehr zum Gehen hatte – er legte sich auf die Straße, um zu erfrieren, aber dann stand er auf und schaffte es doch noch nach Hause. Mein Vater hat schon früh auf dem Hof gearbeitet. Hühner, Kühe, Schweine, ein Gemüsegarten – um alles musste er sich kümmern. Aber es war dieser Hof, der der deutschen Familie half, in diesen schwierigen Jahren zu überleben. Wie andere Deutsche hatte auch unser Vater Schwierigkeiten und Hindernisse in Studium und Beruf zu überwinden…

Nationale Identität ist ein Gefühl einer Einheit: einzigartige Traditionen, Kultur und natürlich die Muttersprache. Wie wurde Ihnen das in Ihrer Familie beigebracht?

Meine Großmutter hat zu Hause immer Deutsch gesprochen, aber draußen war es verboten; dort waren die Familien derer, die nicht aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Wenn wir Kinder uns im Dorf besuchten, fiel uns immer auf, dass unser Haus anders war als die Dorfhäuser in der Nachbarschaft.

Weiße Spitzenvorhänge an den Fenstern, perfekt gemachte Betten, Bücher in den Regalen in der Landessprache. Wir waren sehr daran interessiert, Großmutters Notizen und Rezepte auf Deutsch zu lesen. Wir haben nicht viel verstanden, aber vertraute Wörter wie Zucker, Eier und Mehl waren in fast jedem Rezept zu finden.

Großmutter war immer froh, wenn wir sie baten, mit uns Deutsch zu sprechen, und wir lernten so viel wie möglich von ihr. Ich erinnere mich noch genau daran, wie sie uns in Almaty besuchte und mit dem Radio im Arm saß, wenn ein deutschsprachiges Programm lief. Niemand durfte sie während dieser Zeit stören.

„Warum sind Sie nicht nach Deutschland übergesiedelt?“ – diese Frage wird Ihnen sicher oft gestellt. Die meisten Menschen, die ausgewandert sind, verstehen nicht, wie es möglich war, in diesen schwierigen Zeiten zu bleiben…

Viele Menschen aus unserer Großfamilie haben uns verlassen. Zunächst, in den 70er Jahren, alle Verwandten der Schreiner-Linie. Großvater hingegen erlitt einen Schlaganfall und war bald nicht mehr da, während Großmutter Emilia in der sibirischen Landschaft in der Nähe ihrer erwachsenen Kinder lebte. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie bei uns im südlichen, gastfreundlichen Almaty.

Mein Vater kam hierher, als er noch sehr jung war, um an einer Filmhochschule zu studieren, und blieb sein ganzes Leben lang hier… Warum hat er sich für Kasachstan entschieden? Weil sich selbst im sibirischen Hinterland herumgesprochen hatte, dass es den Deutschen hier gut ging. Es gab eine Zeitung, ein Radio, aber das Wichtigste war, dass die Deutschen hier auf engem Raum lebten. Als mein Vater nach Alma-Ata kam, hat er es keine Sekunde lang bereut. Er gründete hier eine Familie mit meiner Mutter. Sie sprach recht gut Deutsch. Ich wurde geboren. Als die Deutschen anfingen, in Scharen nach Deutschland zu gehen, sagte Papa: „Wo man geboren wird, ist man nützlich“. Er war in Deutschland, liebt sein historisches Heimatland und kommt gerne nach Kasachstan zurück.

Kontinuität zwischen den Generationen – halten Sie diesen Faden zwischen Vergangenheit und Zukunft aufrecht?

Mein Mann ist tatarischer Nationalität, wir haben viele internationale Ehen in unserer Familie. Die Kinder lernen seit ihrer Kindheit Deutsch und Englisch und fühlen sich der europäischen Kultur stärker verpflichtet. Wir versuchen, ihnen sowohl eine deutsche Identität als auch die Kultur anderer ethnischer Gruppen zu vermitteln. Wir reisen viel; sie sind bereits Kinder der Welt. Aber Weihnachten und Ostern sind für uns heilige Traditionen, die von meiner Großmutter begründet wurden. Wir feiern Weihnachten in der Familie immer zuerst in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember, und dann erst Silvester.

Was war der Auslöser für den Besuch des Deutschen Hauses und der „Wiedergeburt“-Gesellschaft?

Ich besuchte das Nationale Deutsche Kulturzentrum in der Kaldajakowa-Straße zum ersten Mal im Jahr 2000. Das war wahrscheinlich der Zeitpunkt, als ich versuchte, eine schwierige Antwort auf die Frage nach meiner nationalen Identität zu finden. In den 90er Jahren brach die Sowjetunion zusammen und wir befanden uns in einer Wolke – jeder, der nicht Kasache war, wurde als Russe registriert. Wer sind wir also? Dies waren die Fragen, die ich zu beantworten versuchte. Meine Großmutter war zu diesem Zeitpunkt bereits gestorben, und mir fehlte die Kommunikation in meiner Muttersprache.

Als Familie haben wir gerne an Sprachkursen und vielen kulturellen Veranstaltungen teilgenommen. Aber dann wurden die Kinder nacheinander geboren, und mein jüngster Sohn hatte gesundheitliche Probleme, die meine volle Kontrolle und Aufmerksamkeit erforderten. Es blieb also keine Zeit für einen Besuch des Kulturzentrums. Jetzt sind all diese Probleme überwunden, die Kinder haben die Pubertät hinter sich und sind gesund. Und ich befinde mich in einer Phase meines Lebens, in der man anfängt, über viele wichtige Dinge nachzudenken, einschließlich meiner Wurzeln.

Es ist wunderbar, dass es in Kasachstan solche Zentren gibt, eine deutsche Zeitung, ein Theater, eine Möglichkeit, die eigene Kultur und Sprache zu bewahren. Und dies wird in jeder Hinsicht vom Staat unterstützt, es gibt keine Hindernisse, mit denen unsere ältere Generation konfrontiert war. Wir können uns also getrost bei der „Wiedergeburt“-Gesellschaft, der deutschen Regierung und dem gastfreundlichen Kasachstan bedanken.

Vielen Dank für das Gespräch, viel Glück und Erfolg bei all Ihren Bemühungen.

Das Interview führte Olesja Klimenko.

Übersetzung ins Deutsche: Annabel Rosin.

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