„Heimat, Identität, Glaube“ ist der Dreiklang, der den Schwerpunkt für die Arbeit Hartmut Koschyks als ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten bildete. Bald soll ein Buch mit dem gleichen Titel auf seine politische Tätigkeit folgen: „Heimat, Identität, Glaube. Vertriebene – Aussiedler – Minderheiten im Spannungsfeld von Zeitgeschichte und Politik.“
Mit diesem Buch versucht Koschyk zeitgeschichtliche Zusammenhänge, politische Entwicklungen, aber auch ganz persönliche Überzeugungen und Sichtweisen miteinander zu verbinden. Das Buch stellt nach der Beendigung seiner aktiven politischen Tätigkeit in Parlament und Regierung, aber auch langer Jahre im Verbandsbereich der Vertriebenen eine Art von politisch-persönlicher Bilanz dar. Das Buch wird im EOS-Verlag der Benediktiner-Erzabtei St. Ottilien erscheinen.
Heimatverbundenheit in Zeiten der Globalisierung
Heimat stellt für Koschyk das entscheidende Fundament für die eigene Identität dar und ist die notwendige Antwort auf die zunehmende Globalisierung. Ein in sich ruhendes Heimatbewusstsein, verbunden mit gesicherter Identität und lebendigen Glaubensüberzeugungen ist die Voraussetzung für ein gedeihliches und respektvolles Zusammenleben mit anderen Nationen, Kulturen und Religionen. Heimat, Identität und Glaube helfen den Menschen, die Herausforderungen der Globalisierung zu meistern und ihnen weltoffen zu begegnen, ohne entwurzelt zu werden. Globalisierung ohne gleichzeitige „Beheimatung“ im materiellen und immateriellen Sinn erzeuge Spannungen und Desintegration, so Koschyk.
Es besteht ein harmonischer Dreiklang „Heimat – Identität – Glaube“; fehlt einer dieser Töne, geht nach Koschyk die Harmonie verloren, was insbesondere mit Blick auf das leidvolle Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen, der in der angestammten Heimat verbliebenen deutschen Volksgruppen in Mittel– und Osteuropa, der in der ehemaligen Sowjetunion deportierten Deutschen sowie der in die Bundesrepublik Deutschland ausgereisten Spätaussiedler, aber auch in Bezug auf die vier autochthonen Minderheiten in Deutschland deutlich wird.
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Historische Wurzeln der Minderheitenpolitik
Das 1. Kapitel „Heimat – Nation – Staat im 18. und 19. Jahrhundert“ umfasst einen Diskurs zur Besonderheit des „Heimatgefühls“ in Deutschland, dessen Wurzeln in der späten Gründung des deutschen Nationalstaates 1871 liegen, sowie einen historischen Abriss der Vertreibungen und fehlende Lösungen von Minderheitenfragen vor und nach dem 1. Weltkrieg, dem Nationalsozialismus und der Katastrophe des 2. Weltkrieges sowie der Flucht und Vertreibung der deutschen Volksgruppen in Mittel– und Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion nach 1945.
Im 2. Kapitel „Die deutschen Heimatvertriebenen im Kontext deutscher und europäischer Teilung und Einheit“ beschreibt Koschyk zunächst die Unterschiede bei der Eingliederung der deutschen Heimatvertriebenen in der SBZ und späteren DDR sowie in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland nach deren Gründung. Anschließend wird auf das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen unter kommunistischer Herrschaft in den Staaten Mittel– und Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion eingegangen und aufgezeigt, dass so uniform sich die kommunistische Welt auch präsentierte, so verschieden doch die Minderheitenpolitik war.
Der rechtliche und kulturelle Status der Deutschen differierte in den Ländern des ehemaligen Ostblocks erheblich und bewegte sich von Duldung und Förderung bis zu totaler Verleugnung und Unterdrückung.
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Flucht und Vertreibung in der Mitte der Gesellschaft
Das 3. Kapitel beschreibt die Aufarbeitung von Flucht und Vertreibung und die Traumata von Vertriebenen und Flüchtlingen in Deutschland und Europa. In einem historischen Abriss wird aufgezeigt, dass das Thema Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg lange Zeit ein verschüttetes Thema war. Im Zusammenhang mit der notwendigen Aufarbeitung des NS-Regimes unterblieb eine ebenfalls notwendige Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Heimatvertriebenen. Im Vordergrund standen die wirtschaftliche und soziale Integration der Heimatvertriebenen.
Dies wird laut Koschyk insbesondere durch die „Charta der Heimatvertriebenen“ deutlich, die am 5. August 1950 in Stuttgart-Bad Cannstatt von 30 Vertretern der deutschen Heimatvertriebenen unterzeichnet und am folgenden Tag vor dem Stuttgarter Schloss und im ganzen Bundesgebiet verkündet wurde. In ihrem Kern enthält sie einen Aufruf zum Verzicht auf Rache und Gewalt trotz des eigenen gerade erlittenen Unrechts und ein klares Bekenntnis zur Schaffung eines einigen Europas, zur Verständigung zwischen den Staaten, den Völkern und Volksgruppen. Sie war laut Koschyk ihrer Zeit weit voraus und eine große moralische Leistung der Vertriebenen.
Der politische Umbruch in Mittel– und Osteuropa und die damit einhergehenden Möglichkeiten der deutschen Minderheiten, sich wieder frei zu ihrer eigenen kulturellen Identität zu bekennen, rückten schrittweise deren Schicksal, aber auch das Schicksal der Heimatvertriebenen erneut ins Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung. Es wird aufgezeigt, dass das Thema „Flucht und Vertreibung“ zunehmend in der politischen Mitte in Deutschland verankert wurde.
Die Einführung eines Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung sowie die Errichtung der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung belegen laut Koschyk eindrucksvoll, dass parteiübergreifend dem Schicksal der Heimatvertriebenen in Deutschland, aber auch weltweit Rechnung getragen wird und das Thema „Heimat“ seinen Platz in der historischen Auseinandersetzung mit der eigenen deutschen Geschichte gefunden hat.
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Minderheitenpolitik nach 1990
Das 4. Kapitel analysiert die Minderheitenpolitik in Deutschland und Europa nach der Epochenwende 1989/90. Neben einer Analyse der Fortentwicklung des Minderheitenschutzes im Rahmen des KSZE-Prozesses, wichtiger Dokumente zum Minderheitenschutz des Europarates, wie beispielsweise der „Europäischen Charta der Regional– oder Minderheitensprachen“ und des „Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten“, wird u.a. auch auf die Minderheitenpolitik der Europäischen Union eingegangen, die insbesondere im Zuge der EU-Osterweiterung weitere Impulse für den Schutz der nationalen Minderheiten in Europa setzen konnten.
Weiter wird die Arbeit der bilateralen Regierungskommissionen beschrieben, in denen jährlich transparent und offen gemeinsam mit den dort lebenden deutschen Minderheiten die Ergebnisse der bisherigen Förderpolitik und deren künftige Gestaltung besprochen werden. Auch wird aufgezeigt, welch bedeutenden Beitrag die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) und in diesem Rahmen die Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten (AGDM) dazu leisten, die Einigung Europas voranzutreiben und nicht nur ihre Minderheitenrechte einfordern.
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Das letzte Buchkapitel befasst sich mit der religiösen Dimension der Vertriebenen– und Minderheitenfrage und analysiert dabei u.a. ausgewählte Botschaften der Päpste Johannes Paul II., Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus. Es wird aufgezeigt, dass die Kirchen viel dazu beitragen können, dass der Dreiklang „Heimat – Identität – Glaube“ erhalten oder gar in vorher nicht gekannter Harmonie neu zum Klingen gebracht wird. Kirchengemeinden können laut Koschyk sehr viel zur Beheimatung leisten, also zu einer Integration ohne aufgezwungene Assimilation.
Außerdem geht Koschyk auf den Diskurs zur Ächtung von Vertreibungen und den Minderheitenschutz als politische und moralische Herausforderung ein. Die Ächtung von Vertreibungen und ein fest verankerter Minderheitenschutz der EU sollten politische und moralische Verpflichtung zugleich sein. Die EU ist laut Koschyk nur dann eine glaubwürdige Wertegemeinschaft, wenn die Würde jedes Menschen auf der Grundlage unseres christlichen Wertefundaments auch mit Blick auf religiöse oder nationale Minderheiten Maßstab für jede Politik ist.
In einem Ausblick geht Koschyk der Frage nach, wie auf nationaler Ebene der Schutz der in Deutschland lebenden autochthonen Minderheiten und der niederdeutschen Sprachgruppe, der Zusammenhang von Minderheitenpolitik in Deutschland, in Europa und weltweit sowie unser Einsatz für die deutschen Volksgruppen in den Staaten Mittel– und Osteuropas und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion weiter verbessert werden könnten.