Die Seidenstraße – das klingt nach fernen Abenteuern, Kamelkarawanen, lauen Sommernächten in weit abgelegenen Karawansereien, nach blau gefliesten Minaretten und Mausoleen. Und nach dem Trubel und dem Lärm der Händler auf dem Basar, nach exotischen Gewürzen und Düften, teuren Stoffen und den Früchten ferner Länder.

Die Seidenstraße war ein altes Netz aus Handelswegen und Karawanenstraßen, dessen Hauptwege den Mittelmeerraum mit Ostasien verband. Zur Hochzeit, bis ins 14. Jahrhundert hinein, wurde auf einer Strecke von 6.400 Kilometern in westliche Richtung hauptsächlich Seide, gen Osten vor allem Wolle, Gold und Silber transportiert. Es war der deutsche Geograph, Kartograph und Forschungsreisende Ferdinand von Richthofen, der im 19. Jahrhundert in seinen Studien über das Kaiserreich China den Begriff „Seidenstraße“ prägte.

Als Ferdinand von Richthofen 1877 den Begriff der Seidenstraße zum ersten Mal verwendete, war es gerade zehn Jahre her, als der 1854 gegründeten Militärfestung Wernoje das Stadtrecht verliehen wurde. In jenem Jahr 1867 wurde die Stadt Werny, wie sie nun hieß, zur Hauptstadt des Gebietes Semiretschje (Siebenstromland), und die Bevölkerung übertraf mittlerweile die Zahl von 10.000 Einwohnern. Die Stadt entwickelte sich prächtig und zog in diesen Jahren zahllose Händler und Kaufleute an.

Bereits seit 1868 wurde auf einem offenen Platz an der Torgowaja-Straße (Handelsstraße) Handel getrieben. Die Kaufleute, die aus allen Ecken des Russischen Reiches nach Zentralasien und nach Werny kamen, um ihr Glück zu suchen, erlangten Reichtum und politischen Einfluss auf dem Marktplatz von Werny. Viele bauten sich im Laufe der Jahre repräsentative Geschäfte und herrschaftliche Villen rund um die Torgowaja-Straße, die noch heute das Bild der Stadt bereichern.

Baumeister in der Verbannung

Ein gewisser Sadyk Rafikow aus Semipalatinsk, der heute fast vollständig in Vergessenheit geraten ist, war in diesen Tagen einer der einflussreichsten Kaufleute von Werny. Er traf in der Stadt auf Iwan Iwanowitsch Poklewskij-Kozell aus dem Gouvernement Minsk. Dieser war in den 1860er Jahren in der litauischen Unabhängigkeitsbewegung aktiv, kämpfte im Deutsch-Französischen Krieg auf französischer Seite und musste schließlich nach Verhaftung und Verbannung in den Reihen der Kosakentruppen des Siebenstromlandes Strafdienst leisten. Poklewskij-Kozell war auch Baumeister und Ingenieur und konnte in seiner Zeit in Zentralasien sein Können in dieser Funktion voll unter Beweis stellen.

Sadyk Rafikow ließ seinen politischen Einfluss in der Stadt spielen, beauftragte Poklewskij-Kozell mit einem Projekt und finanzierte das erste befestigte Handelshaus der Stadt auf dem Platz in der Torgowaja-Straße. Der „Gostinyj Dwor i ego kupetschestwa“, der sogenannte „Salonhof mit seiner Kaufmannschaft“, eröffnete 1875. Zwei langgestreckte Pavillons beherbergten von nun an nicht nur die Geschäfte der Kaufmänner, sondern warteten ebenfalls mit Brunnenanlagen, Fontänen, Arkadengängen oder auch Möglichkeiten für das muslimische Gebet auf und zogen so Händler und Reisende aus ganz Zentralasien an. Die Handelsreihen des Sadyk Rafikow waren Ausdruck des wirtschaftlichen und industriellen Wohlstandes in der aufstrebenden Stadt Werny und standen anderen, jahrhundertealten Basaren Zentralasiens in nichts nach.

Iwan Iwanowitsch Poklewskij-Kozell war in den darauffolgenden Jahren unter anderem für den Ausbau der Trasse von Werny nach dem 1878 als Garnisonsstadt gegründeten Pischpek verantwortlich. Die Geschichte von Pischpek reicht zurück bis in die Hochzeit der Seidenstraße und begann als Karawanenstation an einem der Seidenstraße zugerechneten Weg durch das Tian-Shan-Gebirge. Eine vom usbekischen Khan von Kokand errichtete Lehmfestung existierte noch bis ins Jahr 1862, als diese von russischen Truppen im Zuge der Eroberung Zentralasiens eingenommen und zerstört wurde. Pischpek erhielt in den Jahren der Sowjetunion den Namen des Generals Frunse und ist seit 1991 als die Hauptstadt der Kirgisischen Republik Bischkek bekannt.

Die Revolution erreicht Werny

Die Stadt Werny wurde derweil von einem schweren Erdbeben getroffen. Das Erdbeben vom 1. Juni 1887 ließ bis auf ein einziges Holzhaus nichts verschont. Unter den 1.700 zerstörten Gebäuden befand sich auch der Salonhof des Kaufmanns Rafikow, von dem praktisch nichts erhalten blieb. Zwar wurde auch auf dem Platz in der Torgowaja-Straße schon bald danach wieder Handel getrieben, doch zu altem Ruhm fanden die Handelsreihen nicht mehr zurück. Märkte und Basare, die sich auf Waren wie Heu, Gemüse, Pferde oder Vieh spezialisierten, entstanden über die ganze Stadt verteilt. Und so ging das Leben in der Stadt Werny seinen gewohnten, trägen, alltäglichen Gang.

Bis zum Oktober 1917, als das Kanonenschiff Aurora mit Donnerschlägen zum Sturm auf den Winterpalast rief. Das Russische Zarenreich war Geschichte und die Oktoberrevolution sorgte für neue politische Verhältnisse. In den frühen 1920er Jahren erreichte die bolschewistische Revolution auch Zentralasien. Deutlichstes Zeichen hierfür war der Befehl zur Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft. Bereits seit 1921 hieß die Stadt Werny Alma-Ata und wurde 1927 zur Hauptstadt der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik.

Ebenfalls 1927 eröffnete auf dem Platz des ehemaligen Salonhofs der zentrale kollektive Bauernmarkt, der aus hölzernen, überdachten Verkaufsständen bestand. Von nun an wurden dort, von Obst und Gemüse über Milchprodukte bis zu Vieh, wieder sämtliche Waren angeboten, die die Kollektivfarmen der Region produzierten konnten. Auch war dieser Markt während des Zweiten Weltkriegs der einzige Handelsplatz, auf dem Waren gegen Geld, und nicht auf Bezugsscheinen, verkauft wurden. In diesen Jahren prägten die Bewohner von Alma-Ata die seinerzeit inoffizielle Bezeichnung „Kök Basar“, also „Grüner Basar“ für den Markt, welche bis heute Bestand hat.

Wilde, improvisierte Verkaufsstände

Zwischen 1964 und 1986 war Dinmuchamed Kunajew Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kasachstans und prägte in dieser Funktion in ganz besonderer Weise die Stadtentwicklung Alma-Atas. So wie Kunajew in dieser Zeit viele Bauprojekte persönlich begutachtete, geht wohl auch die Initiative für den Neubau des zentralen Kolchosmarktes auf ihn zurück. Der neue Kök-Basar aus dem Jahr 1975 wurde, genauso wie viele andere neue Großprojekte, in der Stadtplanung im Stil der späteren Sowjetmoderne und des Brutalismus erbaut. Der rechteckige Bau besteht aus mehreren Verkaufsebenen und lässt durch Glaspyramiden in der Deckenkonstruktion viel Sonnenlicht auf die rund 800 Verkaufsstände. Der neue Grüne Basar ist ein weiteres Architekturbeispiel für eine wirtschaftlich starke Periode unter dem Ersten Sekretär Kunajew, welche das Stadtbild bis heute stark beeinflussen.

Doch auch die Sowjetunion ist bereits Geschichte. Die Stadt hat abermals einen neuen Namen bekommen und heißt heute Almaty. Die Straße, in der sich der Grüne Basar heute befindet, heißt nicht mehr Torgowaja, sondern trägt nun den Namen Zhibek-Zholy, also Seidenstraße. Auch gibt es keine Kollektivfarmen mehr, die Händler feilschen auf eigene Rechnung um Kunden. Das merkt man auch, denn rings um das Gebäude des Grünen Basars sind wilde, improvisierte Verkaufsstände entstanden. Feilgeboten wird heute viel mehr als Obst und Gemüse. Von Haushaltswaren über billige chinesische Unterhaltungselektronik bis hin zu nachgemachten Markenklamotten findet sich alles.

Doch auch die Obststände und die Fleischauslagen sind überladend gefüllt und die Farben der verschiedenen Lebensmittel funkeln in den Augen. Ein Hauch von Seidenstraßenatmosphäre weht durch die Gänge, wenn die zahllosen Händler Trockenfrüchte, Kräuter oder Fleisch und Wurst anbieten und ihre Waren lautstark anpreisen. Auch der berühmte Aport-Apfel, dem Almaty seinen Ruhm verdankt, ist hier zu finden. Der Grüne Basar ist heute wieder eine Sehenswürdigkeit, und das nicht nur für ausländische Touristen, die in die Atmosphäre
der Seidenstraße eintauchen wollen.

Philipp Dippl

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