Wer zum ersten Mal nach Kasachstan reist, ist überwältigt von den Eindrücken: die endlosen Steppen, grüne Hügel, die schneebedeckten Gipfel des Trans-Ili-Alatau, die orientalischen Basare voller Gewürze, getrockneter Früchte und Teestände, die modernen Städte mit ihren Cafés und Restaurants – und eine Küche, die nicht nur aus Fleisch und verschiedenen Teigwaren besteht, sondern von einer faszinierenden Getränkekultur geprägt ist. Getränke sind hier weit mehr als nur ein Begleiter der Mahlzeiten: Sie sind Träger von Geschichte, Identität und Erinnerung, sie spenden Kraft, wärmen im Winter, erfrischen im Sommer und werden bis heute als Heilmittel verehrt.

Kumys – das göttliche Getränk der Steppe

Das wohl bekannteste Getränk Kasachstans ist Kumys, fermentierte Stutenmilch. Sein Geschmack ist einzigartig: leicht säuerlich, prickelnd, manchmal beinahe perlend, mit einem feinen Alkoholgehalt von ein bis drei Prozent. Für Touristen mag er zunächst ungewohnt sein, für Kasachstaner ist er ein Symbol von Gesundheit, Reinheit und Stärke. Kumys gilt als Getränk der Helden, denn schon die Hunnen und Kiptschaken tranken ihn, und bis heute ist er fester Bestandteil der Kultur.

Die Herstellung folgt einem uralten Verfahren: Frisch gemolkene Stutenmilch wird in einem großen Lederbehälter, dem Saba, gegossen und mit einem Holzstampfer regelmäßig geschüttelt, sodass die Milchsäuregärung in Gang kommt. Je länger die Fermentation dauert, desto intensiver, herber und auch berauschender wird der Geschmack. Milde Sorten sind für Kinder oder Ältere gedacht, kräftige Varianten eher für junge Erwachsene. Schon immer schrieb man Kumys heilende Kräfte zu – er soll den Stoffwechsel anregen, das Immunsystem stärken und sogar gegen Tuberkulose schützen.

Sprichwörter und Zitate zeigen, welchen Stellenwert er hat. „Kumys – das Getränk der Götter“, sagt ein altes kasachisches Sprichwort. Und der russische Schriftsteller Mamin-Sibirjak nannte ihn „ein göttliches Getränk, Symbol körperlicher und seelischer Balance“.

Schubat, Ayran und die Getränke der Hirten

Nicht minder charakteristisch ist Schubat, die fermentierte Kamelmilch. Sie ist dickflüssiger, gehaltvoller und intensiver als Kumys, besonders im Süden und Westen Kasachstans verbreitet. Neben ihrer gesundheitlichen Wirkung war sie früher auch als Kosmetik geschätzt: Nomadinnen pflegten ihre Haut mit Schubat, um sie vor Sonne, Wind und Trockenheit zu schützen.

Leichter und für den Alltag geeigneter ist Ayran, verdünnte und leicht gesalzene Sauermilch. Er wird zu jeder Jahreszeit getrunken, besonders im Sommer, und oft zu herzhaften Speisen gereicht.

Auf langen Reisen der Hirten entwickelten sich weitere Mischungen:

• Shalap, eine erfrischende Kombination aus Ayran oder Kumys mit Wasser, Salz und Kräutern.
• Akta, frische Milch, die mit Ayran vermengt und beim Reiten im Lederbeutel geschüttelt wird.
• Koyyrtpak, eine kräftigere Variante, bei der statt Wasser Milch verwendet wird.

Diese Getränke waren einst die Lebensversicherung der Nomaden: Sie stillten Durst und Hunger, gaben Kraft für lange Ritte und verbanden Menschen mit ihrem Vieh und der Steppe.

Ein weiteres traditionelles Getränk ist Tan, hergestellt aus Milch, Milchsäurebakterien, Wasser und Salz. Ihm werden zahlreiche Wirkungen nachgesagt: Er soll bei Bronchitis helfen, bei Asthma, Schwangerschaftsübelkeit und sogar bei Kater. Dass er in vielen Familien als „heilender Trunk“ gilt, ist Ausdruck eines tiefen Vertrauens in die Naturprodukte.

Ergänzt wird diese Vielfalt durch weitere Klassiker wie Prostokwascha (dicke Sauermilch), Rjaschenka (milde gebackene Milch) und Kefir, die beinahe in jedem Haushalt selbstverständlich sind und oft auch zu Hause hergestellt werden.

Kasachische Tee-Zeremonie, Kultur und Gastfreundschaft

Neben Milch spielt Tee eine zentrale Rolle. Wer Kasachstan besucht, wird sofort spüren, dass Tee hier keine Nebensache ist, sondern ein gesellschaftliches Ritual. Fast jede Begegnung, ob sie nun im Dorf, in der Jurte oder im modernen Café in Almaty stattfindet, beginnt mit einer Schale Tee.

Traditionell wird starker schwarzer Tee gekocht und mit Milch oder Sahne verfeinert, manchmal gesüßt. Wichtig ist die Schale, die Piala: Sie wird nie randvoll eingeschenkt, nicht aus Geiz, sondern aus Respekt. So bleibt der Tee warm und der Gastgeber kann immer wieder nachgießen – eine stille, aber bedeutungsvolle Geste der Fürsorge.

Besonders interessant ist der uigurische Milchtee, Atkyan Çay. Er wird mit Salz, Butter oder Kaymak (Milchhaut) zubereitet und in großen Schalen serviert. Dazu reicht man Brot wie Tono Nan oder Lipiz Nan. Dieser Tee ist fast eine Mahlzeit: wärmend, sättigend und ein echter Energielieferant für kalte Wintertage.

Nostalgische Getränke der Sowjetzeit

Auch die Sowjetzeit hat tiefe Spuren in der kasachischen Getränkekultur hinterlassen. Viele erinnern sich an den Geschmack ihrer Kindheit, wenn sie heute noch eines dieser Getränke trinken:

• Kompott, ein fruchtiger Aufguss aus frischen oder getrockneten Früchten, der im Sommer zubereitet und im Winter geöffnet wird – ein Glas voller Erinnerung an warme Tage.
• Mors, ein frischer Beerensaft, meist aus Preiselbeeren oder Blaubeeren, den man fertig kaufen oder selbst zubereiten kann.
• Limonaden wie Buratino, Tarchun oder Duschess, bunte und süße Klassiker der sowjetischen Kindheit.
• Kwas, ein leicht fermentierter Brottrunk, der früher aus gelben Tonnen auf den Straßen ausgeschenkt wurde und bis heute im Sommer erfrischt.
• Kissel, ein dickflüssiger Fruchttrunk, den viele aus den Schulkantinen kennen und der Erinnerungen an unbeschwerte Kindheitstage weckt.

Diese Getränke sind mehr als Relikte – sie sind Erinnerungen an gemeinsame Zeiten, an Familienfeste, an Pausen in der Schule oder Spaziergänge durch die Stadt.

Getränke als Spiegel der Kultur

Ob nomadische Milchgetränke oder sowjetische Limonaden – alle verbindet, dass sie mehr sind als reine Durstlöscher. Sie spiegeln die Lebensweise der Menschen, ihre Geschichte, ihre Feste und ihr Alltagsleben. Ein Glas Tee oder Kumys ist immer auch eine Geste der Gastfreundschaft, die man nie ablehnen sollte.

Kasachstan ist ein Land, in dem Vergangenheit und Gegenwart im Geschmack verschmelzen. Jeder Schluck erzählt von der Steppe, von den langen Reisen der Nomaden, vom Alltag in sowjetischen Zeiten, aber auch vom modernen Leben in Cafés und Städten. Wer einmal dort war, erinnert sich nicht nur an Landschaften und Begegnungen, sondern auch an Aromen – an Kumys, Tee oder Kompott.

Am Ende ist es vielleicht genau dieser Geschmack, der einen immer wieder zurückruft. Für mich persönlich verbindet sich Deutschland mit ganz anderen Getränken: mit Apfelsaft, den Familien kistenweise kaufen und die Flaschen anschließend zurückbringen – praktisch, nachhaltig und köstlich. Und mit Kaffee, frisch gemahlen aus echten Bohnen, dessen Duft unvergleichlich bleibt. Es sind diese kleinen Alltagsgetränke, die Erinnerungen prägen – genauso wie Kumys und Tee die Erinnerung an Kasachstan begleiten.

Rukhsaram Seitova

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