Anfang März fand in Berlin die diesjährige Internationale Tourismusbörse statt, eine der bedeutenden Messen dieser Art, auf denen sich Kasachstan seit Jahren präsentiert, um auf sein Potenzial als Reiseland aufmerksam zu machen. In diesem Jahr war manches anders als sonst, der große Ansturm blieb trotzdem noch aus. Den Standbesuchern wurde vor allem ein exzellentes musikalisches Programm geboten.
Die Reisebürovertreter vorn am Tresen müssten Jedil Chussain eigentlich Provision zahlen. Immer wenn der Musiker seine Maultrommel zum Einsatz bringt und der Rhythmus des Instruments wie der Hufschlag einer Pferdeherde durch Halle 26 pulsiert, strömt das Publikum herbei, wie an unsichtbaren Fäden gezogen. In mehreren Reihen umlagern die Messebesucher den Stand Kasachstans, staunend nehmen sie zur Kenntnis, dass der Mann in der Pelzmütze und im mit reichen Applikationen verzierten Lederkaftan auch virtuos andere Instrumente beherrscht. Applaus brandet auf, wenn der sonore Kehlkopfgesang die mystischen Klänge der Maultrommel überlagert. Jedil Chussain kann gleichzeitig singen und die Maultrommel schlagen; es sieht leicht aus, und das gewinnende Lächeln des Universalinstrumentalisten nach der Vorführung lässt nicht erahnen, wie anstrengend und bisweilen sogar schmerzhaft diese Kombination ist.
Während die Messegäste ziemlich ziellos in den ausgelegten Werbematerialien auf dem Stand Kasachstans blättern, erholt sich der Musiker – und lässt sich bereitwillig ausfragen.
Maultrommel und Kehlkopfsänger
Die Vorfahren von Jedil Chussain kommen aus dem Bezirk Gurjew, heute Atyrau. Dieser Menschenschlag ist hartnäckig, unbeugsam und zielstrebig, erklärt der Musiker nicht ohne Stolz. Er selbst, Jahrgang 1955, wächst in Almaty in einer Musikerfamilie auf. Folgerichtig besucht er das Konservatorium in Almaty und geht in die Meisterklasse für Klavier. Aber einer seiner Lehrer, Bolat Sarybajew, lockt ihn in die Gefilde der traditionellen kasachischen Musik. Eine „Saz Syrnai“, das ist eine kasachische Okarina, ein Blasin-strument, ist der Beginn der Umorientierung des jungen Musikers. Einmal auf den Geschmack gekommen, unternimmt er zahlreiche musikalische Expeditionen zu den Nachbarvölkern. „Wir sind ja ein Teil der großen Familie der Turkvölker“, lächelt er, „bei uns kann nichts verloren gehen. Was es hier nicht mehr gibt, haben die Nachbarn bewahrt.“ Und so geht er bei den Jakuten in die Lehre und lässt sich dort in die Geheimnisse der Maultrommel einweihen, das Spiel auf der Rohrflöte Sybyzgy können ihm die Baschkiren am ursprünglichsten beibringen, im Altai trifft er die besten Kehlkopfsänger. Seine Meisterschaft auf dem siebenseitigen zitherartigen Schetigen lockt auf der Messe von den Nachbarständen die mongolischen und chinesischen Kollegen an. Sie lassen sich zeigen, wie man auf dem Instrument, das bei ihnen auch bekannt ist, Akkorde spielt.
Mit der Magie der Geschichte Menschen begeistern
„Es ist so, als ob ich die Perlen einer zerrissenen Kette aufsammelte.“ Jedil Chussain sieht glücklich und stolz aus, als er das sagt. Die „Rote Liste der Musik der Turkvölker“ ist es, der er sich verschrieben hat. Unermüdlich sammelt er, hebt auf, mixt neu, komponiert. Die traditionelle Musik eignet sich wunderbar für die Fusion mit Rock, Jazz, Rap und Techno, auch die Mischung mit europäischer Klassik kann sich hören lassen. Am 17. April wird Jedil Chussain zusammen mit dem Violinsolisten Marat Bisengalijew und den Londoner Symphonikern spielen, am 29. April tritt er in Taschkent auf, um seine Musik in einem Rap-Projekt zu präsentieren.
Jedil Chussain ist auf diesem Messestand ein Exot, und er ist genau der richtige Botschafter für die Nachricht, dass man mit der Magie der Geschichte Menschen begeistern kann, dass es gelingen kann, mit der richtigen Mischung aus Tradition und Moderne Besucher ins Land zu holen.
Von Dagmar Schreiber
24/03/06