Ich tüftele mit meiner Krankengymnastin an einem Konzept, wie wir mich aus dem Status als Dauerpatientin rausbringen können. Sie will mich ganz unbedingt in eine Pilates-Gruppe stecken. Ich bin zu allem bereit. Na ja, sagen wir, zu fast allem. Aber eines will ich auf gar keinen Fall: in eine Pilates-Gruppe!

Es ist ja nicht so, dass ich ein Sportmuffel wäre. Ich habe schon allerhand ausprobiert, vom Joggen über Schwimmen bis hin zum Reha-Sport, Fitness-Studio, Akrobatik, Qi Gong und Übungen mit Thera-Band und Swing Stick. Das Problem ist vielmehr, dass ich zu viele Baustellen habe. Eine Sportart oder Übung, die für die eine Körperpartie gut ist, schadet anderen Körperteilen. Und bei den Dingen, die mir gut bekommen, kommt kein Spaßfaktor auf, und da ich den Spaßfaktor ganz dringend brauche, um die fehlende Selbstdisziplin zu überlisten, geht’s ohne nicht. Gegen Gruppen, feste Termine und Trends habe ich eine Allergie.
Da aber auch ich das Ziel habe, aus dem Patientenstatus schleunigst rauszukommen, zeige ich mich von meiner konstruktivsten Seite und helfe bei der Suche nach dem passenden Programm mit. Immer mehr meiner rückengeschädigten Kolleginnen schwören auf den Turnverein. Da gebe es zu günstigen Preisen allerlei Angebote, das sei viel besser als die Fitness-Studios und Gruppen, die sie vorher ausprobiert haben. Turnverein? So was gibt’s noch? In so was war ich ganz früher mal drin, als ich noch Zöpfe und Zahnlücken hatte. Ich finde es zunächst super, dass es den guten alten Turnverein noch gibt und von dem Fitness-Wellness-Gedöns nicht verdrängt wurde. Das ist mir gleich sympathisch und ganz sicher gibt es in meinem Ort so was. Und sicher gibt es auch etwas, das für den Rücken gut ist. Hoffentlich bieten die dort kein Pilates an, dann kann ich sagen: Ich mache etwas aus dem Repertoire meines Turnvereins, aber leider leider, sehr schade, bieten die kein Pilates an, sonst hätte ich natürlich…

Oh toll, es gibt dort American Football. Aber ach, ich muss ja was rehamäßiges finden. Da findet sich eigentlich nur: „Gymnastik für Frauen über 40“! Nee, das ist mir zu unsexy. Das kommt gleich hinter Krankengymnastik. Nun schaue ich doch bei Pilates, da ich, ehrlich gesagt, gar nicht weiß, was das ist. Meine Aversion dagegen ist ohne Anlass entstanden. Auf einer Infoseite sind die Übungen aufgelistet, „Pelvic Curl“, „Hüfttonic“, „Spine Twist Supine“, „Kraftwerk“, „Glücksstern“, „Schulterschön“, „Rund um die Welt“ und „Attraktiv sitzen“. Aha, wusste ich es doch! Pilates ist eine Gymnastik, die sich versucht, mit vermeintlich toll klingenden Begriffen wichtiger zu machen als es ist. Vorurteil bestätigt. Wenn man das Becken kreisen lassen soll, soll man sagen, dass man das Becken kreisen lassen soll und es nicht Hüfttonic oder so nennen.

Ich gehe zurück auf Los und fasse zusammen: Ich habe die Wahl zwischen Krankengymnastik, Pilates-Gruppe und Gymnastik für Frauen über 40. Und entscheide: Ich bleibe bei meinem Weg, allein daheim meine Übungen zu machen. Da darf ich mich ohne Zurechtweisungen austoben, dazu meine Hits auf voller Lautstärke hören, aufhören, wenn es mir zu anstrengend wird, mich so jung fühlen, wie ich mich gerade fühlen möchte und muss bei raschen Lernfortschritten nicht auf andere warten. Ich nenne es liebevoll „Küchendisco“ oder „Hair-Gymnastik“, weil mich bei sportlichen Aktivitäten die Musik des Musicals „Hair“ am meisten anspornt. Von mir aus kann es losgehen!

Julia Siebert

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