Eindrücke aus Osch, der zweitgrößten Stadt Kirgisistans

Die Reise nach Osch beginnt in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Von hier aus gibt es zwei Wege, um in die sogenannte „Hauptstadt des Südens“ zu gelangen: per Flugzeug oder mit dem Sammeltaxi. Der 40-minütige Flug kostet etwa 39 Euro – die Taxifahrer nehmen meist 15 bis 20 Euro. Die Preisersparnis geht aber auf Kosten der Zeit: Die Fahrt dauert immerhin etwas über zwölf Stunden.

Wer hier schon die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, vergisst ein altes Sprichwort: Auch der Weg ist das Ziel. Neben interessanten neuen Bekanntschaften lernt man auf der Fahrt die vielfältige und atemberaubende Landschaft Kirgisistans kennen. Hohe Berggipfel, reißende Flüsse und weitläufige, früher von Nomaden bewohnte Täler. Hier lohnt es sich, dem Taxifahrer ein paar hundert kirgisische Som mehr zu bezahlen und damit den Beifahrersitz zu beanspruchen.

Jahrtausendstadt an der Seidenstraße

In Osch angekommen, zeigt sich das Bild einer weitläufigen Großstadt. Nur wenige der meist hellen Häuser sind höher als drei Stockwerke. Etwa 350.000 Menschen leben hier auf gut 180 Quadratkilometern. Die zweitgrößte Stadt Kirgisistans hat über die letzten Jahrhunderte zwar an Bedeutung verloren, blickt aber auf eine lange Historie zurück. Überlieferungen zufolge ist Osch über 3.000 Jahre alt und damit eine der ältesten Städte Zentralasiens. Auch zu Zeiten der alten Seidenstraße war Osch ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt zwischen China und Europa, an dem seit dem achten Jahrhundert viel Seide produziert wurde.

Auch heute noch ist die Stadt vom Handel geprägt. Über mehrere Kilometer – direkt am Ufer des Ak-Buura-Flusses – erstreckt sich der Jayma-Basar. Schon seit über 2.000 Jahren füllen Reisende hier ihre Vorräte auf. Neben dem traditionellen kirgisischen Lepjoschka-Brot gibt es ein reichliches Angebot an frischem Obst und Gemüse, Gewürzen und Kräutern sowie Metzgereiwaren. Auch Kleidergeschäfte nehmen einen großen Teil des Basars ein. Hier können Besucher und Besucherinnen sich mit zum Klima passenden Stoffen frisch einkleiden.

Die Händler bieten nicht nur traditionelle Waren, sondern auch Technik und Haushaltswaren an. Neben den neuesten Smartphones und Markenuhren, deren Preise an ihrer Echtheit zweifeln lassen, liegen Geldbeutel, Taschen und Gürtel. Im äußeren Bereich des Basars finden baulustige Käufer sogar große Werkzeuge, Zementsäcke und palettenweise Fliesen. Wenn man nur an der richtigen Stelle sucht, lässt sich auf dem Jayma-Basar also jeder Herzenswunsch erfüllen.

Der Grabhügel über den Dächern Oschs

Während des Spaziergangs durch die alte Handelsstadt fällt einem immer wieder ein felsiger Berg auf, der zwischen den Häusern hervorblitzt. Wer denkt, es handle sich hierbei um einen ganz gewöhnlichen Hügel, hat weit gefehlt. Bereits im 13. Jahrhundert erwähnen chinesische Schriften den heute als Suleiman-Too bekannten Grabhügel als heilige Stätte. Am vorderen Aussichtspunkt des gut 1.100 Meter hohen Berges findet sich eine weitere historische Sehenswürdigkeit: das Haus des Baburs. Hier meditierte im 15. Jahrhundert der Eroberer Babur, bevor er in Richtung Indien aufbrach und dort das Reich der Moguln gründete. Auf dem Hügel über die Stadt blickend soll er erkannt haben, dass das Ferghanatal zu einengend für das für ihn bestimmte Schicksal ist.

Im Jahr 2009 wurde der Suleiman-Too schließlich das erste UNESCO-Weltkulturerbe Kirgisistans. Besucher können den heiligen Hügel über verschiedene Wanderwege auf eigene Faust erkunden, kleine Höhlen auskundschaften und den Ausblick über Stadt und Umgebung genießen. Auf den fünf Gipfeln des langgezogenen Berges bietet sich ein lohnenswerter Blick auf den kirgisischen Süden und die weißen Dächer des weitläufigen Oschs.

Kunst, Geschichte und Religion

Während die meisten Höhlen des Suleiman-Toos mit Graffitis und Schmierereien bedeckt sind, befindet sich in der größten von ihnen ein Ort der Geschichte. Ende des 20. Jahrhunderts wurde ein Museum in den Berg gebaut, in dem die Kultur der ansässigen Völker beleuchtet wird. Besucher können hier antike Vasen, traditionelle Kleidung und andere historische Artefakte bewundern. Die kühlen Räume des Höhlenmuseums bieten zudem eine kleine Verschnaufpause zwischen der Wanderung auf dem fast schattenlosen Berg. Am Ende der überschaubaren Ausstellungsräume finden sich die Besucher auf einer großen Terrasse wieder. Von hier aus hat man einen guten Ausblick über den Süden der Stadt und die zum Grabhügel gehörende Moschee.

Das in blau und weiß erstrahlende Gebäude der Suleiman-Too-Moschee bildet das religiöse Zentrum des Berges. Zwar werden die Haupträume und Teile des Außengeländes derzeit renoviert, einige Gebetsräume sind aber dennoch für Gläubige geöffnet. Notfalls gibt es um den Grabhügel herum auch noch etliche andere Moscheen. Am Osthang des Suleiman-Too sowie in manchen kleineren Höhlen können Besucher eine weitere Attraktion begutachten: Siedler der Bronzezeit haben hier sogenannte „Petroglyphen“ in die Felsen geritzt. Sie stellen unter anderem Menschen, Tiere und Himmelskörper dar. Auch hier überlagern jedoch Graffitis und Schmierereien die kunstvollen historischen Abbildungen. Zwar ist eine Strafe von mehreren tausend Som für das Beschmieren der Felswände ausgeschrieben, die Abschreckung scheint aber nicht zu fruchten.

Freizeitparks, Denkmäler und die erloschene ewige Flamme

Während der Grabhügel eher einen moderaten Besucherstrom anzieht, tummeln sich die Bewohner Oschs in den Parkanlagen im Zentrum. Im Navai-Park, der sich südlich des Basars entlang des Ak-Buura-Flusses erstreckt, befinden sich Fahrgeschäfte, Essensbuden und sogar ein kleiner Zoo. Am Wochenende und bei gutem Wetter ähnelt der Park gar einem gut besuchten Volksfestgelände. Wer das in vielen Reiseführern angekündigte Flugzeug im Park sucht, wird jedoch enttäuscht: Die ausrangierte Jak-40 musste vor wenigen Jahren einem Popcorn-Stand weichen. Seinen Namen erhielt die Grünanlage übrigens vom Dichter und Bauherr Ali Shir Navai, der im 15. Jahrhundert in verschiedenen Gebieten des heutigen Zentralasiens tätig war.

Auch nach dem kirgisischen Sänger und Volksheld Toktogul Satylganow hat die Stadt Osch einen Park benannt. In der Anlage nahe des Rathauses ist jedoch deutlich weniger los. Die nur gering frequentierten Wege laden zum verweilen ein und verbinden verschiedene Denkmäler miteinander. Am Ostende des Toktogul-Parks befindet sich das größte dort ansässige Mahnmal: Ein ausrangierter Panzer und ein kniender Soldat erinnern an die gefallenen Kirgisen in Afghanistan. Zwischen 1979 und 1989 hatte die Sowjetunion in den dort herrschenden Bürgerkrieg eingegriffen.

Neben dem knienden Soldaten befindet sich auch die in vielen ehemals sowjetischen Städten obligatorisch vorhandene Ewige Flamme, die an den zweiten Weltkrieg erinnert. Wie vielerorts brennt sie jedoch auch in Osch nicht. Dem gleichen Anlass widmet sich auch ein von der Deutschen Bundesregierung gestiftetes Denkmal. Unweit davon erinnert ein Monument an die nukleare Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986, da hierbei auch einige dort stationierte Kirgisen gesundheitliche Schäden davontrugen. Das wohl größte Denkmal Oschs steht jedoch direkt vor dem Rathaus: Eine knapp 30 Meter hohe Statue zeigt Wladimir Lenin mit ausgestreckter Hand. Sie gilt als eine der größten Monumente ihrer Art.

Flughafen mit Sicherheitsproblemen

Wer bereits auf dem Hinweg mit dem Sammeltaxi gefahren ist oder die kirgisische Landschaft lieber von oben betrachten und Zeit sparen möchte, kann von Osch aus bequem mit dem Flieger abreisen. Der ansässige Flughafen steuert primär Ziele in Russland sowie innerhalb Kirgisistans an. Hierzu zählen unter anderem die Hauptstadt Bischkek oder die Stadt Tamchy am Issyk-Kul-See. Europäische Städte dürfen von kirgisischen Airlines derzeit allerdings nicht angeflogen werden. Dies hängt mit den eher laschen Sicherheitsvorkehrungen der Betreiber zusammen. So können Fluggäste beispielsweise problemlos mehrere Liter Wasser und andere Flüssigkeiten mit an Bord nehmen – die Schuhe müssen an der Sicherheitskontrolle jedoch konsequent ausgezogen werden. Diese und andere Maßnahmen wären jedoch nur dann effektiv, wenn der Sicherheitsbeamte auch auf den Bildschirm des Scanners und nicht aufs Smartphone schauen würde.

Jan Philipp Fleischer

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