Es ging nicht nur um die Wurst, als Barbara Fraenkel-Thonet Ende Mai im Leseclub des Goethe-Instituts Almaty die Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ von Uwe Timm vorstellte. Die Besucher des Leseabends erwartete vielmehr eine Liebesgeschichte im Hamburg der letzten Kriegstage über eine Frau, die einen Soldaten vor der Kapitulation versteckt und später eine Imbissbude eröffnet. Ein Stoff, der an den Film „Good Bye, Lenin!“ erinnert und auch auf der Leseliste von Germanistikstudenten in Kasachstan steht.

/Bild: Christine Karmann. ‚Barbara Fraenkel-Thonet präsentiert die Wer-ke des deutschen Schriftstellers Uwe Timm’/

Für Lena Brücker eröffnete sich das Paradies auf der Zunge, als sie zum ersten Mal Curryketchup schmeckte. Sie spürte ein Kribbeln auf der Zunge, und ihr Gaumen schien sich zu weiten. Die fruchtige feurige Gewürzmischung war durch Zufall entstanden. Gegen jeden Sinn und Verstand hatte sie einen Pelzmantel gegen bitteres Currypulver und Ketchupflaschen getauscht, als sie beim Reintragen der Tauschware auf der Treppe stolperte und bei der Entsorgung des Fruchtmatsches gedankenverloren am Finger leckte.

Ist so die erste Currysoße entstanden? Für Barbara Fraenkel-Thonet stand bei ihrer Lesung aus der Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ von Uwe Timm diese Frage gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Die Leiterin des Goethe-Instituts Almaty, die privat lieber Pizza als Currywurst isst, fasziniert an der Novelle die authentische Schilderung von Hamburg in der Zeit der letzten Kriegstage. Einer Zeit des Denunziantentums, in der von der Nachbarin bis zum Hausmeister jeder im Leben des anderen herumschnüffelte und jede abweichende Meinung von der Einheitspolitik bestraft wurde.

Liebe in Zeiten des Krieges

In der Schlange vor dem Kino stößt Lena Brückner mit einem 30 Jahre jüngeren Soldaten auf Heimaturlaub in Hamburg zusammen. Nett, dünn und hungrig ist er, denkt sie. Dann ertönt schon Bombenalarm, und nach der Flucht in den Luftschutzkeller kommen sich die beiden am Abend in ihrer Wohnung näher. Am nächsten Morgen regnet es. Lena Brückner fragt den Soldaten, ob er nicht bleiben will, und er bleibt in ihrer Wohnung. Fast einen Monat, die schönste Zeit ihres Lebens, und am Ende ist der Krieg aus, was Lena ihrem Gast verheimlicht, um ihn noch ein bisschen bei sich zu haben.

Der erste Nichtkontakt mit Uwe Timm bestand für Barbara Fraenkel-Thonet darin, als sie dessen Lesung „Sauwald“ in Südtirol verpasste. Zu Weihnachten bekam sie dann von einem Freund drei Werke des deutschen Erfolgsautors geschenkt – „Morenga“, ein historischer Roman über den Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika, „Der Freund und der Fremde“, eine autobiografische Erzählung über Uwe Timms Freundschaft mit Benno Ohnesorg und die Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“, eine Geschichte über Liebe in Zeiten des Krieges und über die Nachkriegszeit, als Erfindungsreichtum das Überleben sicherte.

Noch lieber als Uwe Timm, liest Babara Fraenkel-Thonet die Werke des irischen Nobelpreisträgers Samuel Beckett. Den deutschen Autor, der 1940 in Hamburg geboren wurde, spät Abitur machte, Kürschner lernte, Germanistik und Philosophie in München und Paris studierte und seit 1971 als freier Schriftsteller tätig ist, wählte Babara Fraenkel-Thonet nach Beratung mit der Bibliothekarin des Goethe-Instituts aus, um einen zeitgenössischen Autor vorzustellen, der auch auf der Leseliste von Germanistikstudenten in Kasachstan steht. Àuch die Studenten erforschen nicht die Geschichte der ersten Currywurst, sondern lernen stattdessen die Hamburger Umgangssprache und analysieren die Liebesgeschichte zwischen Lena Brückner und dem 30 Jahre jüngeren Soldaten, bei der ganz zufällig ein deutsches Nationalgericht entstanden sein soll.

Von Christine Karmann

28/05/10

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