Wenn es um barrierefreie Mobilität geht, haben die zentralasiatischen Länder noch Nachholbedarf. Ein Projekt von Freunden der Region aus Deutschland will einen Beitrag für Veränderungen leisten.

Heute, am 5. Mai, wird der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung begangen. Seit 1992 nutzen Menschen diesen Anlass, um für Inklusion, Barrierefreiheit und ein besseres Verständnis für die Situation von Betroffenen zu demonstrieren. Wie schon im Vorjahr sind auch in diesem Jahr wegen der Pandemie kaum größere Veranstaltungen möglich. Dafür gibt es Studien, Umfragen und natürlich Veranstaltungen im Online-Format, die sich mit der Lage von Menschen mit Behinderungen befassen.

Eine solche fand am Montag auch in der kirgisischen Botschaft in Berlin statt. „Für eine Welt ohne Barrieren“ lautete das Motto der Podiumsdiskussion, bei der es unter anderem um Barrierefreiheit in der Mobilität und im Tourismus ging. Der kirgisische Botschafter Jerlan Abdyldajew lobte in seiner Begrüßung die Arbeit der Behindertenverbände als „groß“ und „edel“. Die Bedingungen dafür zu schaffen, dass Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten sich in der Gesellschaft wohlfühlten, sei nicht nur eine Aufgabe von Regierungen und Parlamenten, sondern auch der Gesellschaft als Ganzes. Abdyldajew nannte die Zahl von 180.000 Menschen mit Behinderung in Kirgisistan. Zudem ging er aus aktuellem Anlass auf die tödliche Grenzauseinandersetzung zwischen Kirgisistan und Tadschikistan ein, die nicht nur 34 Bürger Kirgisistans das Leben kostete, sondern auch für 183 Verletzte sorgte, von denen viele vermutlich dauerhafte Beeinträchtigungen behalten werden.

Das Team Djamila mit dem kirgisischen Botschafter, von links nach rechts: Peter Halle, Maria Rudz, André Nowak, Erlan Abdyldaev, Shanane Khachatryan, Mario Rödel.

Das Hauptaugenmerk galt bei der Veranstaltung jedoch einem außergewöhnlichen Projekt, das nicht nur Menschen mit Behinderung helfen, sondern darüber hinaus auch Brücken zwischen verschiedenen Ländern und Völkern bauen möchte. „Djamila – ein Rolli-Bus für Kirgisistan“ soll dazu beitragen, einen Mangel zu beheben, der insbesondere für Rollstuhlfahrer ein quälendes Alltagshindernis darstellt: Es gibt in Kirgisistan keine Kleinbusse, die für den Transport von Rollstuhlfahrern und Menschen mit anderen Behinderungen geeignet sind.

Freundschaftliche Beziehungen nach Kirgisistan

Die Organisatoren des Projekts um den Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften e. V. (BDWO) und den Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland e. V. (ABiD) möchten daher mithilfe von Spenden einen solchen Bus in Deutschland kaufen und feierlich in Bischkek übergeben. Starten soll die Tour noch in diesem Jahr am Brandenburger Tor. Unterstützung erhält das Projekt auch von Regierungsebene; die Schirmherrschaft hat der Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, Johann Saathoff, übernommen. Die DAZ begleitet „Djamila“ als einer von drei Medienpartnern.

Dass das Ziel der abenteuerlichen Unternehmung ausgerechnet das kleine zentralasiatische Land mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern ist, liegt an den freundschaftlichen Beziehungen, die die Organisatoren dorthin pflegen. Stellvertretend hierfür steht Projektleiter André Nowak, den die DAZ bereits vor anderthalb Jahren traf. Nowak ist zuständig für die internationale Arbeit des ABiD. Seit Jahren stehen er und der Verband in engem Kontakt mit Partnern in den ehemaligen Sowjetstaaten – so auch mit der „Kirgisischen Gesellschaft der Behinderten der Kirgisischen Republik“ (KROI) mit ihren 22.000 Mitgliedern. Der Vorsitzende des Verbandes Schukurbek Kuchkachow ist mit Nowak persönlich befreundet und brachte die Organisatoren mit seiner Bitte auf die Idee für das Projekt.

Djamila, die Schöne, muss auch Barrieren überwinden

In der kirgisischen Botschaft nutzte Nowak am Montag die Gelegenheit, um die Motivation hinter dem Projekt zu erläutern. „Wir wollen Barrierefreiheit nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – wir wollen sie auch über die europäischen Grenzen bringen“, so Nowak. Die Übergabe des Rolli-Busses in Bischkek sei dabei nur ein Etappenziel. Längerfristig solle sie als Impuls dienen, um noch weitergehende Veränderungen herbeizuführen – „bis der gesamte Personennahverkehr barrierefrei ist“. Letztendlich wird das Projekt aber nach Nowaks Worten auch noch der länderübergreifenden Vernetzung dienen. Geplant sind Halts in Warschau, Minsk, Moskau, Samara und Almaty, um mit den dortigen Behindertenorganisationen und lokalen Entscheidungsträgern in Erfahrungsaustausch zu treten.

Warum das Projekt auf den Namen einer literarischen Heldin des kirgisischen Nationaldichters Tschingis Aitmatow gefallen ist, erläutert Nowak auf der Seite von „Djamila“: „Der Name bedeutet ‚Die Schöne‘ und steht für uns stellvertretend für das Land und die Frauen, die wie Djamila Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung leben, auch wenn sie dabei hohe Barrieren überwinden müssen.“

Christoph Strauch

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