Als 1949 in der Steppe Kasachstans die erste sowjetische Atombombe explodiert, stammt das Uran hierfür aus dem nordtadschikischen Taboschar. Von deutschen Kriegsgefangenen und deportierten Russlanddeutschen aufgebaut, hat der Ort bis heute ein deutsches Stadtbild. Und kämpft mit seinem strahlenden Erbe.

Das rote Eckhaus mit dem kleinen Türmchen, in dem sich der Dorfladen befindet, könnte auch in Deutschland stehen. Und wer durch die kiefergesäumten Straßen schlendert und einen Blick auf die zweistöckigen Giebelhäuser aus Stein mit den kleinen Veranden und Balkonen wirft, die hier stehen, glaubt sich in einem bayerischen Bergdorf.

Doch die Kleinstadt Taboschar liegt im Norden Tadschikistans unweit der Großstadt Chudschand. Taboschar ist auch als die „kleine Schweiz“ Tadschikistans bekannt, doch die Idylle hat eine tragische Geschichte: 1926 war hier Uran entdeckt worden. Das wurde während des Zweiten Weltkriegs dringend für das sowjetische Atombombenprogramm benötigt. Als am 29. August 1949 der Blitz der ersten sowjetischen Atombombe in der Steppe bei der kasachischen Stadt Semipalatinsk aufleuchtete, stammte das hierfür benötigte Uran aus Taboschar.

Damals stieg die Einwohnerzahl des Ortes innerhalb von wenigen Jahren von wenigen Hundert auf über 11.000 Menschen, für die Wohnraum benötigt wurde. Geschaffen wurde der von deutschen Kriegsgefangenen und Sowjetdeutschen, die hierhin deportiert wurden. Sie bauten so, wie sie es aus ihrer Heimat kannten, und gaben dem Ort ein deutsches Antlitz.

Aufwachsen in einer geschlossenen Stadt

Damals, zu Sowjetzeiten, lebten in Taboschar viele Deutsche, erinnert sich Robert Hettich im Videogespräch. Der heute in Hannover lebende Künstler wurde 1964 in Taboschar geboren. Sein russlanddeutscher Vater und seine ukrainedeutsche Mutter waren Anfang der 1960er Jahre hierher gezogen. Anfangs war das Aufwachsen in Taboschar für ihn mit Problemen verbunden: Im Kindergarten wurde er gemobbt, weil er nicht so gut Russisch sprach. Doch zugleich entdeckte er hier seine künstlerische Ader und ging in Taboschar auf eine Mal- und Musikschule.

Taboschar war zu Sowjetzeiten ein besonderer Ort. Wegen des Uranabbaus galt er als geschlossene Stadt, die nur mit Sondererlaubnis betreten werden durfte. Doch die strengen Regeln brachten den Bewohnern auch viele Vorteile. Das örtliche Kaufhaus bot Waren, die es sonst in der Sowjetunion kaum zu kaufen gab. „Mehrere Sorten Wurst und Fleisch waren immer, aber auch deutsche Markenbutter gab es zu kaufen. Und in der Klamottenabteilung hatte man Jeans, die es woanders eigentlich nicht zu kaufen gab“, erinnert sich Hettich.

Auf dem zentralen Platz von Taboschar zeugen noch heute ein Kaufhaus, die Poliklinik und das pompöse Kulturhaus von den Privilegien, die die Bewohner Taboschars einst genossen. „Ich habe damals Schlagzeug in einer Band von der Schule gespielt und wir sind dann auch bei Feiern im Kulturhaus aufgetreten“, erinnert sich Hettich. Neben Deutschen lebten damals in Taboschar viele Russen, aber auch Krimtataren und Tadschiken.

Heute leben in den deutschen Häusern Taboschars fast keine Deutschen mehr. Das Ende der Sowjetunion brachte auch das Ende der Uranindustrie. Die Russen gingen nach Russland und die Deutschen nach Deutschland. Robert Hettich wanderte mit seiner Familie bereits 1988 nach Deutschland aus – bis auf 90 Rubel mussten sie zuvor ihren ganzen Besitz abgeben. „Ich war der Volksverräter, doch mir war das sowas von egal“, erinnert er sich an den Umzug nach Deutschland.

Der Umgang mit dem strahlenden Erbe

Inzwischen erinnern in Taboschar nur noch Trümmer an den einstigen Glanz. Das ehemalige Kino ist eine Ruine ohne Dach, und in den ausgeschlagenen Fenstern des ehemaligen Kaufhauses flattern die Vorhänge. Was bleibt, ist das strahlende Erbe der Atomindustrie.

An einer Straße, die aus dem Ort hinausführt, stehen noch die Gebäude, in denen das Uran aufgearbeitet wurde. Rings umher schroffe Berge und ein malerischer See. Doch lange aufhalten sollte man sich hier nicht. Warnschilder weisen auf die immer noch erhöhte Radioaktivität hin. Bis vor kurzem gab es hier eine riesige Abraumhalde mit radioaktiven Abfällen, deren Staub vom Wind bis nach Taboschar gebracht wurde.

In den vergangenen Jahren gab es in Taboschar Berichte über Krebsfälle und zwei Neugeborene wurden mit schweren Missbildungen geboren, an denen sie kurz darauf starben. Doch konkrete Zahlen wie stark die Menschen in Taboschar von der Strahlung betroffen sind, gibt es nicht, sagt Ikrom Mamadow vom Aarhus Center in Chudschand. Schon seit über 20 Jahren leistet die Organisation in Taboschar aber auch anderen Orten Nordtadschikistans Aufklärungsarbeit über die Folgen des Uranbergbaus. Denn ein großes Bewusstsein für die Gefahren gibt es bis heute nicht. Bewohner bergen das verstrahlte Metall aus den Minen oder lassen dort ihr Vieh grasen.

„Vor allem durch die Arbeit mit Jugendlichen versuchen wir die Bevölkerung aufzuklären, wie gefährlich diese Abfälle sind“, sagt Mamadow. So bilden sie etwa Jugendliche zu „Grünen Patrouillen“ aus, die das Umweltbewusstsein der Bevölkerung stärken sollen. Zugleich müssen aber auch die Aufräumarbeiten um Taboschar weitergehen. Auch wenn im vergangenen Jahr die größte Abraumhalde mit der Unterstützung des russischen Konzerns Rosatom entfernt wurde, gefährden die radioaktiven Abfälle rund um Taboschar immer noch die lokale Bevölkerung.

Umso mehr wird die Arbeit des Aarhus-Centers geschätzt. „Was die Rückmeldungen betrifft, die wir von der Gemeinschaft erhalten haben, so sind sie sehr glücklich über den Beginn der technischen Aktivitäten“, sagt Mamadow. Er berichtet, dass die lokale Verwaltung Pläne hat, Taboschar touristisch zu entwickeln und Investoren anzulocken. Als Vorbild gelten dabei auch Städte in Deutschland, die sich in einer ähnlichen Situation wie Taboschar fanden und sich nach dem Zusammenbruch ihrer Industrie neu orientieren mussten.

Auch wenn viele heute den Ort noch immer Taboschar nennen, heißt er eigentlich schon seit 2012 anders: Istiqlol. Das bedeutet Unabhängigkeit auf Tadschikisch. Vom strahlenden Erbe der Sowjetunion wollen sie sich hier verabschieden.

Johann Stephanowitz

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