„Eurasianet.org“ zur Ideologie russischer Außenpolitik:
„Russland füllte schnell das geopolitische Vakuum in der zentralasiatischen Republik Usbekistan aus und intensivierte im letzten Jahr die bilateralen Beziehungen. Der diplomatische Erfolg Russlands bestärkte Denker des Eurasianismus. Jüngste Entwicklungen in Zentralasien namentlich der steigende geopolitische Einfluss Russlands und der sinkende der USA bestärken eine Debatte über die philosophisch-ideologischen Grundlagen der außenpolitischen Ausrichtung des Kremls. Die Hektik der Ereignisse kann Ideen der sogenannten Eurasianisten neues Leben einhauchen. Sie propagieren, Russland hätte eine ganz eigene Identität und sollte sich gegen den Westen stellen. Seit dem Fall der Sowjetunion streiten russische Politiker und Vertreter vieler akademischer Fächer über ein Konzept, dass Russlands Wiedererwachen begründen könnte. Hierzu gehört auch der Eurasianismus. Er ist eine polit-philosophische Denkschule aus den 1920ern, die von der intellektuellen Diaspora um Trubetskoi, Sawitsky und anderen lanciert wurde. Die Kerngedanken kreisen um einen wohlwollenden russischen Imperialismus, orthodoxe messianistische Tugenden und einen sozio-ökonomischen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Planwirtschaft. Ebenso gibt es eine vitale Komponente des Eurasianismus, die Russland das Recht der Kontrolle über das Eurasische Kernland, inklusive Zentralasien und Kaukasien, zuspricht. Bis heute sind weder Konzept noch Inhalte des Eurasianismus klar definiert. Kritiker werfen dieser Denksschule vor, sie leide unter einer selektiven Wahrnehmung der Geschichte und neige zur Romantisierung der imperialen Erfahrungen des zaristischen Russland. In der Tat sollte die russische Brutalität in Tschetschenien die Vorstellung der Fähigkeiten Moskaus als wohlwollender Unterstützer von Staaten auf der Suche nach ihrer Identität eher in Frage stellen. Manche Kritiker gehen sogar weiter und sehen kaum Unterschiede zwischen den Paradigmen des Eurasianismus und dem rechtslastigen National-Bolschewismus. In diesen Tagen, in denen es scheint, dass Ideen des Eurasianismus Einfluss in Moskau gewinnen, tut es Not, sich mit dieser Denkschule und ihrer ideologischen Basis auseinanderzusetzen. Es wurde jedoch bisher in der akademischen Welt des Westens marginalisiert. Derzeit befinden sich dort keine ernstzunehmenden Bücher über den Eurasianismus im Druck – in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion gibt es hingegen einen beständigen Fluss an Neuerscheinungen, die sich dem Eurasianismus widmen.“
(„Eurasianet.org“, 2. September, aus dem Englischen von Gunter Deuber)